Lieder für die Kleinen boomen in der Schweiz
Laurent & Max machen Zukunftsmusik

1995 wurde mit «Heicho» von Schtärneföifi ein neues Genre geboren. Heute boomt die Kindermusik in der Schweiz. Zwei junge Zürcher versuchen, in einem bunten Business Fuss zu fassen.
Publiziert: 24.04.2018 um 14:33 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 15:36 Uhr
Laurent & Max erobern Kinderherzen
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Musik für Kinder:Laurent & Max erobern Kinderherzen
Dana Liechti

Ein Spielplatz in der Nähe des Zürichsees. Im Sandbecken sitzen zwei junge Männer. Einer mit Tattoos und aufgeschürftem Knie, der andere in Vintage-Jacke und Ringelsocken. Mit einer Kistentrommel zwischen den Beinen und Gitarre in den Händen. Nein, das sind keine Hipster, die sich einen Spielplatz zum Rumhängen aus­gesucht haben. Das sind Laurent & Max, die vielleicht nächste grosse Band für Kinder in der Schweiz.

Laurent Aeberli (26) und Max Kämmerling (25), nebenbei noch Velokurier (Laurent) und Musiker in andern Bands (Max), haben gerade ihr erstes Album «Greatest Hits» veröffentlicht. Darauf 14 Lieder, die Melodien von altbekannten Songs mit Texten für ein ganz ­junges Publikum verbinden. In Mundart. 

So wird aus «Mamma Mia» von Abba ein Tschutti-Lied über das ­Dilemma eines Goalies, der lieber Stürmer wäre. Aus Queens «We Will Rock You» wird «Mir wänd Schoggi», ein Song über ekliges ­Gemüse und bessere Schokolade, oder aus «Wrecking Ball» von Miley Cyrus «Id Badi gah». Da heisst es dann «D Miley wot id Badi gah, ganz obe uf de Sprungturm stah, und abe gahts denn kopfsvorah, am liebste macht si de Seema.»

Laurent Aeberli (links) hat sich bei einem Velorennen am Knie verletzt. Max Kämmerling findet es (wieder) lustig. Die beiden kennen sich schon lange, aber nicht seit dem Kindergarten – von Schürfwunden aus Kindertagen müssen sie sich also erzählen.
Foto: Siggi Bucher

Marktanteil der Kindermusik steigt stetig

Laurent & Max versuchen in einen Markt einzudringen, der boomt. Zahlen, die das Marktforschungs­unternehmen GfK Entertainment im Auftrag des Verbands der Schweizer Musiklabels (Ifpi) erhoben hat, zeigen: Das Kindermusik-Genre ist eines der wenigen in der krisengeplagten Musikbranche mit kontinuierlich wachsendem Marktanteil. Von 2007 bis 2017 hat sich dieser von 0,5 auf 8 Prozent erhöht. Auch die Anteile im Streaming- und Downloadmarkt steigen stetig.

Mit Kindern lässt sich noch Geld verdienen: Die Alben des Kinderchors Schwiizergoofe hielten sich seit 2013 insgesamt 553 Wochen in den Charts. Damit sind sie auf dem Schweizer Musikmarkt etwas vom Erfolgreichsten überhaupt. Zahlreiche Kulturinstitutionen wie das Opernhaus und das Kammerorchester Zürich setzen auf die Kleinen. Viele Festivals für Erwachsene veranstalten als Ergänzung Nachmittagsprogramme für Kids. Auch Laurent & Max spielen dieses Jahr an den Winterthurer Musikfestwochen.

Der Boom um die Kindermusik begann hierzulande in den Nullerjahren. Heute ist die Schweiz in diesem Genre führend. Das sagt einer, der sich in der Szene auskennt. Michael Furler (58), Initiator und Veranstalter des Lilibiggs-Festivals, sagt: «Eine so vielfältige, lebendige und grosse Kindermusik-Szene gibt es in ganz Europa kein zweites Mal.»

