So ergeht es den Vätern
Ein idealer Vater hat Zeit für seine Kinder, die er gleichberechtigt mit seiner Frau erzieht. Im Haushalt übernimmt er selbstverständlich die Hälfte, und zusätzlich sichert er den Lebensstandard der ganzen Familie. Oh, und er sieht sexy aus und ist gut angezogen. Dass diesem Idealbild kaum zu entsprechen ist, zeigen diverse Studien, unter anderem eine zweier deutscher Wissenschaftler, die bereits vor zehn Jahren erschienen ist. Die Soziologen Andrea Bambey und Hans-Walter Gumbinger befragten 2010 insgesamt 1500 Väter und ihre Partnerinnen. Ihr Fazit: Der gesellschaftliche Druck auf Väter ist enorm.
Die Soziologie unterscheidet zwischen sechs Vatertypen
Väter reagieren gemäss Bambey und Gumbinger unterschiedlich auf die Erwartungshaltungen. Die Forscher unterscheiden zwischen sechs Vätertypen, wovon nur zwei eine gute Beziehung zu ihren Kindern hätten: 28 Prozent, die grösste Gruppe, sind ihrem Kind zugewandt und verhandeln mit ihrer Partnerin aktiv immer wieder die Rollenverteilung. Dieser «egalitäre Vater» landet aufgrund gesellschaftlicher Tatsachen schliesslich aber oft doch bei einer traditionellen Rollenverteilung. Und die kleinste Gruppe, sechs Prozent, gilt als «partnerschaftlich traditionell»: Solche Väter engagieren sich ebenfalls sehr für ihre Kinder, sind geduldig, sehen sich aber als Oberhaupt – bei ihnen liegt auch einmal eine Ohrfeige drin. Alle anderen, also über zwei Drittel aller Väter, leiden mehr oder weniger unter ihrer Rolle und den gesellschaftlichen Erwartungen und schaffen es nur schwer, eine gute Beziehung zu ihren Kindern aufzubauen.
Doppelbelastung auch für Väter
Das sieht auch Markus Theunert (47) so. Der Basler Soziologe und Vater ist seit rund 20 Jahren politisch in der Männerarbeit aktiv. Er sagt, die Erwartungen hätten sich stark erweitert: «Geblieben ist die Anforderung, als Vater eine verlässliche, leistungsstarke Säule im Familiengefüge zu sein, die auch materielle Sicherheit gewährleistet.» Dazugekommen sei die Anforderung, zusätzlich als fürsorgliche, der Mutter möglichst gleichwertige Bezugsperson im Alltag präsent zu sein. «Dass beides zusammen nur eine Überforderung sein kann, wird leider noch viel zu wenig thematisiert», sagt Theunert.
Er sieht ein gesellschaftliches Problem: «Kinder sind unsere Zukunft und nicht einfach Privatsache», sagt er. Bis heute dienten Familien-, Bildungs- und Gleichstellungspolitik in der Schweiz aber primär als Werkzeug für den Arbeitsmarkt, das die Wirtschaft optimal mit Fachkräften versorgen soll. Haus- und Familienarbeit sollen sich auf magische Weise irgendwie von selbst erledigen. Mütter wie Väter sollen in Familie und Beruf performen, ohne dass diese Mehrbelastung durch Entlastung anderswo aufgefangen würde. Dabei ist die Belastung real: Eltern kleiner Kinder arbeiten weit über 70 Stunden pro Woche. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern sei einfach der, dass Männer immer noch deutlich mehr Erwerbsarbeit, Frauen mehr Haushaltsarbeit leisten. Auch der sogenannte «Mental Load», also an Zahnarztbesuche, den Schulausflug, das Geschenk für den Kindergeburtstag denken zu müssen, laste mehr auf den Frauen. «Das ist auch bei uns so», sagt Theunert, «auf dem Zahnfleisch gehen gesamtgesellschaftlich aber Mütter und Väter.»
Er geht mit der Schweiz hart ins Gericht: «Sobald man sich in internationalen Zusammenhängen bewegt, wird augenfällig, wie naiv und selbstgefällig die Politik in der Schweiz agiert.» Da liesse sich viel lernen von den Erfahrungen anderer.
So ergeht es den Müttern
Die Schweiz steht in vielen Ländervergleichen weit oben. Bei einer Statistik hingegen ist die Schweiz schwach. Sehr schwach sogar. Der «Glasdeckel»-Index des Wirtschaftsmagazins «Economist» aus dem Jahr 2018 zeigt, welche Länder Frauen am schlechtesten behandeln, wenn es um Familienvereinbarkeit und Chancen auf dem Arbeitsmarkt geht. Die Schweiz steht dort unter den OECD-Ländern an viertletzter Stelle – von 37 Ländern belegen wir den jämmerlichen 34. Platz. Mieser trifft es Frauen nur in Südkorea, Japan und der Türkei.
