Hastig schlüpft der blonde Junge in seine Turnschuhe. Zwei Freunde stehen zappelnd neben ihm, ziehen die Reissverschlüsse ihrer Jacken hoch. «Jetzt hast du sie schon wieder falsch rum angezogen!», sagt der eine. Der Blondschopf schaut an sich herunter, lacht und zuckt mit den Schultern – Hauptsache, schnell in den Garten, wo das U-Boot, die Schaufeln und das Piratenschwert warten.
Während die drei hinausstürmen, wo schon eine Zweijährige im Sand sitzt und mit patschigen Händchen eine Burg baut, diskutieren die anderen Kindergärtler noch, in welcher Ecke des grossen Hauses sie heute spielen wollen.
In der letzten Stunde haben die Kleinen fleissig Punkte auf Würfeln gezählt, gesungen und geschwatzt. Jetzt dürfen sie spielen, was und wo sie wollen: Wasseratelier, Verkäuferlis-Ecke, Malraum, Kissenburg? Oder doch lieber zu den kleinen Babys im dritten Stock, wo es nach Brei und gut gefüllten Windeln riecht?
Elf Buben und drei Meitschi besuchen seit August den ersten öffentlichen Ganztageskindergarten der Stadt Bern. Die Idee, Kinder dort zu betreuen, wo sie auch zur Schule gehen, gibt es schon länger. In Zürich und Bern soll das Angebot an Ganztagesschulen noch weiter ausgebaut werden.
Das Konzept des öffentlichen Ganztageskindergartens Altenberg aber ist neu: Hier wurde ein Kindergarten in eine bestehende Kita mit 33 Betreuungsplätzen integriert. Die Eltern können ihre Sprösslinge unter demselben Dach betreuen lassen, wo auch der Chindsgi ist. Damit will die Stadt Bern dem Bedürfnis der Eltern nachgehen, Beruf und Familie besser vereinbaren zu können.
Eltern müssen tief in die Tasche greifen für die Kita
Im Haus an der Aare, 1924 als Kindertagesstätte gebaut, gingen schon immer Kinder ein und aus: Das sieht man an den Plexiglasscheiben, den lustig geformten Fenstern und Mini-Toiletten. Im untersten Stockwerk lernen die Kindergärtler ersten Schulstoff, im Erdgeschoss spielen Zwei- bis Vierjährige Verkäuferlis, im Obergeschoss dösen Babys in von der Decke hängenden Tragetüchern, machen Kleinkinder erste Schritte.
Wenn die geführten Übungen im Kindergarten vorbei sind, geht es rund: Beim Znüni entscheiden sich die Kindergartenkinder für einen Spielort im Haus, die jüngeren aus der Kita dürfen den Kindergarten besuchen. Da schauen die Kleinkinder gebannt zu, wie die Grossen im Bällelibad tollen oder zeigen, was sie gelernt haben – und Buben, die sonst gern Rabatz machen, werden bei den Babys ganz ruhig. Kleinkinder krabbeln auf den Teppichen umher. Auf den Tischen liegen Nuggi, kleine Becher, Apfelschnitze. Der Boden ist mit Spielzeug, Kissen, Büchern übersät. Um elf Uhr setzen sich die Kindergärtler wieder in den Kreis. Während sie mit hellen Stimmchen ein Lied anstimmen, strömt bereits der Duft von gekochtem Gemüse aus der Küche. Die Kinder raten, was es wohl gibt: «Hoffentlich Spaghetti!»
«Es ist schön zu sehen, dass das Modell nicht nur auf Papier, sondern auch in der Praxis funktioniert», sagt Betriebsleiter Bruno Aeberhard. Der Verband Kinderbetreuung Schweiz sieht in der Kombination von Bildung und Betreuung das Modell der Zukunft. Allerdings hinken die meisten Städte und Landregionen mit der familienergänzenden Betreuung hinterher.
Ganz schön teuer
Ein weiteres Problem: Eltern müssen dafür noch immer tief in die Tasche greifen. Das ist auch im Altenberg nicht anders. Zwar wird der öffentliche Kindergarten durch Stadt und Kanton finanziert. Die Betreuung ausserhalb der Unterrichtszeit aber ist für die Etern kostenpflichtig – und viel teurer als im nahen Ausland. So kostet ein Kita-Tag in Zürich schon mal 66 Franken, in Frankreich oder Deutschland höchstens 27 Franken.
Rund 40 Prozent der Eltern hierzulande lassen ihre Kinder laut Bundesamt für Statistik fremdbetreuen. Lägen die Betreuungskosten tiefer, wären es 70 Prozent. So steht es in einer Studie von Infras und gfs.bern. Dann bekämen die Altenberg-Kinder vielleicht auch mehr Gspänli, die mit ihnen beim Zmittag an den Mini-Tischen sitzen, an möglichst kleinen Blättchen Salat knabbern und lachen, wenn einer lauthals verkündet: «Die weisse Sauce mag ich aber nicht!»