Ärzte-Schlagzeuger Bela B über seinen ersten Roman
«Jetzt 
mache 
ich ein 
Trump-
Fasten»

Bela B (56), Schlagzeuger und Sänger der Band Die Ärzte, über seinen ersten Roman, die trist-schöne Jugend in Berlin und die Lebensdauerkarte für den FC St. Pauli.
Publiziert: 24.02.2019 um 16:38 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2022 um 10:55 Uhr
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Bela B (l.) ist zusammen mit Farin Urlaub (Mitte) Gründungsmitglied der Berliner Fun-Punk-Band Die Ärzte, zu der heute auch Rodrigo González (r.).
Foto: Nela König
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Daniel ArnetRedaktor Gesellschaft / Magazin

Herr Felsenheimer: Dirk, Albert oder 
Bela B – wie soll ich Sie nennen?
Bela B – auf diesen ­Namen höre ich, seit ich 19 Jahre alt bin.

Gibt es jemanden, der Sie mit 
Ihren offiziellen Vornamen Dirk Albert anspricht?
Meine Mutter sagt zu mir Dirk. Und die Polizei. Aber Bela steht inzwischen auch in meinem Pass.

Und Albert?
Unlängst habe ich bei der Namensforschung herausgefunden, dass Albert die Kurzform von Adalbert ist. Und das ist die deutsche Form des ungarischen Bela. Da schliesst sich der Kreis.

Als Autor machen Sie nun eine Mischung aus Künstlernamen und Nachnamen und nennen sich Bela B Felsenheimer. Warum nicht gleich der Taufname Dirk Albert Felsenheimer?
Felsenheimer war das Einzige, was ich an Seriosität anfügen wollte – so nenne ich mich jeweils, wenn ich ausserhalb der Musik unterwegs bin.

Mix aus Dracula und Trickfilmfigur

Dirk Albert Felsenheimer kommt am 14. Dezember 1962 mit seiner Zwillingsschwester in West-Berlin zur Welt. Bereits in seiner Jugend spielt er Schlagzeug. Ausbildungen zum Polizisten und Verkäufer bricht er ab, wird aber Schaufensterdekorateur. 1982 gründet er mit Farin Urlaub die Fun-Punk-Band Die Ärzte. Felsenheimers Künstlername Bela B leitet sich vom Dracula-Darsteller Bela Lugosi (1882–1956) ab, für den er seit der Kindheit schwärmt. Das B ist eine Reminiszenz an Barney Geröllheimer aus der Trickfilmserie «Familie Feuerstein», weil er in der Schule den Übernamen Geröllheimer hatte. Bela B lebt mit Frau und gemeinsamem Sohn in Hamburg.

Dirk Albert Felsenheimer kommt am 14. Dezember 1962 mit seiner Zwillingsschwester in West-Berlin zur Welt. Bereits in seiner Jugend spielt er Schlagzeug. Ausbildungen zum Polizisten und Verkäufer bricht er ab, wird aber Schaufensterdekorateur. 1982 gründet er mit Farin Urlaub die Fun-Punk-Band Die Ärzte. Felsenheimers Künstlername Bela B leitet sich vom Dracula-Darsteller Bela Lugosi (1882–1956) ab, für den er seit der Kindheit schwärmt. Das B ist eine Reminiszenz an Barney Geröllheimer aus der Trickfilmserie «Familie Feuerstein», weil er in der Schule den Übernamen Geröllheimer hatte. Bela B lebt mit Frau und gemeinsamem Sohn in Hamburg.

Ihr Debütroman «Scharnow» 
ist ein abgefahrenes Buch mit viel Drive wie ein Ärzte-Song. Wollen Sie mit Bela B die Fans Ihrer Band als Leser gewinnen?
Lesen darf es gern jeder, der sich angesprochen fühlt. Der Künstlername passt zum Buch, denn ­Schreiben ist genauso eine Kunstform wie Musizieren.

Das Publikum macht auch 
keinen grossen Unterschied und feiert Sie als Schriftsteller wie ­einen Popstar: Ihre Lesungen sind trotz Zusatzterminen bis April alle ausverkauft.
Ja, viele wollen bei meinem Debüt als Autor dabei sein, weil sie etwas Besonderes erwarten. Das sind Vorschusslorbeeren, denen ich gerecht werden muss. Aber ich bin sehr zuversichtlich. Mir selbst gefällt mein Buch schon mal ausserordentlich gut.

Die Fans konnten Ihren Roman «Scharnow» noch gar nicht lesen, weil er erst morgen Montag in den Handel kommt.
Richtig. Ich bin gespannt, wer zu den Lesungen kommt. Der eine oder andere wird dort wohl seine Ärzte-Platte signieren lassen.

