Aufhören mit dem Garten? Diese Frage beschäftige sie im Moment sehr, sagt Annemarie Weder. Sie ist 85, ihr Mann Hugo 87. Seit Jahrzehnten gärtnern sie zusammen an einem steilen Hang rund um ihr Haus in Reute im Appenzellerland. Jeden Tag sind die beiden zwischen Stauden und Sträuchern am Jäten, Zurückschneiden, Giessen. Von morgens bis abends. Seit ein paar Jahren zwar mit Mittagspause. Aber sonst? Immer im Garten. «Diese Leidenschaft vergeht nie, auch nicht im Alter», sagt Annemarie Weder. Sie ist nicht die Einzige mit einem grünen Daumen.
Die Schweiz gärtnert. So begeistert wie nie zuvor. Gärtnern ist ein Lieblingshobby der Bevölkerung. Gemäss einer Umfrage des Forschungsinstituts Marketagent pflanzen zwei Drittel der Deutschschweizer Bevölkerung im Garten, auf dem Balkon, auf der Terrasse oder an einem anderen Ort an. Gemüse, Früchte, Zierpflanzen. Im Durchschnitt verbringen sie 216 Stunden pro Jahr mit Gartenarbeit. Rechnet man mit einer siebenmonatigen Gartensaison von April bis Oktober, sind es immerhin 31 Stunden pro Monat, in denen im Garten gewerkelt wird.
Zwischendurch wird auch gern der Profi hinzugezogen. Die grüne Branche vermeldet seit Jahren Wachstum: Die Anzahl der Betriebe im Garten- und Landschaftsbau nimmt kontinuierlich zu, hat sich innert wenigen Jahren sogar verdoppelt. «Gärtnerische Dienstleistungen sind sehr gefragt», sagt Carlo Vercelli, Geschäftsführer des Branchenverbands Jardin Suisse. Allein der Garten- und Landschaftsbau erzielt jährlich einen Umsatz von 3,5 Milliarden Franken – Ausgaben für Pflanzen und Gartenzubehör sind dabei noch nicht einmal eingerechnet.
Wem eigener Boden fehlt, der sucht andere Wege. Stellt Töpfe und Kisten mit Setzlingen auf den Balkon oder mietet einen Schrebergarten. In den Städten wird jede Brache zum Garten, ein Trend, der in der Schweiz in den 2000er-Jahren begann und der nicht aufhört. Mittlerweile wird dieses Urban Gardening auch von Stadtgärtnereien gefördert, die sogar eigene Projekte gründen und Beete oder Pflanzkisten an die Bevölkerung vermieten.
Auch die Kleinsten greifen schon zu Setzholz und Giesskanne. 2014 startete an zehn Standorten das Projekt «Gartenkind». Hier können Kinder in ihrer Freizeit Kresse und Radiesli säen, beobachten, jäten, dräckele und natürlich auch ernten. Veith aus Stettlen BE ist eines dieser Gartenkinder. Der Achtjährige besucht nun schon das zweite Jahr jeden Freitagnachmittag den Kurs in seinem Dorf. «Es macht einfach Freude, Gemüse anzupflanzen», sagt er und erzählt von den unterschiedlichen Mais- und Kartoffelsorten, die er schon kennengelernt hat. «Dieses Jahr machen wir zudem noch ein Tierchen-Tagebuch», freut er sich. «Wir fotografieren alle Tiere, die wir im Garten entdecken und probieren herauszufinden, wie sie heissen.»
Die Nachfrage nach Gartenkind-Kursen ist gross, sagt Nina Kunz, Verantwortliche bei Bioterra, der Organisation für Bio- und Naturgarten, bei der das Projekt angesiedelt ist. Vier Jahre nach Projektstart existieren bereits 60 Gärten in der ganzen Schweiz. Und in diesem Tempo soll es laut Kunz auch weitergehen: «Wir haben vor, weiterhin stark zu wachsen.»
