Von «fantastisch» bis «Jahrhundert-Jahrgang»
Grosse Euphorie bei den Schweizer Winzern über 2023

Das aktuelle Weinjahr hat den Schweizer Winzerinnen und Winzern viel abverlangt. Was kam dabei heraus? Und welchen Einfluss hatte der wärmste Erntemonat September seit Messbeginn? Wir haben bei führenden Weingütern nachgefragt.
Publiziert: 01.11.2023 um 14:06 Uhr
|
Aktualisiert: 10.10.2024 um 15:00 Uhr
1/12
Der dreifache Winzer des Jahres, Diego Mathier aus Salgesch VS, überprüft die Qualität der angelieferten Trauben.
Foto: ALAIN KUNZ

Die ersten Weine des Jahrgangs 2023 sind bereits fertig. Was bringen die Schweizer Winzerinnen und Winzer in diesem Jahr in die Flaschen? Wir haben bei sieben Topbetrieben nachgefragt. Das Echo ist überall dasselbe: 2023 war ein herausforderndes Weinjahr mit oftmals grossartigen Ergebnissen.

Francisca und Christian Obrecht, Weingut Obrecht, Jenins GR

«Einfach fantastisch, was jetzt für Säfte mit Jahrgang 2023 im Keller schlummern. Die Saison war in Jenins sehr fordernd. Eine sehr lange Trockenphase wurde Ende August jäh mit einem heftigen Gewitter und Hagelschlag beendet. Diese ausserordentlichen Wetterereignisse haben Mensch und Rebe sehr gefordert. Umso erfreulicher festzustellen, dass dank rigoroser Sortierung nun faszinierend tiefgründige Jungweine entstehen. 2023 wird für uns ein Wein mit einem äusserst spannenden Charakter, bei dem Tiefe und Filigranität, Frucht und Würze wunderbar kontrastieren!»

Tom Litwan, Oberhof AG

«Die Hitzeperiode Ende August bleibt mir besonders im Gedächtnis, da sie meinen Pinot-noir-Reben stark zusetzte. Vor allem an den exponierten Lagen verloren die Trauben an Flüssigkeit und begannen auszutrocknen. Daher war es notwendig, bereits im Weinberg eine strenge Selektion vorzunehmen. Anfang September war die phenolische Reife vieler Pinots noch lange nicht erreicht, weshalb ich mit der Weinlese abwartete. Im Gegensatz dazu begannen einige meiner Kollegen mit der Lese ihrer Rotweintrauben, während ich mich zu diesem Zeitpunkt ausschliesslich auf die Trauben für Schaumweine konzentrierte. Für meine Lagen-Pinots startete die Weinlese erst am 22. September mit der Lage 'Auf der Mauer'. Am 13. Oktober wurden die letzten Trauben für den Herznach Chraibel geerntet. Aufgrund der strikten Selektion lagen die Erntemengen zwischen 20 und 50 Prozent unter einem normalen Jahrgang und landeten am Ende zwischen 15 bis 20 Hektolitern pro Hektar. Die 2023er Pinot Noirs weisen eine beeindruckende Struktur und Substanz auf, die sie für eine lange Lagerung in der Flasche prädestiniert. Alkoholwerte schwanken zwischen 13,5 und 14 Prozent. Die Chardonnays sind ebenfalls sehr gelungen und weisen weniger starke Ertragseinbussen auf. Für mich war 2023 erneut eine grosse Herausforderung, bei der Erfahrung wichtiger war denn je. Abwarten birgt immer gewisse Risiken, aber für meine Weine hat sich diese Strategie dieses Jahr vollends ausgezahlt.»

Weinbau Markus Ruch, Neunkirch SH

«Es war ein herausforderndes, untypisches Weinjahr 2023. Viel Regen im Frühling, während dem Sommer hatten wir sehr viele Sonnenstunden mit wenig Niederschlag und dann den wärmsten September seit Messbeginn. Wir konnten von Mitte September bis Mitte Oktober ausgezeichnete Traubenqualität und Quantität ernten. Wir sind sehr zuversichtlich und gespannt, wie sich die Weine in unserem Keller weiterentwickeln.»

