Jeden Tag Haare schneiden, stylen, frisieren – und das seit über 30 Jahren. Wird das nie langweilig?
Felix Fischer: Nein, das ist meine Leidenschaft, seit ich denken kann. Ich habe schon meinem Bruder die Haare geschnitten und gefärbt, als er zwölfjährig war. Als er mit einem gelben Pilzkopf aus dem Badezimmer kam, hatte meine Mutter fast einen Nervenzusammenbruch. Nein, langweilig wird mir das nie, solange ich inspiriert bin.
Wovon?
Von Reisen, Kunst, Opern, Ballett. Meine Seele braucht Nahrung. Schönheit ist mein Leben. Meinen Beruf betrachte ich als Kunsthandwerk, das sich mit Erfahrung verfeinert und entwickelt. Ich werde auch in zehn Jahren noch Haare machen.
Misslingt auch mal ein Styling?
Ich bin nie hundert Prozent zufrieden. Wenn eine Kundin vom Sessel aufsteht, schaue ich ihr nach und habe schon wieder Ideen, was ich das nächste Mal noch ein bisschen anders machen könnte. Dieser leichte Zweifel begleitet mich immer. Und manchmal sind Haare so launisch wie ihre Besitzer, dann wollen sich die Locken einfach nicht drehen lassen.
Was dann?
Dank meiner Erfahrung und etwas Geduld kriege ich es immer hin, ohne dass die Kundin etwas davon bemerkt. Fehler kann ich mir nicht erlauben. Ein misslungenes Make-up kann man wieder abwaschen, aber Schnitt und Farbe – das bleibt.
Zumal Sie ja nicht irgendwem die Haare machen. Sie haben 24 Jahre lang in New York gelebt und sämtliche Berühmtheiten frisiert – von Popstar Jennifer Lopez und Operndiva Anna Netrebko bis zur ehemaligen First Lady Hillary Clinton. Macht Sie das manchmal nervös?
Zu so einem Job gehört Adrenalin genauso dazu wie die Haarbürste. Man muss sich bewusst sein, dass man diesen Menschen kurz vor dem Moment am nächsten kommt, in dem sie ins Scheinwerferlicht treten, auf den roten Teppich oder auf eine Bühne. Da liegt Druck auf allen.
Inwiefern?
Niemand will am nächsten Tag in der Presse lesen, dass Frisur oder Kleid daneben waren. So was fällt auf mich zurück. Und obwohl alle Profis sind, flippt auch mal jemand aus. Das ist aber nie böse gemeint, sondern entsteht aus Unsicherheit.
Wie reagieren Sie darauf?
Ich trete einfach einen Schritt zurück, lasse das Drama vorüberziehen, und dann schaut man weiter.
Kommt so was oft vor?
Nein, ich erinnere mich ohnehin lieber an schöne und witzige Anekdoten. Hillary Clinton zum Beispiel, sie hat eine solche Eleganz und Stil. Sie stellte sich persönlich vor und nach vier Stunden Auftritt kam sie nochmals zu mir, bedankte sich und wusste sogar meinen Namen. Klar hat sie wahrscheinlich einen Assistenten, der sie daran erinnert, aber das hat echt Klasse und hat mich beeindruckt.
Wie ist Ihr Bezug zu diesen Stars – sieht man sich wieder?
Manche ja. Zu meinen Lieblingen gehört Opernsängerin Anna Netrebko, von ihr höre ich immer wieder. Sie ist ein Riesenstar, nimmt sich aber selber nicht so furchtbar ernst. Einmal rief sie mich an, sagte ins Telefon: «Liebling! Ich trage eine blonde Perücke auf der Bühne, das gefällt mir. Mach mich blond!»
Sie hat doch aber schwarze Haare?
Ja, aber meine Einwände interessierten sie nicht. Also bin ich mit allem Drum und Dran in ihre Wohnung gefahren. Es war eine Szenerie wie in einem Fellini-Film: Ihr Mann sass mit einem Beinbruch im Rollstuhl, der Sohn sprang nervös herum, und ihre Schwester fragte ständig, ob ich Champagner oder Wodka möchte. Als wir mitten im Bleichen waren, sagte Anna plötzlich: «Liebling, ich bin müde, ich gehe jetzt ins Bett.» Das Haar war aber erst orange! Ihr war das egal, obwohl sie am nächsten Tag Premiere hatte.
Wer war Ihr erster richtiger Star?
Liz Hurley. Gott war ich nervös. Meine Hände zitterten, so sehr, dass ich eine Beruhigungstablette einwerfen musste, dann lief alles glatt. Ich machte ihr zwar eine etwas seltsame Frisur, so mit 20er-Jahre-Wellen. Die meisten trauen sich ja nicht, bei den Celebrities ein Risiko einzugehen.
Hat sich das Risiko gelohnt?
Mit meinem Wagnis habe ich wohl Eindruck gemacht, ihre PR-Agentur engagierte mich für weitere ihrer Kunden. Damit fing es an. Es folgten Shootings für alle wichtigen Modemagazine wie die «Vogue», «Elle» und «Harper's Bazaar».
Kann man planen, ein Star-Coiffeur zu werden?
In meinem Leben gab es schon früh zwei Leidenschaften: Tanzen und Frisieren. Mein erster Berufswunsch war eigentlich Balletttänzer. Dafür habe ich eisern trainiert, schon als Jugendlicher. Dort lernte ich, durchzuhalten, das hat mir später im Leben geholfen.