Gärtnern als Gegenprogramm zur digitalen Welt
Die Schweiz ist mit ihrer Gartenbegeisterung kein Sonderfall. Gärten und Gartenarbeit werden weltweit immer beliebter – eine Folge der Digitalisierung, sagt der deutsche Trendforscher Peter Wippermann, der sich mit der gesellschaftlichen Bedeutung des Gartens befasst. «Je mehr wir uns der natürlichen Umgebung entziehen und in virtuellen Räumen leben, desto stärker wird auch die Sehnsucht nach Natur.» In der Beschäftigung mit dem Grünen und Wirklichen suche der Mensch seine Balance zur digitalen Welt, zu der er nie konkreten Zugang habe, weil es sich bei allem Digitalen immer um eine Simulation handle, sagt der emeritierte Professor der Folkwang Universität der Künste in Essen.
Die grossen Internetfirmen sind sich dessen längst bewusst. Konzerne wie Amazon, Google, Facebook und Apple machen es vor und holen den Garten sogar in die Arbeitswelt. Das Dach der Facebook-Zentrale im Silicon Valley ist ein riesiger Garten mit Bäumen, Spazierwegen, Sitzbänken, Wiesen und Blumen. Der Amazon-Hauptsitz in Seattle besteht aus drei Glaskuppeln, in denen nicht nur Menschen arbeiten, sondern auch Tausende exotische, zum Teil mehrere Meter hohe Pflanzen gedeihen.
«Diese Unternehmen haben akzeptiert, dass die virtuelle Welt den Menschen etwas entzieht, das man ihnen irgendwo wieder zurückgeben muss», sagt Wippermann. Auch andere Firmen würden früher oder später vermehrt den Garten ins Büro holen, mit vertikalen grünen Wänden, Einzelpflanzen oder parkähnlicher Umgebung. «Es geht um Erholung. Aber natürlich auch um Leistungssteigerung.»
Fabrikanten bauten Parks gegen den Stadtkoller
Eine ähnliche Entwicklung hat es in der Geschichte schon gegeben. Im Zuge der Industrialisierung wanderten immer mehr Menschen vom Land in die Stadt, um in Fabriken zu arbeiten. Damit sie sich in grüner Umgebung erholen konnten, liessen Fabrikanten und Stadtbehörden zahlreiche Parkanlagen bauen. Bekannte Beispiele sind in der Schweiz etwa der Bally-Park in Schönenwerd SO, der Gustav-Ammann-Park in Zürich oder der Volksgarten in Glarus.
Ein Blick in die Geschichte zeigt auch: Schon immer hat es Menschen gegeben, die leidenschaftlich gerne ihre Gärten gestaltet und darin gewirkt haben. Hermann Hesse träumte von der Selbstversorgung, Johann Wolfgang von Goethe legte mehrere Gärten an und hielt Lust und Frust darüber in seinen Tagebüchern fest. George Washington, erster amerikanischer Präsident, widmete sich nach seiner Politkarriere ganz seinem Garten und züchtete sogar selber Obstsorten.
Für den auf Landschaftsgärten spezialisierten deutschen Historiker Hans von Trotha hat die Liebe zu den Gärten immer auch mit der Suche nach dem Paradies zu tun. In den Gärten suchen die Menschen den Garten Eden, den sie gemäss der Bibel am Anfang der Zeit verloren haben. Jahrhundertelang schlug sich diese ewige Suche nach dem Paradies nieder in der Art und Weise, wie Gärten gestaltet wurden. «Hat sich die Vorstellung vom Paradies in der Gesellschaft verändert, haben sich immer auch die Gärten verändert», sagt Hans von Trotha.