Anna Barbara Kopp von der Krone und Paolo Visini, Barbengo TI

«Wir sind zuerst mal froh, dass der Wümmet gut zu Ende ging! Generell war 2023 im Tessin ein eher schwieriges und sehr arbeitsaufwendiges Jahr. Es hat viel geregnet, oft heftig, teils von Hagel begleitet, die Luftfeuchtigkeit war dadurch meistens hoch, ideale Bedingungen für falschen Mehltau … Je nach Lage der Parzelle war es deshalb besonders bei Merlot eine grosse Herausforderung, die Reben und Trauben gesund zu erhalten. Nicht überall gelang das gut, deshalb kam es in einigen Lagen zu Ertragsausfall. In anderen Lagen war der Ertrag sehr gut, die späten Sorten konnten dank dem schönen Wetter gegen Ende September super ausreifen. Mit der Qualität sind wir durchwegs sehr zufrieden.»

Yvon Roduit, Cave La Rodeline, Fully VS

«2023? Ein aussergewöhnlicher und vielversprechender Jahrgang. Der Frühling war mild mit durchschnittlichen Niederschlägen. Der falsche Mehltau, der sich dann doch gebildet hat, verschwand klimatisch bedingt schnell. Überhaupt waren die Temperaturen höher als im langjährigen Schnitt. Wegen Trockenheit mussten wir bewässern, Tropfen um Tropfen. Alles gut also, bis zum Starkhagel im Mai, der in der Region Fully 30 bis 40 Prozent der Trauben beeinträchtigte. Weil die Früchte noch keinen Zucker gebildet hatten, heilten sich die meisten nach dem Einsatz biodynamischer Präparate von selbst. Am Ende war die Ertragsmenge sogar normal! Die Lese erfolgte bei optimalen Bedingungen, weshalb am Ende die Qualität der Trauben exzellent und mit 2022 vergleichbar war. Die ersten Verkostungen ergaben ein tolles Bild: tonische Weine mit grosser Trinkigkeit. Man muss sich einfach bewusst sein, dass die wiederum grosse Hitze und starke Trockenheit von den Winzern alles abverlangt, um die Früchte vor der Sonne zu schützen. Da braucht es wohl irgendwann neue Ansätze.»

Louis-Philippe Burgat, Domaine de Chamblaeu, Colombier NE

«Der Sommer warm und trocken, dennoch gab es im Bio-Weinbau bis Juni einige Probleme mit falschem Mehltau. Die Blüte war derart grosszügig, dass wir im Juli zurückschneiden mussten. Dank einigen Gewittern während des heissen Sommers litten die Pflanzen nicht zu sehr unter Trockenstress. Die Lese bei perfekten Wetterbedingungen dauerte lange, weil die Terroirs mit wenig Trauben sehr schnell reiften. Pinot lasen wir zwischen dem 12. und 18. September. Die ertragreicheren Rebsorten hingegen haben mehr Zeit gebraucht, so dass wir den Chasselas erst in der ersten Oktoberwoche lasen. Der Zuckergehalt war überall hoch und die Erträge der gesunden Früchte reichlich. Die alkoholische Gärung ist problemlos losgegangen und auch die malolaktische hat schnell eingesetzt. So sind viele Weine jetzt schon fertig. Und zwar mit einer schönen Säure bei einem Alkoholgehalt von 13,5 Volumenprozent bei den Pinot Noirs, was super ist!»

Diego Mathier, Nouveau Salquenen AG, Salgesch VS

«Das war ein ganz spezielles Jahr. Kurz vor der Ernte, Mitte September, haben wir noch sechzig Liter Wasser erhalten. Es bestand die Gefahr von Fäulnis und Aufplatzen der Beeren. Wir haben die Ruhe bewahrt und die ersten zehn Tage quasi nichts geerntet. So ist das Wasser wieder aus den Trauben herausgekommen. Entstanden sind Konzentrate, die ihresgleichen suchen! Es ist ein absoluter Spitzenjahrgang geworden. Die Topjahrgänge der 120 Jahre waren 1911, 1929, 1947, als das Klima genau gleich war wie heuer mit Wasser Anfang Ernte und mit Oktober-Temperaturen von 25 bis 35 Grad. Dann 1982 und nun 2023. Ein absoluter Jahrhundert-Jahrgang. Freut Euch auf das, was in den Walliser Kellern schlummert.»