Schtärneföifi, Linard Bardill, Andrew Bond sind Stars

Jedes Kind kennt Bands wie Marius & die Jagdkapelle, Silberbüx, Leier­chiste und Künstler wie Ueli Schmezer und Bruno Hächler. Schtärneföifi, Linard Bardill, Andrew Bond sind Stars. In den letzten 15 Jahren entstanden ­Openairs, die jährlich 40 000 Besucher anzogen. Grosse Firmen wie die Migros finanzierten sie, um Zugang zum lukrativen Fami­lienmarkt zu erlangen.

Der ­Erfolg wurde fast zu gross: Kindermusik ist in der ganzen Deutschschweiz omnipräsent. Weil die Stars der Szene heute überall auftreten, fehlt dem exklusiv für Kinder organisierten Lili­biggs Festival irgendwann das Publikum. 2015 wird es eingestellt.

Die Geburtsstunde der modernen Schweizer Kindermusik hatte 1995 geschlagen. Auf der ersten «Ohre­würm»-CD veröffentlichten namhafte Bands Songs für Kinder. Darauf der Riesenhit «Heicho» der Punkrock-Band Baby Jail. Das Lied kam so gut an, dass Baby Jail fortan als Kindermusik-Band Schtärneföifi spielten.

Auch Aeberli und Kümmerling ­sangen als Chansonniers erst für Erwachsene. Als sie vor ein paar Jahren an einem Festival spielen wollten und nur noch ein Nach­mittags-Slot mit Familienpublikum ­offen war, mussten sie umplanen. Die beiden Zürcher schrieben drei Songs für Kinder. Und das kam gut an: «Die Leute haben uns motiviert weiterzumachen.» Als Laurent & Max spielen sie seither an Quartierfesten oder in Horts, manchmal auch in Schulen. «Einige Lehrer singen unsere Songs sogar mit ­ihren Schülern», erzählt Kämmerling.

Im Sandbecken des Zürcher Spielplatzes spielen Laurent & Max ein paar ihrer Mundart-Lieder.
Foto: Siggi Bucher

«Wir wollen einfach gute Musik mit Witz machen»

Ein fixes Ziel haben sich Aeberli und Kämmerling nicht gesetzt. Nur eines ist ihnen wichtig: «Wir wollen keine grosse Show abziehen, einfach gute Musik mit Witz machen.» Vorbilder hätten sie zwar keine, als Kinder aber beide gerne Schtärneföifi gehört.

Leben können Laurent & Max von der Musik für die Kleinen noch nicht. Die grossen Namen in der Schweiz aber schon. Mit dem Boom ­stiegen die Gagen. Von 500 auf zwischen 3000 und 5000 Franken pro Auftritt. Die Schweizer Kindermusik ist heute breit gefächert. Kommerzielle, aufwendiger produzierte Formate wie Papagallo & Gollo oder die Schwiizergoofe kommen gut an. Sie ­setzen auf Show und ­Interaktivität. Da knallt, funkelt, raucht es auf der Bühne. Der Erfolg der Schwiizergoofe ist kein Zufall. Produziert werden sie von Hitmill, dem erfolgreichsten Musiklabel der Schweiz.

Leisere Töne schlagen Laurent & Max an. Ihre Lieder sind mal trotzig, mal witzig, mal nachdenklich – und sprechen den meisten Kindern aus der Seele. «Wir wollen subjektiv darstellen, wie ein Kind etwas erlebt, keine pädagogische Funktion erfüllen.» Lieber singen Aeberli und Kämmerling darüber, wie fest es nervt, dass man in der Schule nicht auf dem Stuhl hin und her wackeln darf. «Vielleicht ver­arbeiten wir in unseren Songs auch ein paar eigene Kindheitstraumata», witzeln sie.

Doch Kinder sind nicht ihr einziges Publikum. Konzerteintritte und CDs kaufen die Eltern. «Unsere Songs sollen auch ihnen gefallen, immer Witz haben und manchmal doppeldeutig verstanden werden können.»

