Insekten vom Supermarkt auf dem Tisch
Würden Sie bei Knusper-Krabblern zugreifen?

Ab Anfang Mai sind in der Schweiz drei Insektenarten als Nahrungsmittel zugelassen. Können wir unsere Abneigung überwinden? Oder müssen wir?
Publiziert: 12.05.2017 um 16:32 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 09:25 Uhr
Remo Schraner

Wie wäre es Kokosraspeln und Mehlwürmern zum Mittagessen?

Hierzulande sehr beliebt: der Cervelat. Ein mit zermatschten Tierteilen gefüllter Darmabschnitt. Dass wir uns davor nicht ekeln, liegt daran, dass wir die Schweizer Nationalwurst schon als Kind als schmackhaft und somit etwas Positives kennenlernen. Wir werden ekeltechnisch desensibilisiert.

Anders bei Insekten: Die sehen wir als Schädlinge, als unhygienisch – und finden wir einen Wurm im Apfel, vergeht uns der Appetit darauf.

Tiere kommen aus Schweizer Zucht. Mehlwürmer werden kurz vor der Verpuppung schockgefroren.

Diese drei Insektenarten sind als Lebensmittel zugelassen

Trotzdem bieten in der Schweiz bald diverse Detailhändler und Restaurants die Tierchen an, geröstet, gebacken oder zerkleinert. Ab 1. Mai sind in der Schweiz drei Insektenarten als Lebensmittel zugelassen: Mehlwürmer, Grillen und Wanderheuschrecken. Der Grossverteiler Coop wird ab Mai entsprechende Produkte in sein Sortiment aufnehmen, die Verantwortlichen der Migros überlegen es sich noch.

Nahrungsmittel der Zukunft

Auslöser für die Gesetzesänderung ist ein Bericht der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen. Laut dem Bericht leben im Jahr 2050 knapp zehn Milliarden Menschen auf der Erde. Die konventionelle Landwirtschaft wird nicht mehr in der Lage sein, genügend Fleisch für die Weltbevölkerung zu produzieren. Alternativen müssen her.

Insekten eignen sich mit ihrem hohen Proteingehalt bestens dazu. Die Sechsbeiner sind Vierbeinern vor allem ökologisch weit überlegen. Im Vergleich brauchen sie weniger Futter, und auch ihr Wasser- und Platzverbrauch ist geringer. Doch aller Vernunft zum Trotz: Wollen wir die Krabbler tatsächlich auf unseren Tellern?

8 Food-Fakten zu Insekten
  • Zwei Mrd Menschen essen Insekten ohne Ekel
  • Achtzig Prozent eines Insekts sind essbar. Beim Rind ist es nur die Hälfte.
  • 10 Kilogramm Futter frisst ein Rind pro Kilo Fleisch. Für ein Kilo Insekten ist nur 1,2 Kilo Futter nötig.
  • 120 bis 600 Franken pro Kilogramm kosten je nach Art importierte gefriergetrocknete Insekten. Solche aus Schweizer Betrieben kosten pro Kilo zwischen 240 und 2400 Franken. Zum Vergleich: Ein Kilo Schweizer Poulet kostet rund 10 Franken.
  • 3000 frische Grillen ergeben ca. ein Kilo Nahrung.
  • 25 Gramm reines Protein ist in 50 Gramm gefriergetrockneten Mehlwürmern.
  • 30 Grad Celsius beträgt die optimale Temperatur für die Insektenzucht.
  • Vier Wochen umfasst eine Generation bei Insekten. Sie wächst unter Zuchtbedingungen um den Faktor zehn.
Siggi Bucher
  • Zwei Mrd Menschen essen Insekten ohne Ekel
  • Achtzig Prozent eines Insekts sind essbar. Beim Rind ist es nur die Hälfte.
  • 10 Kilogramm Futter frisst ein Rind pro Kilo Fleisch. Für ein Kilo Insekten ist nur 1,2 Kilo Futter nötig.
  • 120 bis 600 Franken pro Kilogramm kosten je nach Art importierte gefriergetrocknete Insekten. Solche aus Schweizer Betrieben kosten pro Kilo zwischen 240 und 2400 Franken. Zum Vergleich: Ein Kilo Schweizer Poulet kostet rund 10 Franken.
  • 3000 frische Grillen ergeben ca. ein Kilo Nahrung.
  • 25 Gramm reines Protein ist in 50 Gramm gefriergetrockneten Mehlwürmern.
  • 30 Grad Celsius beträgt die optimale Temperatur für die Insektenzucht.
  • Vier Wochen umfasst eine Generation bei Insekten. Sie wächst unter Zuchtbedingungen um den Faktor zehn.

