In Amerika herrschte Bürgerkrieg. Der Norden gegen den Süden und umgekehrt. Schon damals wurden die Mütter mit Kärtchen überrascht: «Sehr verehrte Dame, Ihre fünf Söhne sind ruhmreich auf dem Schlachtfeld gefallen.» So und ähnlich lauteten die Todesmeldungen an amerikanische Mütter 1864. Die Söhne Amerikas schossen aufeinander. Aus mütterlicher Sorge heraus initiierte die Südstaatlerin Ann Maria Reeves Jarvis zusammen mit Leidensgenossinnen aus beiden Kriegslagern den «Mütter-Freundschaftstag». Um Kriegsverwundete zu versorgen und sich gemeinsam auszutauschen. Ihr Ziel war, Frieden zu stiften. 1865 endete der Bürgerkrieg. Und mit ihm auch der Feiertag für die Mütter.
Doch Ann Maria Reeves Jarvis blieb auch zu Friedenszeiten eine Friedenskriegerin. Zeitlebens kämpfte sie an vorderster Front für einen nationalen Muttertag. In der zweiten Maiwoche 1905 starb sie. Noch bevor der Muttertag ins Leben gerufen wurde. Ihre Tochter Anna Marie setzte sich nun mit aller Kraft für das Anliegen ein.
Der Muttertag war ein Geschenk der Tochter
Anna Marie Jarvis führte die Arbeit ihrer Mutter weiter. Drei Jahre nach deren Tod wurde ein Gedenkgottesdienst für sie abgehalten und allen Müttern gewidmet. Es war der inoffiziell erste Muttertag, gefeiert am Sonntag in der zweiten Maiwoche 1908. 500 weisse und rote Nelken, die Lieblingsblumen ihrer Mutter, verteilte Anna Marie vor der Kirche an die Mütter ihres Heimatorts Grafton im Bundesstaat West Virginia. «Die Nelke wirft ihre Blütenblätter nicht ab, sondern drückt sie an ihr Herz (...) so drücken auch die Mütter ihre Kinder an ihr Herz.» Mütterliche Liebe sterbe niemals, erklärte Jarvis. Deshalb kämpfte sie weiter – denn der Muttertag sollte endlich ein nationaler Feiertag werden. Sechs Jahre lang unterhielt Jarvis einen Briefwechsel mit Politikern und Organisationen. Mit Erfolg. Sie erlebte, wie 1914 zum ersten nationalen Muttertag die amerikanische Flagge gehisst wurde. Einen Tag nach dem neunten Todestag ihrer Mutter. Pünktlich zum nächsten Krieg.
Floristen rochen das florierende Geschäft
Mit dem Ersten Weltkrieg wurde der Muttertag international. In der Schweiz war zwar auch davor schon über einen Feiertag für Mütter – quasi als Leistungszertifikat – diskutiert worden. Doch erst das amerikanische Vorbild überzeugte die Schweizer. Die Floristen-, Bäcker- und Konditorenverbände witterten das Geschäft und machten sich für einen landesweiten Muttertag stark. 1930 wurde er auch in der Schweiz eingeführt. Da reichten 500 Nelken nicht mehr, um alle Mütter zu beschenken.
Für Anne Maria Jarvis verwandelte sich die Nelke, das Sinnbild des Muttertags, zu einer dornigen Rose. Sie fühlte den intimen Sinn dieses Tages vom Kommerz missbraucht. Mit dem Instinkt einer Löwenmutter wollte sie ihr geistiges Baby gegen Profitjäger durch Klagen urheberrechtlich schützen. Erfolglos. Sie verlor ihr Vermögen im Kampf gegen die Kommerzialisierung. Mit 84 Jahren starb sie in einer amerikanischen Heilanstalt. Kinderlos, aber als Mutter des Muttertags.