Das liegt an einer üblen Kombination. Zum einen beträgt die unerklärliche Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern gemäss Bundesamt für Statistik hierzulande knapp zehn Prozent. Für jedes Zehnernötli, das ein Mann verdient, erhält eine Frau also nur neun Franken. Kommen Kinder hinzu, macht es also ökonomisch Sinn, wenn Frauen ihr Pensum reduzieren. Gleichzeitig herrscht ein Mangel an bezahlbaren Betreuungsplätzen. Und steuerliche Eigenheiten der Schweiz führen dazu, dass die teuren Krippenplätze den Lohn aus der Teilzeitstelle der Frau gleich wieder auffressen – versteuern muss man ihn trotzdem. Viele Familien stehen also gleich gut oder sogar schlechter da, wenn die Frau Teilzeit arbeiten geht.
Aber auch wenn sie es trotzdem tut und sich so immerhin spätere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bewahrt, ist eine Frau doppelt gestraft: Die Haus- und Erziehungsarbeit bleibt zum grössten Teil an ihr hängen, auch wenn sie Vollzeit arbeitet: Gemäss Erhebungen des Bundesamts für Statistik aus dem Jahr 2018 erledigen Frauen zwischen 64 und 75 Prozent der Haushaltsarbeit allein. Kindererziehung, Hausarbeit, eventuelle Erwerbsarbeit werden so zur Dreifachbelastung – bis hin zum Burnout: Das Burnout-Risiko von Müttern steigt in der Schweiz gemäss diversen Experten seit Jahren – entsprechende Behandlungsangebote gibt es aber schlicht nicht.
Unternehmen belohnen Ineffizienz
Eine, die ein Lied von der Unvereinbarkeit von Karriere und Kind singen kann, ist die Journalistin Sibylle Stillhart (47). Sie hat mit ihrem Buch «Müde Mütter – fitte Väter», erschienen im Limmat Verlag im Jahr 2015, den Finger auf einige wunde Punkte in der Schweiz gelegt, was Familienpolitik, Unternehmenskultur und die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere für Frauen betrifft. Zum einen sieht sie die Arbeitskultur der meisten Konzerne als höchst problematisch.
«Es werden noch immer die Menschen befördert, die Überstunden machen, am Morgen zuerst da sind, am Abend zuletzt gehen», sagt Stillhart. Dabei sei das kein Zeichen von Arbeitsethos, sondern eines von Inkompetenz. Und Mütter können diese Anforderung gar nicht erfüllen – sie müssen ganz einfach gehen, etwa, um ihr Kind von der Kita abzuholen. «Die Effizienz von Müttern wird auf der Karriereleiter bestraft, ineffiziente Männer werden befördert – einfach weil sie Präsenz markieren», sagt Stillhart. «Zudem verdienen Frauen weniger als Männer, obwohl sie trotz Teilzeit gleich viel leisten.»
Stillhart fordert: Bezahlt endlich die Hausarbeit!
Sie sieht zusätzlich für Frauen unfaire gesellschaftliche Werte als Hindernis: «Wer als Frau ganz aufhört mit der Erwerbsarbeit, gilt als ambitionslos und als nicht ganz ernst zu nehmen. Wer aber mehr als maximal 60 Prozent arbeitet, wird als ‹schlechte Mutter› gebrandmarkt und finanziell bestraft, weil die Kinderbetreuung dermassen teuer ist.» Im Alter würden Mütter obendrauf auch noch mit geringeren Renten bestraft. «Frauen können es in unserer Gesellschaft niemandem recht machen», ist deshalb Stillharts Fazit.
Um diese Ungerechtigkeit wenigstens etwas auszugleichen, hat sie einen Vorschlag: «Haus- und Betreuungsarbeit müssen entlöhnt werden. Und Pensionskassen sollten – wie es bei der AHV längst passiert – Betreuungsgutschriften einführen, damit Mütter eine existenzsichernde Rente erhalten», sagt Stillhart in ihrem neusten Buch «Schluss mit gratis». «Wir geben pro Jahr mehrere Milliarden Franken für Militär und Landwirtschaft aus – aber Kinder zu haben gilt als ‹privat›. Es wäre sinnvoller, Menschen zu unterstützen, die sich um ihre Familienangehörigen kümmern.»