Was ist Entomophagie?

Die Entomophagie, der Verzehr von Insekten, hat in vielen Ländern eine lange Tradition. Zwei Milliarden Menschen haben damit kaum Probleme, in Europa aber verschwanden Insekten nach der Antike von den Menülisten und damit auch Delikatessen wie der Hirschkäfer. «Grund war die Landwirtschaft», sagt Ernährungswissenschaftlerin Christina Hartmann von der ETH Zürich (31). «Sie bot den Menschen in unseren Breitengraden mit Getreide und Fleisch genügend Protein-Alternativen. Der Verzehr von Insekten wurde überflüssig.»

Hartmann untersucht wissenschaftlich die psychologischen Faktoren, die unsere Lebensmittelwahl prägen (siehe untenstehendes Interview). Unser Ekelempfinden spielt eine wichtige Rolle. «Die Fähigkeit, sich zu ekeln, ist uns angeboren, die Auslöser aber kulturell anerzogen», sagt Hartmann. In der Theorie ist es also möglich, den Ekel vor Insekten wegzutrainieren. «Dafür ist jedoch eine regelmässige Konfrontation nötig», sagt sie. Dazu gehöre die Bereitschaft der Konsumenten, die Krabbeltiere auf die Teller vorzulassen. So könnten über Jahre die Vorbehalte schwinden, ähnlich wie einst bei Sushi. «Dass wir für die Zukunft neue Proteinquellen brauchen, ist unbestritten», sagt Hartmann.

Gibt es in Hüsiwil LU: Pikantes Omelett mit Kokosraspeln und Mehlwürmern oder Auberginensalat mit Grillen-Topping.

Eine neue Idee zu einer alten Delikatesse

«Spinnsch eigentlich», hallte es vor knapp zwei Jahren an einem Samstagvormittag durch den Engel von Daniel Bisten (49) in Hüswil LU. Damals begann der Koch, den Stammgästen seines Restaurants eigens kreierte Insektensnacks aufzutischen. Was anfangs auf Kopfschütteln stiess, wird heute gern gegessen. «Es stimmt nicht, dass nur urbane, junge Leute an neuen Lebensmitteln interessiert sind», sagt Bisten rückblickend. Seine Motivation, damit zu experimentieren? «Die Neugier und der Spass, neue Zubereitungsmöglichkeiten zu entdecken. Und natürlich ökologische Überlegungen.»

Insekten-Platten im Restaurant

Ab Mai wird Bisten erstmals entsprechende Produkte an Delikatessenhändler verkaufen. In seinem Restaurant wird man Insekten-Platten mit verschiedenen Snacks – geröstete Grillen, zu Chips verarbeitete Mehlwürmer, frittierte Wanderheuschrecken – bestellen können. «Man darf einfach nicht zu viel davon essen, sie sind sehr mastig», sagt er, «Und Leute, die allergisch auf Krustentiere reagieren, sollten ganz auf den Verzehr verzichten.»

Obwohl Daniel Bisten die würzigen Grillen und nussig schmeckenden Mehlwürmer gerne isst: Trifft er im Garten auf einen Käfer, ekelt er sich. Ein Widerspruch? «Nein. Es ist ein grosser Unterschied, ob die Viecher in freier Natur rumwuseln, oder ob ich welche aus einer hochhygienischen Zucht erhalte», sagt der Insekten-Koch.

«Es stimmt nicht, dass nur urbane, junge Leute an neuen Lebensmitteln interessiert sind», sagt Daniel Bisten, Koch im Engel, Hüswil LU.

Die grösste Schweizer Zucht der Eiweiss-Lieferanten

Die grösste Schweizer Zucht von Nahrungsmittel-Insekten befindet sich in Grossdietwil LU. Urs Fanger (40) ist Geschäftsführer von Entomos, einem Unternehmen der Andermatt Holding. Fanger arbeitet seit 17 Jahren in diesem Fach, die Holding seit 30 Jahren. Sie bot die Tiere ursprünglich als biologischen Pflanzenschutz und Futterinsekten für Heimtiere an. Die Insektenzucht für Nahrungsmittel unterscheide sich davon nicht grundlegend, sagt Fanger. «Neu ist, dass wir die Insekten nicht mehr nur auf Krankheiten untersuchen, die Tieren schaden könnten, sondern auch auf solche, welche für Menschen problematisch werden könnten.»

