Es stimme nicht, dass alles, was man in einem Film höre, direkt und eins zu eins auf dem Set aufgenommen wurde. Damit räumt Manu Gerber ein weit verbreitetes Missverständnis gleich zu Beginn seines Treffens mit Keystone-SDA aus. «Auf dem Set fokussiert man sich in erster Linie auf die Dialoge. Fast alle Geräusche jedoch werden nachträglich neu gemacht», sagt der Sounddesigner. In Kinofilmen, Fernsehproduktionen und Werbefilmen sorgt er für den richtigen Ton.
Die zugeschlagene Türe: neu. Der Vogel im Hintergrund: neu. Das Geschrei auf der Strasse: neu. Dafür hat Gerber eine eigene Bibliothek voller Klänge – gesucht, gefunden und aufgenommen über viele Jahre. Ist dort ein bestimmter Klang nicht zu finden oder nur schwer neu aufzunehmen, lässt sich dieser einkaufen.
In Zusammenarbeit mit den Menschen, die für den Schnitt und die Regie zuständig sind, erstellt Gerber ein Tonkonzept und setzt es um. «Mein Ziel ist es, auf der Tonebene die Aussage des Films zu unterstützen, zu untermauern, zu bestätigen.» Manchmal sei auch das Gegenteil erwünscht: Der Ton, der einen Kontrapunkt setzt. Doch der Ton sei ein starkes und wichtiges Puzzleteil für den gesamten Film.
Wie klingt die Schweiz mit wenig Lärm?
So ging es bei seinem letzten Film, der Romanverfilmung «Jakobs Ross» von der Regisseurin Katalin Gödrös zum Beispiel darum, das titelgebende Pferd zu vertonen. Wie klingt es, wenn es röchelt, weil es Schmerzen hat? Es könne ja nicht ein Tier geplagt werden, um dann die Töne aufzunehmen, so Gerber.
Eine weitere Herausforderung bei diesem Film: Wie klingt die Schweiz des 19. Jahrhunderts – eine Welt mit wenig Lärm, ohne Strom, Autos und Flugzeuge? Schliesslich gehe es auch um die Interaktion zwischen dem Aussen und dem Innen. Wenn beispielsweise die Magd in ihren Zoccoli herumläuft, müsse das schwer und unangenehm klingen. «Auf der Tonspur zeigt sich die psychische Verfassung der Figuren», so der Sounddesigner.
Manu Gerber hat nach dem Schulabschluss kurzzeitig bei einer Bank gearbeitet. Aber schon bald wusste er, dass er «etwas Kreatives machen möchte». Komponieren, zeichnen, gestalten, schreiben. Gerber zeigt sich breit interessiert. Schliesslich hat er fünf Jahre an der Musikhochschule Basel studiert und den begehrten Studiengang Audiodesign absolviert. «Ich dachte, ich werde Komponist.»
Doch dann hat er in einem Workshop den Filmemacher Fred Van der Kooij getroffen. Danach ist für Gerber klar gewesen: «Ich will mit Tönen Geschichten erzählen.» Und zwar «subtil, unterschwellig, quasi durch die Hintertüre. Gleichzeitig aber mit Nachdruck.» Es galt also, nach dem Studium in der Filmbranche Fuss zu fassen. Das ist – vorsichtig formuliert – nicht einfach. Doch Gerber ist es gelungen. Er hat sich blind bei einem Tonstudio beworben, ohne zu wissen, dass gerade jemand gesucht wurde. Zehn Jahre ist er geblieben und war vor allem für Werbung, TV-Sendungen und Hörspiele zuständig. Dann hat er sich selbstständig gemacht. Neben der Leitung seiner eigenen Firma lehrt er als Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste.
Auf Sets sei er «sehr, sehr selten anzutreffen». Er sei der Tüftler im Studio. Oft arbeitet er alleine. «Ein Traumjob für Introvertierte», sagt er lachend.
«Manchmal fast unerträglich»
Das Grundbesteck seiner Arbeit bleibe gleich, aber jedes Projekt sei «immer wieder neu und immer wieder anders.» Er sei diszipliniert und habe den Vorteil, Herausforderungen als lässig zu empfinden und nicht als Bürde. Er arbeite zwar für die Vision der Regie, so Gerber, doch Film sei Teamwork. Deshalb möchte er gerne von Anfang an dabei sein, er liest das Drehbuch, spricht mit Regie und Schnitt, bevor das Projekt startet. Er möge das Pingpong mit den Verantwortlichen. Es gebe aber auch den gegenteiligen Fall. «Da ist bereits alles eingetütet und ich liefere einfach noch die Töne ab.»
Auch wenn Gerber als Privatperson im Kino sitzt, seien seine Ohren ausgerichtet auf die Tonspur. Er freue sich, wenn er eine mutige Entscheidung wahrnehme und er frage sich ständig: Wie wurde das gemacht? «Wenn ich bei einem Film aber nur am Ton hängenbleibe, ist das ein schlechtes Zeichen. Ich tauche gerne in Filme ein», sagt Gerber.
Schwierig werde es für ihn bei denjenigen Werken, bei denen er selbst für den Ton zuständig gewesen ist. «Das ist manchmal fast unerträglich», weil er in jeder Szene höre, was er noch besser hätte machen können. Hier helfe der pragmatische Blick auf die Zeit und die Ressourcen, die zur Verfügung gestanden haben.
Im Tonbereich habe es in den letzten Jahren technisch keine Quantensprünge gegeben. Nun komme aber KI (Künstliche Intelligenz). Was sie bringen wird, könne er nicht sagen, aber «vieles wird sicher einfacher». So könnten zum Beispiel andere Sprachfassungen mittels Künstlicher Intelligenz entstehen. Die englische Originalstimme würde so per Knopfdruck auf jede beliebige andere Sprache übersetzt, inklusive der korrekten Lippenbewegungen. Doch Gerber zeigt sich überzeugt, dass Maschinen «den kreativen Geist des Menschen nicht werden ersetzen können – auch beim Ton nicht».
Wie der kreative Geist von Sounddesigner Manu Gerber klingt, ist in «Early Birds» von Michael Steiner zu entdecken, der ersten Schweizer Netflix-Produktion oder in der neuen «Tschugger»-Staffel oder eben in «Jakobs Ross» (ab 25. Januar 2024 in den Kinos). (SDA)
*Dieser Text von Raphael Amstutz Keystone-SDA wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.