Im Barock zum Beispiel war die Vorstellung vom Paradies rational und geometrisch – und die Gärten also streng symmetrisch mit in Form geschnittenen Pflanzen. Die Aufklärung hingegen brachte im 18. Jahrhundert möglichst natürlich wirkende Landschaftsgärten hervor. Und obwohl die Religion heute an Stellenwert verloren hat, suchen die Menschen gemäss von Trotha auch heute noch das Paradies im Garten: glückliche Erfahrungen, Erfüllung, Freude und schöne Sinneserlebnisse. «Denn Gärten», so von Trotha, «sind die einzige Kunstform, die alle menschlichen Sinne anspricht.» Dem Menschen tut das Grün also einfach gut. Dies zeigen nicht nur die Geschichte und der momentane Trend zu Gärten und Natur, sondern wurde in zahlreichen Studien belegt. In seinem Buch «Die Intelligenz der Pflanzen» hat der italienische Pflanzenforscher Stefano Mancuso erstaunliche wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengetragen.
Grün macht den Menschen gesund und glücklich
Allen Studien gemein ist, dass sich der Mensch beim Anblick von Pflanzen beruhigt. So brauchen Patienten, die im Krankenhaus ein Zimmer mit Blick ins Grüne haben, durchschnittlich weniger Schmerzmittel und können früher entlassen werden als Kranke, die nur auf Beton und Asphalt sehen. In Wohnvierteln mit viel Grün kommt es erwiesenermassen zu weniger Kriminalfällen und Selbstmorden. In Schulen mit grüner Umgebung wurde bei den Schülern eine höhere Konzentrationsleistung gemessen als in Schulen, die umgeben von Asphalt und Beton sind.
Warum Pflanzen das psychische und physische Wohlbefinden des Menschen steigern, ist bislang nicht bekannt. Mancuso vermutet: «Das Gefühl der Ruhe in Gegenwart von Pflanzen erwächst vermutlich aus der archaischen Gewissheit, dass uns das pflanzliche Grün alles bietet, was wir zum Überleben brauchen.» Pflanzen würden ohne Menschen problemlos auf dieser Erde existieren. Umgekehrt wäre ein Überleben der Menschheit nicht einmal wenige Wochen denkbar. Pflanzen liefern Nahrung, Sauerstoff und Energie.
Der Mensch braucht also Pflanzen, um überhaupt leben zu können. Und in Zeiten der Globalisierung und Digitalisierung braucht er sie umso mehr. Zum Entschleunigen und um zur Ruhe zu kommen. Oder ganz einfach, weil er sie immer schon gerne hatte. Wie Annemarie Weder, die auch mit über 80 noch gärtnert – auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern, verteilt auf vier Terrassen. Doch sie ist nun fest entschlossen, zumindest mit den Chrysanthemen, von denen sie eine grosse Sammlung hat, aufzuhören. «Also zumindest mit den nicht winterharten Sorten», schränkt sie dann wieder ein, «weil ich den Aufwand mit den Töpfen kaum mehr bewältigen kann.» Und dann werde sie weiterschauen.
Sie habe halt so gerne Blumen, liebe es, zuzuschauen, wie etwas aus einem kleinen Samen wachse und gedeihe. «Aber nicht nur dies, auch der Kontakt und Austausch mit anderen Gartenliebhabern bedeutet mir sehr viel.» Und so wird sie in wenigen Tagen mit dem Zug an einen Pflanzenmarkt fahren – primär, um dort all ihre Gartenfreunde zu treffen. Und wahrscheinlich werde sie dann auch noch eine weisse Prachtkerze kaufen.