Mit Ihrer Band Die Ärzte kommen Sie als Headliner ans Open­air St. Gallen. Kommen Sie auch für Lesungen in die Schweiz?
Im September werde ich weitere Lesetermine haben, auch in der Schweiz. Aber Musik zu spielen vor einer Menge, die tanzt, das ist mit nichts zu vergleichen – da kann eine Lesung nicht ganz mithalten.

Warten Sie Ihre Lesungen ab und schauen Sie, was dort abgeht.
Ja, vielleicht werden die Leute bei meinen Lesungen tanzen. Als Zu­gabe, wenn die Leute eine möchten, habe ich ein paar Passagen aufgehoben, die dem Rotstift und der Selbstzensur zum Opfer fielen und nicht in den Druck kamen.

«Das war der Moment, als das Buch zum Angriff überging», heisst es einmal in «Scharnow». Muss man sich vor Ihrem Roman fürchten?
Ich hielt das fertige Buch selber noch nicht in Händen, aber ich kann jedem nur raten, eine Kneifzange bereitzuhalten.

Ist «Scharnow» ein ­Horrorroman?
«Scharnow» hat Horrorelemente, das ist richtig. Aber ich würde das Buch als eine Groteske bezeichnen. Es hat Wirklichkeitsbezüge, aber gleichzeitig passiert viel Unglaub­liches mit sprechenden Tieren und fliegenden Menschen.

Den fliegenden Mann 
à la Batman sieht man auf 
dem Buchumschlag.
Ja, damit setze ich meiner Comic-Vorliebe ein Denkmal.

Sie hatten ja mal einen eigenen Comic-Verlag.
Ja, ich war Verleger, was mir sehr viel Spass gemacht hat. Aber der Markt ist sehr klein, und so lief das Geschäft nicht so toll. Ich lese heute noch wahnsinnig gerne Comics und gebe viel Geld dafür aus.

Sind Sie wegen Ihres Nach­namens zum Comic-Liebhaber 
geworden? Klassenkameraden gaben Ihnen wegen Felsenheimer den Spitznamen Geröllheimer, ein Name aus der Trickfilmserie «Familie Feuerstein».
Nicht nur. Als Kind bekam ich von den Verwandten auch oft Comics geschenkt, damit ich mich mit mir selbst beschäftigen konnte.

Trickfilme wie «Familie Feuerstein» haben Sie aber auch gerne geschaut, oder?
Natürlich. Die «Familie Feuerstein» hat dann später meine Liebe zu 
den «Simpsons» entfacht – ich habe Homer sogar auf meinem Arm tätowiert. Die «Simpsons» sind die «Feuersteins» der Neuzeit – und das seit 30 Jahren.

Den Roman haben Sie Ihrer eigenen Jugend in Spandau gewidmet. War das eine schöne Zeit?
Es war schön, weil fast jede Jugend schön ist, aber auch ein bisschen trist. Spandau war wie eine Stadt 
in der Stadt. Die Spandauer sagten damals immer «Spandau bei Berlin». Es hatte einen Kleinstadtmief. Berlin am Horizont war immer eine Art Versprechen. Das habe ich auch im Buch so beschrieben. Die Siedlung, in der ich aufwuchs, stand Pate für diverse Schilderungen von Wohnsituationen in «Scharnow».

Das Buch spielt in der Jetztzeit. Social Media und syrische Flüchtlinge gab es in Ihrer Jugend noch nicht. Warum spielt es nicht in den frühen 1970er-Jahren?
Das stand nicht zur Debatte. ­Warum sollte ich einen historischen Roman schreiben? Aber ich wollte auch nicht die unmittelbare Gegenwart beschreiben. Wahrscheinlich hatte ich einfach keine Lust, den orangen Typ aus Washington in die Story zu integrieren. Am besten ist es, wenn man ­gewissen Themen nicht mehr so viel Raum gibt. Jetzt mache ich gerade ein Trump-Fasten – ich lese keine Nachrichten mehr über ihn.

Anderes, wie das Internet, ­blenden Sie nicht aus. Wie halten Sie es selber damit? Sie sind ein sogenannter Digital Immigrant und nicht damit gross geworden.
Viele Entwicklungen, wie etwa das Phänomen der Influencer, kann ich nicht wirklich nachvollziehen. Ich warte verzweifelt auf die nächste, sinnvollere Revolution.

Ist das nicht eben diese ­Digitalisierung?
Ja, na gut. Aber da bin ich dann nicht bereit, jeden Weg weiter mitzugehen. Sich gegenseitig live zu beschimpfen, verlangt mehr Mut und macht mehr Spass, als in einem Shitstorm mitzuschwimmen. Statt zu streamen, kaufe ich mir heute fast ausschliesslich Schallplatten und gehe wieder vermehrt ins Kino.

