Bei uns hat die Schuluniform einen schweren Stand
Kleider machen Schüler

Früher hoben sich Eliteschüler mit ihr ab, heute soll sie Unterschiede ausgleichen: Die Schuluniform. Bei uns greift das Erfolgsmodell nicht.
Publiziert: 24.08.2017 um 16:08 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 10:10 Uhr

Weisses Hemd, Krawatte, Jackett und eine assortierte kurze Hose – so stürmt AC/DC-Gitarrist Angus Young (62) jeweils auf die Bühne und elektrisiert das Publikum. Manchmal trägt der kleine Mann (1,57 Meter) noch einen Schulthek auf dem Rücken und zieht derart unschuldig angezogen eine teuflische Show ab.

Im Internet können junge Hardrockfans eine von der Band lizenzierte Schuluniform für einen Fasnachtsauftritt kaufen. Doch mit ­einem solchen Einheitslook für alle in den Unterricht? Lieber nicht. Vor allem Jugendliche sind strikt dagegen – zumindest in der Schweiz.

2011 haben sich Schülerinnen und Schüler der Nationalen Kinderkonferenz in Uster ZH für «ein klares Nein zur Schuluniform» ausgesprochen und die Resolution dem Bundesparlament zugestellt.

Positive Effekte

Einen Feldversuch von 2006 mit 14-Jährigen an der Weiterbildungsschule (WBS) Leonhard in Basel gab man nach einem Jahr wieder auf. «Habt ihr schon genug von der Uniform?», fragte die ­«Basler Zeitung» die Teenager. «Ja, ich schon», antwortete eine Schülerin, «es ist mir wichtig, dass ich meinen eigenen Stil tragen darf.»

Dabei bescheinigt eine neue Studie aus dem kalifornischen Long Beach der Schuluniform eine äusserst positive Wirkung: weniger Gewalt, weniger Mobbing. Die Fälle von Vandalismus in Schulen gingen um 70 Prozent zurück, Tätlichkeiten unter Schülern um 85 Prozent und sexuelle Übergriffe gar um 90 Prozent. Die Schüler schwänzten seltener (minus 47 Prozent), und die Lehrerschaft sprach kaum noch Schulverweise aus (minus 90 Prozent).

Genau dreissig Jahre ist es her, dass die Uniform an den öffentlichen US-Schulen eine Renaissance erlebte – an vornehmen Privatschulen und in Internaten war sie nie ausgestorben. Grund war ein Vorfall an einer Highschool in Baltimore (Maryland), der die ganze Nation erschüttert hatte: Ein Schüler starb im Streit um eine gut 100 Dollar teure Sonnenbrille, die ihm ein Mitschüler stehlen wollte.

Kostspielige Markenprodukte sind ein Mittel, durch das sich ­Jugendliche von Gleichaltrigen ­abheben: «Ich kann es mir eben leisten.» Wer allerdings auf das falsche Label setzt, kann tief fallen: Die Klasse grenzt ihn aus. «Kleider ­machen Leute» schrieb Gottfried Keller vor gut 150 Jahren. Hier hiesse es besser: «Kleider machen Leute fertig.»

Bill Clinton und die Rückkehr der Schuluniformen

Um solchen Exzessen entgegenzuwirken, förderte vor allem die Regierung unter US-Präsident Bill Clinton die Einheitskleidung und erliess 1996 ein «Manual on School Uniforms». «Wir sollten im Interesse unserer Kinder jeden Schulbezirk unterstützen, der Uniformen einführen will», sagte Bill Clinton. Denn wo Kleider nicht mehr Statussymbol sind, verschwinden sie als Thema. Statt Jeansstoff steht Lernstoff im Fokus.

Die Ära von US-Präsident Barack Obama begünstigte den Einheitslook weiter: Die Zahl der öffentlichen Schulen, an denen Uniformen vorgeschrieben sind, hat in den letzten zehn Jahren um 50 Prozent zugenommen. Heute geht in den USA jeder vierte Jugendliche mit Schulkleidern in den Unterricht, an öffentlichen Schulen ist es immerhin jeder fünfte.

Die historischen Wurzeln der Schuluniform liegen in der ehemaligen US-Kolonialmacht Grossbritannien: Seit dem 16. Jahrhundert verbreitete sich der Gedanke der einheitlichen Kleiderordnung von Cambridge über die ganze Insel aus. Ursprünglich, um die geistige Überlegenheit der Eliteschüler zur Schau zu stellen. Von der Mutternation verbreitete sich die Schuluniform in allen ­Kolonien. Und manche haben die Vorschrift nach der Unabhängigkeit beibehalten, namentlich Indien, Singapur, Hongkong, Südafrika, Neuseeland und Australien.

So wuchs auch Angus Young im ­Sydney der 1960er-Jahre mit der Schuluniform auf. Ohne sich umzuziehen, soll er jeweils in die ­Garage gegangen sein, um mit seinen Bandkollegen zu üben, so die Legende. Tatsache ist: Seit der Gründung von AC/DC sind Blazer und kurze Hose sein Markenzeichen – seit über 40 Jahren. Mittlerweile besitzt Young Hunderte verschiedener Modelle, die sich vor ­allem in der Farbe unterscheiden.

Ansonsten wirken sie recht bieder. «Meine Schuluniform ist nicht cool», sagte der Musiker in einem Interview, «die soll nur schlicht und praktisch und strapazierfähig sein.» Schliesslich muss sie «Hells Bells» und «TNT» überstehen.

Keine Uniform, dafür ­Kleidervorschriften

Nur einer Sprengkraft kann die Uniform nicht widerstehen: dem Widerwillen der Schülerinnen und Schüler. Während sich 90 Prozent der Lehrer und 50 bis 70 Prozent der Eltern für die Einheitskleidung aussprechen, sind die Jugendlichen mehrheitlich dagegen, zumindest in gemischten Schulen, wo es auch darum geht, dem anderen Geschlecht zu gefallen.

An der WBS Leonhard in Basel startete im August 2007 das Folgeprojekt «Schulkleidung 2». Die ­Abmachung: Mittwochs tragen alle Uniform. Kaum je mehr als die Hälfte hielt sich daran. Schweizweites Fazit aus dem Versuch: Wenn schon nicht Einheitslook, dann wenigstens keine modischen Ausreisser.

So sind in Kreuzlingen TG Spaghetti-Träger verboten, in Embrach ZH T-Shirts mit beleidigender, rassistischer oder sexistischer Aufschrift und in Steinen SZ Hotpants. «Wir wollen die männlichen Lehrerschaft schützen», sagte die Schulleitung dem BLICK. «Es ist schwierig, bei den heutigen Kleidern wegzuschauen.»

Da hilft Tarnkleidung, denn die will per Definition nicht auffallen. Doch auch die ist an der Sekundarschule Sandbänkli in Bischofszell TG untersagt: Wenn die Jugendlichen schon keine Schuluniform wollen, dann sollen sie sicher nicht in Militäruniform antreten.

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