Carlo Chatrian zum letzten Mal in Locarno
«Ich werde die Piazza Grande vermissen»

Gestern Mittwoch hat Carlo Chatrian (48) zum letzten Mal das Filmfestival Locarno eröffnet. Nächstes Jahr übernimmt er die Berlinale und muss jetzt Deutsch lernen.
Publiziert: 03.08.2018 um 00:36 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 20:55 Uhr
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Die Piazza Grande von Locarno ist das grösste Kino der Schweiz – Carlo Chatrian wird sie vermissen.
Foto: Keystone
Interview: Christian Maurer

Zum letzten Mal hat Carlo Chatrian gestern Abend das Filmfestival von Locarno eröffnet. Schon jetzt weiss der abtretende künstlerische Direktor, was er vermissen wird, wenn er nächstes Jahr als Chef an die Berlinale wechselt.

BLICK: Gestern Abend haben Sie Ihr letztes Filmfestival in Locarno eröffnet. Sind Sie ein bisschen wehmütig?
Carlo Chatrian: Noch nicht. Dafür ist jetzt keine Zeit, ich brauche meine ganze Energie für das laufende Festival. Ich bin mir aber schon bewusst, dass ich viele Sachen zum letzten Mal mache.

Was wird Ihnen am meisten fehlen?
Die Vorstellungen auf der Piazza Grande! Die einmalige Athmosphäre, das Publikum und die Stargäste – einen Film ankündigen vor 8000 Menschen, das ist Adrenalin pur.

Was war das Highlight Ihrer sechs Jahre als künstlerischer Leiter?
Oh, sehr schwierig, sechs Jahre zusammenzufassen. Ein Highlight für mich persönlich war sicher der US-Regisseur Michael Cimino (†77), der 2015 nach Locarno kam, ein Jahr vor seinem Tod. Es hiess, er sei schwierig. Stimmt! Weils an einem Abend auf der Piazza regnete, hat er mich zusammengestaucht – und am nächsten Abend war er der netteste Mensch im Gespräch mit dem Publikum. Oder im Jahr zuvor die Filmemacherin Agnès Varda (90), die ein Leopardenkostüm mit auf die Bühne brachte und damit tanzte, als sie den Ehrenleoparden erhielt – ein unvergesslich lustiger und schöner Moment!

Welches ist dieses Jahr Ihr Lieblingsfilm?
Es gibt ganz viele … Ich erwähne darum jenen, der meine Unterstützung am ehesten braucht: «La Flor» des Argentiniers Mariano Llinás. Er dauert fast 14 Stunden.

Wer soll denn so was anschauen?
Der Film wird sein Publikum haben. Man muss auch nicht alles schauen. Es sind Episoden zwischen 20 Minuten und rund sechs Stunden. Ich bin gespannt, wie das Publikum und die Kritik darauf reagieren.

Alles in allem ist das Programm  mit Spike Lees «BlacKkKlansman», «Les Beaux Ésprits» von Vianney Lebasque und mit «I Feel Good» von Benoît Delépine dieses Jahr stärker aufs grosse Publikum ausgerichtet. Wollten Sie sich mit einem Programm der Leichtigkeit verabschieden?
Mit meinem Wechsel nach Berlin hat das nichts zu tun. Meine Idee war, dieses Jahr einen leichteren Ton anzuschlagen, mit mehr Komödien – von denen es allerdings im zeitgenössischen Filmschaffen leider nicht so viele gibt. Das Programm ist eben auch vom Angebot abhängig.

Leichteres Programm heisst mehr Publikum – verträgt es noch mehr Leute in Locarno während des Festivals?
Die Infrastruktur kommt an die Grenzen, das stimmt. Es ist schwierig, ein Hotelzimmer zu finden. Hoffentlich wird das besser, wenn in ein paar Jahren die direkten ÖV-Verbindungen in 20 Minuten nach Lugano in Betrieb sind und die Leute nach der Piazza-Vorstellung in den Zug sitzen können.

Was hätten Sie in Locarno noch gerne gemacht?
Ich hätte gerne einen 3-D-Film auf der Piazza gehabt. Und natürlich hätte ich auch gerne etwas mit Virtual Reality gemacht. Leider gibt es die nötige Infrastruktur dafür noch nicht 

Haben Sie immer die Filme und Stars nach Locarno bekommen, die Sie wollten?
Wünsche sind Wünsche und müssen das manchmal bleiben. Ich hätte gerne Clint Eastwood nach Locarno gebracht. Aber weil der so wenig reist, wusste ich, dass es unmöglich ist. Es ist auch nicht immer einfach, die Filme zu bekommen, die man will. 

Wird das für Sie jetzt einfacher in Berlin, dem viel grösseren Filmfestival?
Nein, jedes Filmfestival hat seine eigenen Schwierigkeiten, auch die Berlinale und sogar das Festival von Cannes. 

Warum gehen Sie eigentlich nach Berlin?
Weil es eine schöne Herausforderung ist! Aber sicher nicht, weil es mir in Locarno nicht mehr gefällt.

Sie leben mit Ihrer Familie im Aostatal. Werden Sie nach Berlin ziehen?
Ich fange ja erst nach der Berlinale 2019 dort an, also im März 2019. Dann ziehe ich nach Berlin. Ob meine Familie mitkommt, diskutieren wir noch.

Können Sie schon Deutsch?
Ich muss noch viel lernen. Meine Tochter, die in der Schule Deutsch lernt, hat mich schon längst überholt und will nicht mehr mit mir üben.

Werden Sie nächstes Jahr als Berlinale-Chef nach Locarno kommen?
Ich hoffe sehr, dass ich’s einrichten kann!

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