Grossverteiler Coop, der ab Mai Burger und Hackbällchen aus importierten Krabblern anbietet, hat bereits Interesse an den in der Schweiz gezüchteten Insekten angemeldet, obwohl die im Vergleich zu jenen aus dem Ausland bis zu fünfmal teurer sind.

Werden Insektensnacks gern gegessen?

Bisten und Fanger schwören gleichermassen auf den Erfolg der Insektensnacks. Ekelforscherin Hartmann jedoch sieht die Sonne woanders scheinen: in der Proteinextraktion. In diesem Verfahren werden die Proteine der Insekten isoliert und anschliessend zu Lebensmitteln weiterverarbeitet – ohne dass man dann den Körper des Insekts mitisst.

An der Entwicklung dieser komplexen Technik arbeitet das Start-up Entolog aus Winterthur ZH. «Der Ekel, der die Form und der Geschmack von Insekten bewirken, ist damit hinfällig», sagt Hartmann, «bald könnte man in bestimmten Produkten konventionelle Proteine damit ersetzen.» Der ökologische Faktor geht jedoch nur auf, wenn wir die alternativen Proteine nicht zusätzlich konsumieren, sondern damit unseren Fleischkonsum entlasten. Schlimmstenfalls würden wir insgesamt mehr Proteine essen, statt sie auf mehrere Quellen zu verteilen.

Bis es dazu kommt, steht den Anhängern der Insektenküche ein langer Weg bevor. «Geschmacklich sind die drei bald legalen Insektenarten eher neutral», sagt Züchter Urs Fanger. Daher ist die Verarbeitung wichtig. «Der Geschmack bestimmt den Erfolg oder das Scheitern der Insekten als Nahrungsmittel», sagt Forscherin Christina Hartmann, «schmeckt der erste Bissen nicht, erhalten die neuen Produkte kaum eine zweite Chance.» Dann greifen wir weiterhin lieber zu einem Cervelat.

Ernährungswissenschaftlerin Christine Hartmann über Ekelempfinden

Frau Hartmann, Sie sind Ekelforscherin: Wie kamen Sie dazu?

Christine Hartmann: Als die Idee mit Insekten als alternative Proteinquelle aufkam, war der Einfluss des Ekels in unserem Ernährungsverhalten gänzlich unerforscht. Also lancierte ich 2015 verschiedenste Studien, um unsere Ekel-Sensitivität zu verstehen.

Wie misst man Ekel?

Ch.H.: Wir haben zwei Tests entwickelt. Einerseits einen Fragebogen, in dem die Befragten verschiedene Situationen einordnen: Wie abstossend empfinden Sie es, wenn Sie beim Essen auf einen Tierknorpel beissen? Finden sie die Scheibe Brot eklig, von der eine Kollegin abgebissen hat? Der zweite Test basiert auf Bildern, etwa von einer angeschimmelten Kartoffel, braunen Bananen oder schrumpeligen Tomaten. Hier erörtern wir die Ekelsensitivität im Gespräch.

Wie helfen solche Ergebnisse weiter?

Ch.H.: Dank der Tests fanden wir unter anderem heraus, dass Lebensmittel, die stark an ihre tierische Herkunft erinnern, vermehrt Ekel auslösen.

Zum Beispiel?

Ch.H.:  Spanferkel, blutige Steaks, unverarbeitete Insekten. Spannend bei letzteren: In einer anderen Studie fanden wir heraus, dass Leute, die Chips aus zerkleinerten Insekten verkosteten, eher bereit sind, auch unverarbeitete Insekten zu essen.

Was glauben Sie: Wann werden wir alle ohne Ekel Insekten essen?

Ch.H.: So schnell wird das nicht passieren. Zuerst werden wohl einige Essabenteurer eine Vorreiterrolle einnehmen. Ob der Rest nachzieht, ist jedoch mehr als fraglich. 

Wer ekelt sich mehr: Mann oder Frau?

Ch.H.: Frauen empfinden Insekten abstossender als Männer. Vielleicht liegt das am anerzogenen Rollenbild der Männer, das ihnen untersagt, Schwäche zu zeigen.

Wie können wir vom Verzehr überzeugt werden?

Ch.H.: Garantiert nicht nur mit ökologischen Argumenten. Sonst würden wir schon jetzt weniger Fleisch und keinen Fisch mehr essen. Die Vermarktung der Insekten als Lifestyleprodukt wäre denkbar – ähnlich wie Superfood.