Tipp: Sieben Topweine der sieben Superwinzer

Es gibt Gründe, weshalb Blick diese sieben Winzer zum Jahrgang 2023 befragt hat. Sie gehören alle zur Crème de la Crème der Schweizer Weinmacherei. Der Beweis? Die Verkostungsergebnisse der Topweine. Hier sind sie:

  • Nature Blanc Brut Weingut Obrecht, Jenins GR 2019: Tolle briochige Nase, Hefe, Zitrus, knackige, viel Säure, schöne feine Perlage, die fast überschäumt, herb, kräuterwürzig, Kraft, füllt alles aus, champagnesk, tolles Finale. Score: 18,5/20 (52 Franken. www.terravigna.ch).
  • Pinot Noir Hallau Chölle Weinbau Markus Ruch Neunkirch SH 2021: Sehr schöne, leicht erdig-mineralische Nase, recht sortentypisch, Kirschen, Kräuter, stringent und doch mit etwas Charme, Tiefe, knackige, Säure, stoffige Tannine, Johannisbeeren, sehr frisch, Minze, tolles Finish. Score: 18/20 (37.50 Franken. www.cultivino.ch).
  • Pinot Noir Haghalde Litwan Wein Oberhof AG 2020: Leichte Flintstone-Note, sehr mineralisch, herbal, enorm expressiv, in der Tendenz rote Beeren, Tiefe, total elegant, feingliedrig, Unterholz, Pilze, Mundfülle, eigenständig, sehr typisch, burgundisch anmutender Terroirwein mit enorm langem Finish. Score: 18,75/20 (49 Franken. www.vinothek-brancaia.ch)
  • Balin Cantina Kopp von der Crone Visini Barbengo TI 2021 (v.a. Merlot, Foto): Verhaltene Nase, ein Hauch Chriesi und Kräuter, also sortentypisch, elegant, schlank, total easy und leichtfüssig, ätherisch, wirkt fast zerbrechlich, ein Pinot-mässiger Merlot mit unendlicher Länge. Score: 18,5/20 (49 Franken. Erhältlich ab 13. November unter www.cantinabarbengo.ch).
  • Blanc d’Y Cave La Rodeline Fully VS 2021 (Assemblage aus Marsanne und Roussanne): Leicht medizinal, sehr floral, Marzipan- und Wachsnase, ausladend, rechte Säure, viel Frucht, vor allem Agrumen wie Mandarinen, total frisch, ätherisch, elegant, sensationell lang. Score: 18/20 (40 Franken. www.rodeline.ch).
  • L’Audacieux Domaine de Chambleau Colombier NE 2021 (Ein Hundert-Prozent-Divico als Abwechslung, damit auch mal was Anderes vorgestellt wird als Pinot Noir, denn der absolute Topwein der Domaine ist natürlich der Pinot Pur Sang. Jahrgang 2020: 18/20): Extremes Konzentrat! Kein Wasserrand, etwas Kuhfladen, leicht schweflig, dunkle Frucht, Tiefe, viel Säure, rechte Tannine, Brombeeren, Zwetschgen, Cassis, sehr schlank, aber auch Vorwärtsdrang, ätherisch, Mundfülle, sehr jugendlich, tolles Finish. Score: 17,5/20 (35 Franken. www.chambleau.ch).
  • Ambassadeur Fumé Gros Rhin de Chamoson Adrian & Diego Mathier Rouleau Salquenen AG Salgesch VS 2022 (Silvaner aka Johannisberg) : Tolle gelbfruchtige Nase, Kräuterwürze, mineralisch, Schmelz, Power, Tiefe dezente Säure, floral, ausladend, ätherisch, Mundfülle, Vegetabiltouch, Röstaromen im langen Abgang. Score : 18/20 (28 Franken. www.mathier.com). Die Weine von Mathier können bis 5. November an der Zuger Messe verkostet werden.

