Spitzenkoch Jacky Donatz über Kochshows, Convenience Food und Mutters Küche
«Es ist katastrophal, was Köche heute können»

Der Bündner Spitzenkoch Jacky Donatz (65) über sein einfachstes Rezept, zwölfminütige Fernsehmenüs und die Notwendigkeit von Kochunterricht in der Schule.
Publiziert: 24.03.2017 um 19:12 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 16:28 Uhr
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Der Rentner. Seit diesem Jahr ist Jacky Donatz Koch im Ruhestand. Will er weiterkochen? Vielleicht? Aber im Moment: Lieber nicht.
Foto: Philippe Rossier
Interview: Michael Merz

Jacky Donatz ist immer für eine Schlagzeile gut: Wo immer er kocht, spricht man über ihn und nicht nur von seinem Essen. Denn der Engadiner von beeindruckend grossem Wuchs und Umfang kann auch formulieren. Und hat einen bestechenden Sinn für das, was man Öffentlichkeitsarbeit nennt. Jetzt, da er im Zürcher Sonnenberg pensioniert wurde und sich von einem Oberarmbruch erholt, fragt sich deshalb nicht nur die kulinarische Schweiz: «Was tut er als Nächstes?»

Herr Donatz, was ist für Sie gute Küche?
Jacky Donatz: Nach wie vor Mutters Küche. Seltsam, wie im späteren Leben die Gedanken an diese Basis zurückkehren und in der Frage gipfeln: Wie hat sie denn ihre Pizokels gemacht?

Und die Antwort ist?
Sie hat sich Zeit genommen. Alles in ihrer Küche hatte seine Zeit.

Wie steht es damit in der sogenannt «grossen Küche»?
Die kommt ja aus dieser Urmutter-Küche. Herausragende Berufsleute haben daraus die Haute Cuisine geformt. Sie haben verfeinert, was schon da war. Köche arbeiteten damals nicht nur 12 Stunden am Tag, sondern 14 oder 16 Stunden. Sie hatten Zeit, die Küche zu perfektionieren.

Dazu arbeiteten sie unter miserabelsten Umständen.
Das waren keine klimatisierten TV-Studios. Das waren Löcher, in denen fast glühende Herde standen, die mit Kohle oder Öl beheizt waren. Die Bratöfen waren so heiss, man hätte darin nie einen Braten zubereiten können: Der wäre zu Kohle geworden – in Nullkommanichts.

Gibt es da noch Gemeinsamkeiten zu heute?
Klar: die Produkte. Genauer gesagt: die Kenntnisse von den Produkten. Einst war saisonal kein Marketingbegriff, sondern die Basis. Etwas anderes hatte man nicht. Deshalb haben wir Köche noch das Einmachen gelernt. Tiefkühltruhen – ich spreche von den 1960er-Jahren, in denen ich meine Lehre machte – nutzten wir kaum oder gar nicht.

Aber heute gehen selbst Köche nicht mehr auf den Markt oder zum Bauern. Sie gehen am Ende des Tages durch den Kühlraum, setzen sich dann ans Telefon und bestellen, was sie am nächsten Tag brauchen.
Telefonköche sind nicht zu faul, aber sie haben keine Zeit. Dazu hat ihr Betrieb ein Angebot, das verlangt, dass die verwendeten Produkte stets vorhanden sind. Ausserdem gibt es eine Tatsache, die man immer wieder vergisst: Köche haben ein Budget. Damit müssen sie auskommen. Sie sollten aber trotzdem eine hochstehende Küche liefern.

Lassen Sie uns zum Hobbykoch, der Hausfrau, einer alleinstehenden Person kommen. Die haben nicht die Möglichkeiten, die Profiköche haben – sie müssen zum Grossverteiler. Dort ist selbst frisches Gemüse älter, als es sein dürfte, um seine besten Qualitäten auszuspielen. 
Gestern war ich in Stammheim TG und habe mir die Produktion von grünem Spargel angeschaut. Ein paar Kilometer weiter, in Flaach, bauen sie nur weissen Spargel an. Wer weiss das heute? Genau das muss aber der Privatier nutzen. Er sammelt Kenntnisse, kauft dort dies und das, fährt auf der Rückreise zu einem Bauernhof und kauft frischen Salat. Dieser ist teurer, aber schmeckt besser, weil er nicht wie beim Grossverteiler zwei Tage lang in seiner Verpackung auf einen Käufer gewartet hat. Von gerüstetem Salat möchte ich gar nicht reden.

Der wird aber wie wahnsinnig gekauft.
Er schmeckt aber nach nichts. Er wurde nämlich nicht nur mit viel Wasser gewaschen und liegt dann zwei oder drei Tage in der Verpackung. Diese sind auch begast, um das Anbräunen der Schnittflächen zu verhindern.

Was bedeutet das für mich als Privatier?
Wer besser kochen und essen will, muss sein eigenes Netz an Lieferanten und Spezial-Läden aufbauen. Und er muss wissen, dass man nicht immer bekommt, was man gerne hätte. Wenn man dann im Laden vor der Schinkentheke steht, muss man sich nach den Qualitäten der verschiedenen Produkte erkundigen. Kaufen Sie nicht den, der pro 100 Gramm 3.50 Franken kosten, sondern jenen für 4.50 Franken. Der ist nämlich nicht nur teurer, sondern auch besser.