Ekel ist auch ein Schutz: Wird es nicht auch gefährlich, wenn wir unsere Abneigung gegen Insekten quasi abtrainieren?

Ch.H.: Nein. Da sehe ich keine Gefahr. Im Gegenteil: Insekten werden nicht das Letzte sein, das uns als Proteinalternative serviert wird. Es ist sinnvoll, sich mit dem eigenen Ekelempfinden gelegentlich auseinanderzusetzen.

Das Essen wird also noch stärker zur Kopfsache?

Ch.H.:  Ich hoffe es. Denn vielen ist noch immer nicht bewusst, dass für die Fleischproduktion viele Ressourcen verbraucht werden. Das Insekt als Maskottchen ist darum wünschenswert: für die Kampagne einer nachhaltigeren Ernährung.

Interview: Remo Schraner

Christina Hartmann (31)

Ernährungswissenschaftlerin ETH Zürich«Frauen ekeln sich stärker»

Frau Hartmann, Sie sind Ekelforscherin: Wie kamen Sie dazu?

Christine Hartmann: Als die Idee mit Insekten als alternative Proteinquelle aufkam, war der Einfluss des Ekels in unserem Ernährungsverhalten gänzlich unerforscht. Also lancierte ich 2015 verschiedenste Studien, um unsere Ekel-Sensitivität zu verstehen.

Wie misst man Ekel?

Ch.H.: Wir haben zwei Tests entwickelt. Einerseits einen Fragebogen, in dem die Befragten verschiedene Situationen einordnen: Wie abstossend empfinden Sie es, wenn Sie beim Essen auf einen Tierknorpel beissen? Finden sie die Scheibe Brot eklig, von der eine Kollegin abgebissen hat? Der zweite Test basiert auf Bildern, etwa von einer angeschimmelten Kartoffel, braunen Bananen oder schrumpeligen Tomaten. Hier erörtern wir die Ekelsensitivität im Gespräch.

Wie helfen solche Ergebnisse weiter?

Ch.H.: Dank der Tests fanden wir unter anderem heraus, dass Lebensmittel, die stark an ihre tierische Herkunft erinnern, vermehrt Ekel auslösen.

Zum Beispiel?

Ch.H.:  Spanferkel, blutige Steaks, unverarbeitete Insekten. Spannend bei letzteren: In einer anderen Studie fanden wir heraus, dass Leute, die Chips aus zerkleinerten Insekten verkosteten, eher bereit sind, auch unverarbeitete Insekten zu essen.

Was glauben Sie: Wann werden wir alle ohne Ekel Insekten essen?

Ch.H.: So schnell wird das nicht passieren. Zuerst werden wohl einige Essabenteurer eine Vorreiterrolle einnehmen. Ob der Rest nachzieht, ist jedoch mehr als fraglich. 

Wer ekelt sich mehr: Mann oder Frau?

Ch.H.: Frauen empfinden Insekten abstossender als Männer. Vielleicht liegt das am anerzogenen Rollenbild der Männer, das ihnen untersagt, Schwäche zu zeigen.

Wie können wir vom Verzehr überzeugt werden?

Ch.H.: Garantiert nicht nur mit ökologischen Argumenten. Sonst würden wir schon jetzt weniger Fleisch und keinen Fisch mehr essen. Die Vermarktung der Insekten als Lifestyleprodukt wäre denkbar – ähnlich wie Superfood.

Ekel ist auch ein Schutz: Wird es nicht auch gefährlich, wenn wir unsere Abneigung gegen Insekten quasi abtrainieren?

Ch.H.: Nein. Da sehe ich keine Gefahr. Im Gegenteil: Insekten werden nicht das Letzte sein, das uns als Proteinalternative serviert wird. Es ist sinnvoll, sich mit dem eigenen Ekelempfinden gelegentlich auseinanderzusetzen.

Das Essen wird also noch stärker zur Kopfsache?

Ch.H.:  Ich hoffe es. Denn vielen ist noch immer nicht bewusst, dass für die Fleischproduktion viele Ressourcen verbraucht werden. Das Insekt als Maskottchen ist darum wünschenswert: für die Kampagne einer nachhaltigeren Ernährung.

Interview: Remo Schraner

Christina Hartmann (31)

Ernährungswissenschaftlerin ETH Zürich«Frauen ekeln sich stärker»

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