Über 36 Grad ist es in der dürftigen Behausung von Familie Goiris Giménez, aus dem Garten huscht ein Huhn herein. Das Ehepaar Juan (85) und Josefa (84) sitzt mit seinem Gast, der SRK-Botschafterin Laetitia Guarino (30) am Küchentisch. Juanita, wie ihre Eltern ihre Tochter liebevoll nennen, läuft im Kreis herum, eine Runde nach der andern: Die 39-Jährige hat eine schwere Form von Autismus, sie spricht nicht, lebt in ihrer Welt.
«Sie ist aufgeregt, eine fremde Person ist sie nicht gewohnt», erklärt der Vater. Die drei unterhalten sich, lachen. Plötzlich setzt sich Juanita auf Mutters Schoss – und nach einem Weilchen greift sie nach Guarinos Hand. «Das hat Juanita früher nie gemacht.» Früher – das war, als die Eltern ihre Tochter daheim eingesperrt haben.
Seit 2018 ist Laetitia Guarino eine der Botschafterinnen des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK). 2015 war die Waadtländerin Miss Schweiz, heute arbeitet sie als Assistenzärztin in der Klinik für Plastische- und Handchirurgie des Inselspitals Bern.
Zum Schutz aller
Als Botschafterin sei es ihr wichtig, vom SRK finanzierte Projekte direkt vor Ort anzuschauen, sagt Guarino. Diesmal ist sie dafür nach Paraguay gereist, ein im Vergleich zu seinen Nachbarn Bolivien, Brasilien und Argentinien kleines und unbekanntes Land. Seit 1977 unterstützt das SRK benachteiligte Menschen vor allem in ländlichen Gebieten von Paraguay. Seit der Corona-Pandemie und aufgrund des Klimawandels sind sie noch stärker von Armut betroffen.
Und so ist Laetitia Guarino entlang von Mais- und Sojafeldern nach Laguna Negra gereist, einem Bauerndorf im Osten der Hauptstadt Asunción. Dort ist die Familie Goiris Giménez zu Hause. Ihr Leben haben die Eltern von sieben Kindern als einfache Bauern bestritten.
Tochter Juanita verhält sich seit Geburt speziell. Im Alter von zwölf wird bei ihr die höchste Stufe von Autismus diagnostiziert. Was diese Entwicklungsstörung ist, sagt den Eltern niemand, Geld für Beratung und Medikamente haben sie nicht. Lange Zeit, erzählt Juanitas Vater der Schweizer Besucherin, seien seine Frau und er im Glauben gewesen, Juanitas Leiden komme von Stromleitungen. «Wir hatten keine Ahnung, wie mit ihrem speziellen Wesen umzugehen.» Laetitia Guarino hört aufmerksam zu, fragt, wie sich Juanita verhalten habe.
Das Leben mit ihr sei schwer zu ertragen gewesen, sagt die Mutter. Immer wieder riss sich Juanita die Kleider vom Leib, lief nackt herum, schrie stundenlang, schlug um sich. Damit ihre Tochter nicht im Dorf herumirrte, versahen die Eltern ihr Haus mit Gittern und aus Scham mit einem Sichtschutz. Die Mütter im Dorf drohten ihren Kindern: Wenn ihr nicht gehorcht, werdet ihr mit Juanita eingesperrt! Josefa: «Wir waren völlig überfordert, oft am Ende unserer Kräfte.»
In Paraguay setzt sich das Schweizerische Rote Kreuz gemeinsam mit dem Paraguayischen Roten Kreuz für die Verletzlichsten ein. Mit Workshops und «Safe Spaces» an Schulen und in Dörfern verbessert es ihre Lebenssituation und psychische Gesundheit nachhaltig.
Schenke Kindern und Familien mit einer Spende eine gesunde Zukunft in einem geborgenen Umfeld ohne Unterdrückung und soziale Ausgrenzung.
Spenden
Postkonto 30-9700-0
IBAN CH97 0900 0000 3000 9700 0
In Paraguay setzt sich das Schweizerische Rote Kreuz gemeinsam mit dem Paraguayischen Roten Kreuz für die Verletzlichsten ein. Mit Workshops und «Safe Spaces» an Schulen und in Dörfern verbessert es ihre Lebenssituation und psychische Gesundheit nachhaltig.
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Zum Glück kam vor einem Jahr Yannylce Ortiz (41) vorbei. Die einheimische Psychologin arbeitet als Freiwillige beim Paraguayischen Roten Kreuz und hatte von der Situation vernommen. «Als ich Juanita zum ersten Mal sah, war sie nackt, dehydriert und abgemagert. Die Eltern behandelten sie wie ein Baby. Aus Unwissen.» Ortiz klärt die Eltern auf, bringt ihnen Medikamente mit, bezahlen müssen die Eltern nichts.
Dank der Medikamente schläft Juanita nun durch, auch tagsüber ist sie ruhiger. Juanita behält die Kleider an, die Mutter massiert ihr die steifen Hände – so kann ihre Tochter nun selber essen und trinken. «Nun kann Juanita leben. Auch uns gehts viel besser.»
Jeden Mittwoch schaut Ortiz bei der Familie vorbei, fragt, berät, macht mit Juanita einen Spaziergang. Heute streckt Juanita auch Guarino die Hand entgegen. Hand in Hand gehen die drei durchs Dorf. Juanita summt vor sich hin, es tönt vergnügt. Die Kinder haben keine Angst mehr vor Juanita, sie ist nun akzeptiert.
Denn die Rotkreuz-Freiwillige hat auch die Dorfbevölkerung sensibilisiert. Bei einem solchen Workshop ist auch Laetitia Guarino dabei. Eine Frau erzählt, Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch zu sein. Guarino ist erschüttert: «Gut, haben die Frauen jemanden, dem sie sich anvertrauen können.»
Gewalt ist an der Tagesordnung
«Auch viele Kinder und Jugendliche erleben das regelmässig am eigenen Leib», sagt Ortiz, als Guarino die Dorfschule von Virgilio Barrios besucht. Dort unterrichten Rotkreuz-Freiwillige die Lehrpersonen, damit diese Alarmsignale bei gewaltgefährdeten Kindern erkennen. Den Kindern raten die Freiwilligen, bei häuslicher Gewalt die Notrufnummer 147 zu wählen.
Auch in der Schule findet Laetitia Guarino rasch Vertrauen. Eine Achtjährige erzählt ihr, dass sie von einem Onkel missbraucht wurde. «Es tut mir gut, dass ich das den Rotkreuz-Freiwilligen anvertrauen konnte. Wir alle sind ihnen dankbar.» Lehrer Lidio de Jesus Britos: «Seit die Freiwilligen psychologische Hilfe leisten, ist die Stimmung unter den Kindern besser. Und sie lernen schneller.» 77 Freiwillige hat das Rote Kreuz landesweit ausgebildet; ihre Erfahrungen werden nun in Uruguay und Argentinien weitergegeben.
Die Begegnung mit Juanita und ihren Eltern habe ihr gezeigt, was wichtig ist im Leben, sagt Guarino auf dem Heimweg in die Schweiz. «Sich Zeit nehmen und Augen und Herz auf!»