Woher soll man denn wissen, was man wann, wie und warum kaufen soll? Helfen einem Kochsendungen weiter?
Ich habe da eine Theorie: Die Grossverteiler sollten keine Kochsendungen sponsern, sondern diese Köche in ihre Läden schicken. Dort könnten sie den Kunden direkt erklären, was dieses oder jenes Produkt kann, wann es am besten schmeckt und wie man es am besten verkocht.

Kein Grossverteiler hat so ein Interesse: Die wollen ihre Convenience-Produkte verklopfen. Ein Fernsehspot, wo jemand in die Hände klatscht, und schon ist die Pizza fixfertig, ist die Botschaft, die sie verbreiten wollen.
Ob diese Pizza wirklich schmeckt, wage ich zu bezweifeln. Ebenfalls, ob man das, was Fernsehköche in zwölf Minuten zusammenkochen, auch essen kann. Ich bin ja in vielen solchen Sendungen aufgetreten. Sorgfalt herrscht dort kaum. Gemüse verarbeitet man dort ungewaschen. Nicht gelungene Sequenzen schneidet man raus. Kurz: Es ist katastrophal, was Köche heute können – oder eben nicht können. Der Bezug zu den Produkten fehlt sowieso. Das ist Material. Nichts weiter.

Was haben denn Profi-, Hobby- und Fernsehkoch miteinander zu tun?
Gar nichts: Fernsehküche ist Showbusiness – für den Auftraggeber ein Marketing-Tool und eine Verkaufshilfe, für den Profi eine eher seltsame Unterhaltung und für den Amateur ein Zeitvertreib.

Bleiben wir beim Amateur: Woher sollen seine Kenntnisse für Küche und Produkte kommen?
Von den Profis. Und weil die nicht mehr so profunde Kenntnisse haben wie wir Älteren, müssen auch sie wieder eine bessere Ausbildung bekommen.

Gesetzt der Fall, die Profis hätten diese Kenntnisse wieder: Wie kommt das Wissen zur Kundschaft, den Gästen, in die Alltagsküche?
Wie immer man es macht: Man muss es machen!

Köche sollen also in die Schule marschieren und dort den Kindern erklären, weshalb Erdbeeren rund ums Jahr zwar toll aussehen, aber eigentlich nach gar nichts mehr schmecken?
Halten Sie mich für altmodisch oder dergleichen: Ich bin für die Wiedereinführung von Kochunterricht in der Schule – für Mädchen und Buben. Dort lernen sie etwas, für das Leben, das ganze Leben.

Spitzenkoch Benoît Violier hat in seinem Betrieb das Kochen für Kinder eingeführt. Sein Nachfolger Franck Giovannini macht weiter. Toll wie die Chefs im Hotel de Ville von Crissier VD zehn bis zwölf Kinder persönlich zum Kochen bringen.
Nur so können wir das gute, das engagierte Kochen weitergeben. Nur so bringen wir die Menschen vom Fast Food weg. Wer zur Mittagszeit durch die Strassen der Städte geht, sieht nur Leute, die irgendein Essen aus der Hand essen. Das gab es früher nicht: In der Öffentlichkeit zu essen, galt als ungezogen.

OK. Das hat sich halt geändert.
Aber Fast Food, das wissen wir inzwischen, ist nicht sehr gesund und unter dem Strich teurer, als man denkt. Klar: Ein Mittagessen ist teurer. Aber die Leute geben offenbar lieber Geld für andere Dinge aus.

Was ist das einfachste Rezept, das Sie uns verraten können?
Ein Spiegelei. Eines, das nicht rundum verbraten, dessen Eidotter flüssig und trotzdem heiss ist. Ein Kunststück, wenn man es nicht kann. Easy, wenn man weiss wie.

Also?
Lassen Sie in einem passenden Pfännchen bei mittlerer Hitze ein schönes Stück Butter zerlaufen. Wenn diese aufschäumt, hat sie gut 80 Grad. Erhöhen Sie die Hitze ganz leicht. Schlagen Sie inzwischen ein Ei auf einen kleinen Unterteller und lassen Sie es vorsichtig in diese Butter einlaufen.

Und jetzt?
Nehmen Sie sich Zeit. Drehen Sie die Hitze etwas zurück. Bleiben Sie beim Pfännchen stehen und beobachten Sie, wie das Eiweiss fest wird. Es glänzt, also ist es noch knapp flüssig. Der Eidotter ist am Rand etwas heller, weil er warm wird. Ist das Eiweiss knapp fest, müssen sie das Spiegelei salzen und – so es geht – direkt aus dem Pfännchen essen. Die Butter mit einem Stück Brot auftippen. Besser geht es nicht, mehr braucht es nicht.

Und wenn mir das nicht gelingt?
Dann gilt für Sie die Regel, die für Amateure wie für grosse Küchenchefs gilt: Nehmen Sie sich Zeit und: Üben, üben, üben!

Was übt Jacky Donatz gerade selbst?
Freiheit. Freizeit. Musse. Mir ging es noch nie so gut.

Und danach?
Vorläufig gar nichts. Ab und zu ein Gastkochen. Kein Restaurant – eine Idee in der Zürcher Altstadt hat sich zerschlagen. Kommt etwas, denke ich darüber nach. Aber vorerst: Nichts ausser frei sein. Die Zeit geniessen!

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