Warum wurde kein Tänzer aus Ihnen?
Ich stürzte und brach mir das Bein. Schon beim Aufprall wusste ich, dass es vorbei war. Ich war 21 und am Boden zerstört. Aber ich bin wieder aufgestanden, und ich habe doch noch die Coiffeurlehre gemacht.
Wie kamen Sie darauf?
Das wurde mir wohl auch in die Wiege gelegt. Meine Mutter wollte eigentlich Coiffeuse werden, aber in den Vierzigerjahren war das schwierig für eine Frau. Wir stammen aus einer katholischen Familie, in diesem Milieu gehörte sich das damals nicht.
Sie sind in Möriken, einem 800-Seelen-Dorf im Aargau, aufgewachsen. Passten Sie dort rein?
Kein bisschen, aber das habe ich gar nicht bemerkt. Ich lebte in meiner eigenen Bubble, selbst wenn ich mal gehänselt wurde, ist das gar nicht so zu mir durchgedrungen. Ich war kein Revoluzzer, aber ich zog mein Ding durch.
Worin zeigte sich das?
Beim technischen Zeichnen. Warum sollte ich da hin, wenn ich ohnehin wusste, dass ich das nie im Leben für den Job brauchen würde? Mode interessierte mich viel mehr. Also habe ich stattdessen etwas genäht, es der Handarbeitslehrerin gezeigt und bin fortan in ihre Klasse gegangen.
Wie sind Sie in New York gelandet?
Da wollte ich eigentlich gar nie hin. Ende der 1990er-Jahre war New York eine Drecksstadt. Ich war zufrieden in der Schweiz. Hatte einen eigenen Salon und machte für das Magazin «Annabelle» sämtliche Haarstylings. Als ich aber Freunde in New York besuchte, reichten sie meine Arbeiten bei Agenturen ein, und schon kamen die ersten Anfragen für Stylings. Also habe ich die Gelegenheit beim Schopf gepackt. Dass ich so lange bleiben würde, hätte ich aber nie gedacht.
Warum kamen Sie vor einem Jahr in die Schweiz zurück?
Wegen der Pandemie gab es keine Galas mehr, keine roten Teppiche, keine Shootings – also auch keine Aufträge. Ich hockte daheim und drehte Däumchen. Zudem hat sich das Geschäft sehr verändert, Social Media hat meinen Job kaputt gemacht.
Wie das?
Die Agenturen drücken die Gagen von uns Coiffeuren immer weiter runter. Es heisst, mit dem Styling von Jennifer Lopez könne man auf Social Media ja Werbung für sich machen. Das sei Lohn genug. Als ich anfing, war mein Tagessatz 2500 Dollar, jetzt sind es noch 600, Spesen gibt es keine. Und der Job kann auch anstrengen.
Warum?
Wir reden hier von Zwölf-Stunden-Tagen, mit anspruchsvoller Kundschaft. Jennifer Lopez wechselt ihre Frisur am liebsten viermal am Tag, sie will alles, manchmal zu viel – mal hoch, mal runter, mal gewellt, mal glatt, mal mit Extensions. Sie liebt das, sie stylt sich wie eine weibliche Dragqueen mit viel Bling. Und das macht auch Spass – für eine gewisse Zeit. Aber nicht, wenn man sie ein ganzes Jahr lang auf Tournee begleitet. Da gehen irgendwann die Ideen aus.
Statt internationaler Berühmtheiten empfangen Sie jetzt Frauen wie mich in Zürich in einem Pop-up-Salon. Mit was für einer Frisur laufe ich bei Ihnen raus?
Bestimmt nicht mit der gleichen wie die einer Jennifer Lopez oder Hillary Clinton. Es ist etwas völlig anderes, wenn man für ein Shooting oder einen Bühnenauftritt frisiert. Da kommt es auf jedes Detail an, das Licht, die Distanz oder wie lange eine Frisur halten muss. Zudem ist jeder Look individuell auf eine Persönlichkeit abgestimmt, bei mir wird das Haar massgeschneidert.
Was ist im Trend?
Jetzt mache ich Glamour für den Alltag. Das gelingt nicht mit Trends, sondern mit Natürlichkeit. Mich interessiert es, einen Blond-Ton hinzubekommen, der jugendlich und frisch wirkt, also wie von der Sonne geküsst und nicht vom Coiffeur gemacht.
Hand aufs Herz, fehlt Ihnen in der Zwingli-Stadt nicht ein gewisser Glamour?
Nein, denn so glamourös war New York auch nicht. Oder sagen wir: nicht mehr. Die Welt hat sich verändert, insbesondere mit der Pandemie. Viele entwickelten sich zu Zoom-Sitzung-Zombies in Trainerhosen. Zwar ist damit Hairstyling und Make-up in den Fokus gerückt, aber was man untenrum trägt, ist wurscht.
Das muss für Sie schrecklich sein!
Ich bin ein Mode-Freak und vermisse coole Stylings. Es ist Zeit für etwas Extravaganz, mit Samt, Pailletten und High Heels. Warum nicht wieder mal so in die Oper oder ins Theater? Und das Schönste in Zürich: Man ist so schnell in Paris, Rom oder London – das hat mir in den USA gefehlt.