- 20. Mai
- ProSpecieRara-Zierpflanzenmarkt, Stadtgrün Bern, Elfenauweg 94, Bern, 9–16 Uhr
- 21. Mai
- Kräuter- und Pflanzenmarkt, Museum Rietberg, Gablerstrasse 15, Zürich, 10–17 Uhr
- 1.–3. Juni
- Gartenfestival Schloss Haldenstein, Schloss Haldenstein, GR, Fr/Sa 10–18 Uhr, So 10–17 Uhr
- 2. Juni
- Kakteen- und Sukkulentenmarkt, Sukkulentensammlung Zürich, Mythenquai 88, 10.30–17 Uhr
-
Fête de la Rose, Place des Marronniers, Romainmôtier VD, 9–18 Uhr
- 2. und 3. Juni
- Gartenfest zum 50. Geburtstag, Merian Gärten, Vorder Brüglingen 5, Basel, Sa 13–2 Uhr, So 10-18 Uhr
-
Les Herbettes en Fête, Les Colombettes, Vuadens FR, Sa 10–18 Uhr, So 10-17 Uhr
- 15.–17. Juni
- Rosenfest, Baumschule Reichenbach, Schonau 1, Hausen am Albis ZH, Fr 10–18 Uhr, Sa 10-24 Uhr, So 10–17 Uhr
- 16. und 17. Juni
- Offener Garten, diverse Privatgärten in der ganzen Schweiz sind öffentlich zugänglich, Infos auf www.offenergarten.ch
- 16. Juni–15. Juli
- Botanica, Thema «Die letzten ihrer Art» – eine Initiative mit diversen Veranstaltungen in den botanischen Gärten der Schweiz, www.botanica-suisse.org
- 23. Juni–1. Juli
- Bischofszeller Rosen- und Kulturwoche, Bischofszell TG
- 27.–29. Juni
- Öga, Fachmesse der Grünen Branche, Messegelände,
-
Koppigen BE, Mi/Do 8.30– 17 Uhr, Fr 8.30–16 Uhr
- 22. und 23. September
- Tulpenzwiebelnmarkt, Schloss Wildegg AG, 10–17 Uhr
- 23. September
- Pflanzmarkt zum Thema Winterkulturen, Merian Gärten, Vorder Brüglingen, Basel, 10–17 Uhr
- 20. Mai
- ProSpecieRara-Zierpflanzenmarkt, Stadtgrün Bern, Elfenauweg 94, Bern, 9–16 Uhr
- 21. Mai
- Kräuter- und Pflanzenmarkt, Museum Rietberg, Gablerstrasse 15, Zürich, 10–17 Uhr
- 1.–3. Juni
- Gartenfestival Schloss Haldenstein, Schloss Haldenstein, GR, Fr/Sa 10–18 Uhr, So 10–17 Uhr
- 2. Juni
- Kakteen- und Sukkulentenmarkt, Sukkulentensammlung Zürich, Mythenquai 88, 10.30–17 Uhr
-
Fête de la Rose, Place des Marronniers, Romainmôtier VD, 9–18 Uhr
- 2. und 3. Juni
- Gartenfest zum 50. Geburtstag, Merian Gärten, Vorder Brüglingen 5, Basel, Sa 13–2 Uhr, So 10-18 Uhr
-
Les Herbettes en Fête, Les Colombettes, Vuadens FR, Sa 10–18 Uhr, So 10-17 Uhr
- 15.–17. Juni
- Rosenfest, Baumschule Reichenbach, Schonau 1, Hausen am Albis ZH, Fr 10–18 Uhr, Sa 10-24 Uhr, So 10–17 Uhr
- 16. und 17. Juni
- Offener Garten, diverse Privatgärten in der ganzen Schweiz sind öffentlich zugänglich, Infos auf www.offenergarten.ch
- 16. Juni–15. Juli
- Botanica, Thema «Die letzten ihrer Art» – eine Initiative mit diversen Veranstaltungen in den botanischen Gärten der Schweiz, www.botanica-suisse.org
- 23. Juni–1. Juli
- Bischofszeller Rosen- und Kulturwoche, Bischofszell TG
- 27.–29. Juni
- Öga, Fachmesse der Grünen Branche, Messegelände,
-
Koppigen BE, Mi/Do 8.30– 17 Uhr, Fr 8.30–16 Uhr
- 22. und 23. September
- Tulpenzwiebelnmarkt, Schloss Wildegg AG, 10–17 Uhr
- 23. September
- Pflanzmarkt zum Thema Winterkulturen, Merian Gärten, Vorder Brüglingen, Basel, 10–17 Uhr