(A.Ku.)

Der 21er reit sich ein in die Galerie grosser Balins. Anna Barbara von der Crone und Paolo Visini dürfen stolz auf ihr kleines Meisterwerk sein.
ALAIN KUNZ

Es gibt Gründe, weshalb Blick diese sieben Winzer zum Jahrgang 2023 befragt hat. Sie gehören alle zur Crème de la Crème der Schweizer Weinmacherei. Der Beweis? Die Verkostungsergebnisse der Topweine. Hier sind sie:

  • Nature Blanc Brut Weingut Obrecht, Jenins GR 2019: Tolle briochige Nase, Hefe, Zitrus, knackige, viel Säure, schöne feine Perlage, die fast überschäumt, herb, kräuterwürzig, Kraft, füllt alles aus, champagnesk, tolles Finale. Score: 18,5/20 (52 Franken. www.terravigna.ch).
  • Pinot Noir Hallau Chölle Weinbau Markus Ruch Neunkirch SH 2021: Sehr schöne, leicht erdig-mineralische Nase, recht sortentypisch, Kirschen, Kräuter, stringent und doch mit etwas Charme, Tiefe, knackige, Säure, stoffige Tannine, Johannisbeeren, sehr frisch, Minze, tolles Finish. Score: 18/20 (37.50 Franken. www.cultivino.ch).
  • Pinot Noir Haghalde Litwan Wein Oberhof AG 2020: Leichte Flintstone-Note, sehr mineralisch, herbal, enorm expressiv, in der Tendenz rote Beeren, Tiefe, total elegant, feingliedrig, Unterholz, Pilze, Mundfülle, eigenständig, sehr typisch, burgundisch anmutender Terroirwein mit enorm langem Finish. Score: 18,75/20 (49 Franken. www.vinothek-brancaia.ch)
  • Balin Cantina Kopp von der Crone Visini Barbengo TI 2021 (v.a. Merlot, Foto): Verhaltene Nase, ein Hauch Chriesi und Kräuter, also sortentypisch, elegant, schlank, total easy und leichtfüssig, ätherisch, wirkt fast zerbrechlich, ein Pinot-mässiger Merlot mit unendlicher Länge. Score: 18,5/20 (49 Franken. Erhältlich ab 13. November unter www.cantinabarbengo.ch).
  • Blanc d’Y Cave La Rodeline Fully VS 2021 (Assemblage aus Marsanne und Roussanne): Leicht medizinal, sehr floral, Marzipan- und Wachsnase, ausladend, rechte Säure, viel Frucht, vor allem Agrumen wie Mandarinen, total frisch, ätherisch, elegant, sensationell lang. Score: 18/20 (40 Franken. www.rodeline.ch).
  • L’Audacieux Domaine de Chambleau Colombier NE 2021 (Ein Hundert-Prozent-Divico als Abwechslung, damit auch mal was Anderes vorgestellt wird als Pinot Noir, denn der absolute Topwein der Domaine ist natürlich der Pinot Pur Sang. Jahrgang 2020: 18/20): Extremes Konzentrat! Kein Wasserrand, etwas Kuhfladen, leicht schweflig, dunkle Frucht, Tiefe, viel Säure, rechte Tannine, Brombeeren, Zwetschgen, Cassis, sehr schlank, aber auch Vorwärtsdrang, ätherisch, Mundfülle, sehr jugendlich, tolles Finish. Score: 17,5/20 (35 Franken. www.chambleau.ch).
  • Ambassadeur Fumé Gros Rhin de Chamoson Adrian & Diego Mathier Rouleau Salquenen AG Salgesch VS 2022 (Silvaner aka Johannisberg) : Tolle gelbfruchtige Nase, Kräuterwürze, mineralisch, Schmelz, Power, Tiefe dezente Säure, floral, ausladend, ätherisch, Mundfülle, Vegetabiltouch, Röstaromen im langen Abgang. Score : 18/20 (28 Franken. www.mathier.com). Die Weine von Mathier können bis 5. November an der Zuger Messe verkostet werden.

(A.Ku.)

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?