So wie zu Ihrer Jugendzeit 
in Berlin. Erkennen Sie Ihre ­Geburtsstadt noch?
Heute bin ich häufiger im Ostteil der Stadt unterwegs als im Westteil. Im Osten haben sich Prunk­bauten der SED oder alte Strassenschilder erhalten, da entdecke ich immer noch Neues.

Und wie sieht es im Westen 
der Stadt aus?
Wenn ich an bestimmten Ecken bin, kommen Erinnerungen hoch. Dann verdrücke ich schon die eine oder andere Träne. Gewisse Entwicklungen finde ich seltsam. Aber ich bin eigentlich kein rückwärtsgewandter Nostalgiker. Ich liebe Berlin nach wie vor.

Trotzdem wohnen Sie seit ­nunmehr 20 Jahren mit 
Frau und Kind in Hamburg. 
Hat Sie Ihre Vorliebe für den 
FC St. Pauli dort hingezogen?
Nein, die Liebe zu St. Pauli kam erst in Hamburg auf. Da ging man halt hin, weil dort ein linksgerichtetes, punkrockaffines Publikum war. Da schaute man selten auf den Platz und trank lieber Bier und kiffte. Das gefiel mir sehr gut. Der Frauenanteil war auch sehr hoch. Als St. Pauli 2002 – es ist ewig her – im eigenen Stadion Bayern München schlug, gab es kein Halten mehr: Da habe ich den richtigen Fussballfan in mir entdeckt und mir eine Lebensdauerkarte gekauft.

Waren Sie als Jugendlicher Fan von Hertha BSC?
Nein, ich interessierte mich in ­Berlin nicht für Fussball. Daran war die Hertha schuld, weil es unter den Fans auch richtige Nazis gab. Wenn ich in die Innenstadt wollte, musste ich mit der U-Bahn am Olympia-Stadion vorbeifahren. Das war die Zeit, wo ich als Punkrocker lieber in den Waggon einstieg, in dem sich die Polizei aufhielt.

Macht Ihnen der Rechtsruck 
in der heutigen Gesellschaft in gleichem Masse Sorgen?
Der Schnitt, der durch die Bevölkerung europäischer Länder geht, ist für mich unverständlich und erschreckt mich. Probleme lösen wir nicht, indem wir Tore zumachen oder uns abschotten. Man sieht ja, vor welchen Problemen jetzt Grossbritannien steht. Das ist kein erstrebenswerter Zustand, das sieht man auch in Südamerika am Beispiel Venezuela. Aber ich bin ein positiv denkender Mensch und gehe davon aus, dass sich alles beruhigen wird. Leute, ganz ruhig, und lauft nicht jedem Bauernfänger nach!

Das ist auch der Grundtenor Ihres Romans. Weshalb haben Sie mit Ihrem Debüt so lange gewartet?
Bevor ich einen Stoff hatte, bekam ich von einem kleinen Verlag eine Anfrage, ob ich für eine Reihe mit Quereinsteigern ein kleines Buch schreiben wolle. Mein Management riet mir dann, das eine Nummer grösser aufzuziehen: «Vielleicht wird es dein einziges Buch sein, das solltest du grösser machen.»

Wie lange arbeiteten Sie 
an «Scharnow»?
Ich begann vor drei Jahren. Dann suchte ich mir eine Lektorin und fand die Schweizerin Brigitte Helbling – eine geniale Autorin, Übersetzerin und Theaterdramaturgin. Nach Sichtung meiner ersten Entwürfe bezeichnete sie den Text als ADHS-Literatur. Nach ein paar ­Monaten kriegte ich dann alles auf die Reihe, und von da an schrieb ich zwei Jahre intensiv am Buch.

Wie sind Sie auf die Story 
gekommen?
Aus den vielen Ideen, die ich über die Jahre gesammelt hatte, wollte ich ein paar Kurzgeschichten machen. Doch ich merkte ziemlich schnell: Die Storys passen sehr gut zusammen, die geben einen Roman her. Erst sollte es ein Buch werden, das man für einen Wochenend-Trip mitnimmt, und jetzt ist es ein Buch, das einen eine Sommerreise lang beschäftigen kann.

Sie haben sich bisher als Musiker und Schauspieler einen Namen gemacht. Starten Sie jetzt eine dritte Karriere als Autor?
Das wird sich zeigen. Ich hätte schon noch ein paar Ideen für ­weitere Bücher. Ich notiere mir ­immer alle Absurditäten, die ich gerne niederschreiben würde. ­Mindestens ein Buch muss noch in Scharnow spielen.

Bela B Felsenheimer, «Scharnow», Heyne-Verlag; ab 25. Februar im Handel.

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