Auf dem Spielplatz sind Laurent & Max die Stars

Damit springen die beiden auf ­einen Trend auf, der in anderen ­Bereichen der Unterhaltungsin­dustrie bereits funktioniert: Auch Animationsfilme wie «Ice Age» oder Jugendliteratur wie «Harry Potter» faszinieren Kinder – und halten für die Eltern eine zusätzliche Unterhaltungsebene bereit.

Im Sandbecken in Zürich sitzend besprechen Laurent & Max leise, welches Lied sie anstimmen wollen. Sie entscheiden sich für «Zweierreihe». Eine Neuinterpretation von «Sweet Home Alabama». Ein Lied über das mühsame Reihenbilden auf den Schulreisli (und wie daraus manchmal eine kleine Liebes­geschichte entstehen kann, wenn man mit dem richtigen Kind zusammen­gewürfelt wird).

Und plötzlich sind Rutschbahn, Sandburgen und Klettergerüst nicht mehr so spannend. Ein kleines Mädchen, erst ein paar Monate alt, juchzt und strampelt mit den Beinchen. Immer mehr Kinder bilden einen Kreis um Laurent & Max. Hie und da lachen sie laut auf. Klopfen ihre kleinen Schaufeln im Takt der Musik aufeinander. Einigen anwesenden Eltern entweicht ab und zu ein kleiner Lacher ob der Texte. Nach dem spontanen Mini­konzert werden Aeberli und Kämmerling gefragt, wo man ihre Musik finde.

Auf dem Spielplatz in Zürich haben es die beiden jungen Musiker geschafft. Vielleicht sind sie tatsächlich die nächste grosse Hoffnung einer neuen Generation klassischer Kinderliedermacher in der Schweiz. Ohne grosse Show, aber mit viel Sinn für Geschichten, die Kinder hören wollen.

«Greatest Hits» von Laurent & Max (Lauter)

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Erfolgs-Einmaleins

553 Wochen

So lang hielten sich die 12 Alben, die die Schwiizergoofe seit 2013 veröffentlicht haben, in den Schweizer Charts. Kein Wunder: Initiatorin des Projekts, an dem schon über 1500 Kinder mitgemacht haben, ist Nikol Camenzind (Hitmill), die Frau des erfolgreichsten Schweizer Popmusik-Produzenten Roman Camenzind.

40 000

So viele Kinder und ihre Eltern besuchen jedes Jahr Openairs, die extra für Kinder ausgerichtet werden. Bis 2015 gab es zwei grosse Festivals, jetzt findet nur noch das Kinderland Openair statt. In 15 Jahren besuchten rund 400 000 Kindermusik-Fans
das Openair.

8

...Prozent Marktanteil hat Kindermusik (dazu gehören auch Hörbücher) 2017 im Schweizer Musikmarkt verzeichnet. 2007 waren es erst 0,5 Prozent. Auch Download- und Streaminganteile steigen seit Jahren kontinuierlich. Das zeigen Zahlen, die das Marktforschungsunternehmen GfK Entertainment im Auftrag des Verbands der Schweizer Musiklabels (Ifpi) erhoben hat.

553 Wochen

So lang hielten sich die 12 Alben, die die Schwiizergoofe seit 2013 veröffentlicht haben, in den Schweizer Charts. Kein Wunder: Initiatorin des Projekts, an dem schon über 1500 Kinder mitgemacht haben, ist Nikol Camenzind (Hitmill), die Frau des erfolgreichsten Schweizer Popmusik-Produzenten Roman Camenzind.

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...Prozent Marktanteil hat Kindermusik (dazu gehören auch Hörbücher) 2017 im Schweizer Musikmarkt verzeichnet. 2007 waren es erst 0,5 Prozent. Auch Download- und Streaminganteile steigen seit Jahren kontinuierlich. Das zeigen Zahlen, die das Marktforschungsunternehmen GfK Entertainment im Auftrag des Verbands der Schweizer Musiklabels (Ifpi) erhoben hat.

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