Das Partyvolk lässt den Abfall einfach liegen
Nach uns die Müllabfuhr

Es ist wieder warm – und schon lassen die Schweizer ihren Abfall in der Natur liegen. Obwohl sie eigentlich wissen, dass sie das nicht sollten. Psychiater Andreas Meissner (52) erklärt, warum das so ist.
Publiziert: 08.05.2018 um 12:16 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 21:25 Uhr
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Ein typischer Freitagabend in Basel. Am Rheinufer sammeln sich bei warmen Temperaturen Grüppchen zum Grillieren, Pizzaessen und Alkoholtrinken – das Littering beginnt.
Foto: Claudio Meier
Christiane Binder

Ein typischer Freitagabend am Rheinufer: Bei angenehmen 20 Grad feiern die Basler mit Pizza, Grillfleisch vom Einweggrill und Alkohol ins Wochenende. Zwischen friedlichen Menschengruppen sammelt sich der Müll: Aludosen, Bierflaschen, leere Kartons, Plastikverpackungen. Je später der Abend, desto mehr achtlos weggeworfene Flaschen, Dosen und Zigarettenstummel liegen verstreut auf dem Boden.

Überall dasselbe Bild, egal, ob in Basel, Zürich oder Luzern: In der angeblich sauberen Schweiz gehören zu jeder Menschenansammlung heutzutage hässliche Abfallhaufen und überquellende Kübel. Laut Bundesamt für Umwelt gibt die Schweiz pro Jahr 200 Millionen Franken allein für Reinigungskosten aus. Dazu kommen weitere hohe Beträge für Präventionsmassnahmen und Aufklärungskampagnen. 

Beispiel Luzern: Allein hier kostet Littering jährlich zwei Millionen Franken. Die Anti-Littering-Kampagnen mit grösseren Abfalleimern und intensiverer Reinigung wirken nicht nachhaltig. Glacé-Verpackungen, Zigarettenstummel und Papiertücher liegen verstreut an der Promenade, weniger als einen Meter vom nächsten Kübel entfernt. Besonders unschön: Schwäne tummeln sich zwischen dem Abfall, Enten picken darin herum. Und ein Blick ins Wasser an der Hackerbrücke zeigt: Auf dem Grund der Reuss liegen Müll und Dosen. 

Die Müllmacher sind mitten unter uns

Die Verschmutzer und Müllmacher sind mitten unter uns, sind aus allen sozialen Schichten quer durch alle Generationen. Littering ist ein Massenphänomen. Dabei weiss heute theoretisch jeder, dass Abfall nichts in der Natur zu suchen hat. Fragt man die Leute direkt, verhalten sie sich tatsächlich vorbildlich. Wie Valon Mahmuti (32) in Basel, der mit seiner Familie ein Picknick am Rhein veranstaltet. «Natürlich nehmen wir unseren Abfall mit und entsorgen ihn.» Die Bilder der zugemüllten Chinawiese am Zürichsee findet er schockierend.

Der Müll gehört in den Kübel – doch wenn sie überquellen, werden sie selber zum Problem, sagt Andrea Steffen (20) an der Luzerner Seepromenade. «Das ist blöd, dann denken die Leute schnell, sie können ihren Müll liegen lassen.» Das junge Volk scheint hier ebenfalls kein Auge zuzudrücken. «Wenn wir im Ausgang sind, tun wir alles in einen Sack. Betrunken sein ist keine Ausrede, man schafft es immer, sauber zu machen», sagt Luzernerin Nina Mariani (21).

Schöne Worte – nichts dahinter

Trotz aller schönen Worte: Nach jeder warmen Nacht sind die Schweizer Erholungsplätze im Grünen zugemüllt. Man «vergisst» das Entsorgen oder ist zu faul, seinen Güsel die paar Schritte zum nächsten Kübel zu tragen. Oder man denkt sich nichts dabei. «Heute fehlt der emotionale Bezug zur Natur. Wir können uns nicht mehr vorstellen, dass sie uns guttut», erklärt Andreas Meissner (52). Der Münchner Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, privat ein engagierter Umweltschützer, ist Autor des Buchs «Mensch, was nun? Warum wir in Zeiten der Ökokrise Orientierung brauchen» und beschäftigt sich mit der Psychologie der alltäglichen Schweinereien. Schon Kinder begreifen die Natur nicht mehr als schützenswerten Erholungsort, «die Landschaft wird einfach benutzt, weil wir den Bezug zu ihr verloren haben».

Die eigentliche Ursache dieser Achtlosigkeit sieht Meissner in der Überflussgesellschaft. Ein durchschnittlicher Haushalt habe vor 100 Jahren noch 180 Gegenstände besessen, sagt er. Heute stapeln sich pro Haushalt 10'000 Gegenstände. «Die Dinge haben keinen Wert mehr.» 

«Irgendwer räumt weg»

So seltsam es klingt, befördert auch die effiziente Abfallbeseitigung in sauberen Ländern wie der Schweiz die Verschmutzung der Umgebung. «Je mehr geputzt wird, desto mehr bleibt liegen», erklärt Psychologe Meissner das Littering-Paradox. Wenn noch in der Nacht die Plätze und Parks blitzsauber gemacht werden, wirke das für Ignoranten wie eine Einladung: «Es suggeriert: Irgendwer räumt das Zeug ja weg.»

Zum Beispiel Alexander Djordjevic (30), der in Luzern auch fremde Leute auffordert, ihren Müll zu entsorgen, oder Celia Brun (24) aus Emmenbrücke LU, die liegen gelassenen Abfall von anderen auch mal aufhebt. «So was sollte man eigentlich mehr machen. Ich finde es mega schade, Luzern ist schliesslich so eine wunderschöne Stadt.» Und die soll auch weiterhin glänzen, findet sie.

Mitarbeit: Larissa Jurczek, Elisabeth Zirk

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