Carlo (5) bekam von seinem Vater Dirk ein neues Leben geschenkt
«Ärzte haben Papas Niere in meinen Bauch reingemacht»

Carlo kam mit einem Nierendefekt zur Welt. Im August spendete ihm sein Papa Dirk eine Niere – und schenkte dem heute Fünfjährigen ein neues Leben.
Publiziert: 29.12.2019 um 23:20 Uhr
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Im August hatte Carlo – damals noch vier Jahre alt – eine grosse Operation hinter sich: Eine Nierentransplantation.
Foto: Philippe Rossier
Livia Fischer

2019 hat Dirk seinem Sohn Carlo ein neues Leben geschenkt. Zu diesem Zeitpunkt war der Junge gerade einmal vier Jahre alt. Im August hatte er eine grosse Operation hinter sich. Wir haben ihn einen Monat später getroffen. «Mein Bauch wurde aufgeschnitten. Dann haben mir die Ärzte Papas Niere in meinen Bauch reingemacht», sagt Carlo. Er keucht beim sprechen. Sein Brustkorb hebt sich im Sekundentakt auf und ab. Er hat gerade Fangis gespielt.

Im Herbst 2014 kommt Carlo zur Welt. Die ersten Stunden seines Lebens sind dramatisch. Die Blutwerte spielen verrückt, eine Niere ist kaputt, die andere funktioniert nur schlecht. Er trinkt nicht von der Brust seiner Mutter und muss mit einer Spezialmilch versorgt werden. Mit sechs Monaten braucht er eine Magensonde. Flüssigkeit und Nahrung gelangen über einen kleinen Schlauch in seinen Körper.

All den Strapazen zum Trotz entwickelt sich der Bub zuerst gut. Er wächst, zählt unter seinen Gschpänli sogar zu den Grossen. Im März verschlechtert sich sein Gesundheitszustand plötzlich. Nach einem Krankenhausbesuch ist klar: Jetzt versagt auch die zweite Niere. «Das war furchtbar», erinnert sich Dirk, «die ganze Familie hat stark unter der Diagnose gelitten.»

Lebendspende bringt viele Vorteile

Eine Nierentransplantation kann auf zwei Arten erfolgen. Entweder der Patient wird auf die Warteliste gesetzt und erhält – sollte sich in gegebener Zeit denn ein geeigneter Spender finden – das Organ eines Verstorbenen, oder jemand aus dem privaten Umfeld spendet eine seiner Nieren. Meist ist es ein Familienmitglied, aus reiner Gutwilligkeit tuts in der Schweiz kaum ein Fremder.

Bei einer Lebendnierenspende ist der Zeitpunkt der Operation planbar und meist zeitnäher. Ausserdem muss die Niere zwischen den zwei Eingriffen nur wenige Stunden gekühlt werden – stammt das Organ von einem Toten, sind es bis zu 24 Stunden. Und mit jeder Stunde, die verstreicht, nimmt die Nierenqualität ab. So funktioniert die Niere einer Lebendspende bis zu 20 Jahren, sonst sind es im Schnitt 13 bis 15 Jahre.

Für Carlos Eltern kommt es nicht in Frage, ihn auf die Warteliste zu setzen. «Meine Frau und ich haben uns sofort testen lassen», sagt Dirk. Seine Werte passen. Der 52-Jährige zögert keine Sekunde. Beschliesst, seinem Sohn eine Niere zu spenden.

Grosse Angst vor der Operation

Bis zum Tag der Operation dauert es fünf Monate. Solange muss Carlos Blut mittels einer Bauchfelldialyse gewaschen werden. Konkret bedeutet das: Durch ein Röhrchen wird eine spezielle Flüssigkeit in die Bauchhöhle geleitet. Stoffwechselabfälle und überschüssiges Wasser werden aus dem Blut gesammelt und über den Katheter ausgeschieden. Das geschieht immer nachts: «Carlo hat meistens ruhig geschlafen. Nur manchmal hat er leise gestöhnt.»

Am 15. August ist es endlich so weit: Ab diesem Tag wird Carlo gesunde Organe haben. Die Freude auf den neuen Lebensabschnitt ist gross. Trotzdem sorgt sich Dirk um seinen Jungen. Was, wenn etwas schiefläuft? Auch Carlo fürchtet sich. Seit zwei Wochen stottert er. Was zuerst aussieht wie eine normale Entwicklungsstörung, ist Ausdruck seiner Angst.

Carlo will die neue Niere zunächst nicht. Er will sie auch nach der Operation nicht. «Da mussten wir ihm mehrmals erklären, dass er sie bereits hat», sagt Dirk und lacht. Er ist stolz auf seinen tapferen Sohn. Lässig sagt der Fünfjährige: «Ich habe tief geschlafen und nix gemerkt.» Die Schmerzen lassen schnell nach. Vier Wochen nach der Operation ist er fitter denn je.

Niere kann wieder abgestossen werden

Carlo entwickelt sich von der Frohnatur zum regelrechten Wirbelwind. Er rennt von der Rutschbahn quer über den Spielplatz zum Trüllibaum, klettert auf das Seilnetz, macht Spässe und kichert. Der neu gewonnene Energieschub macht sich auch in Carlos Magen bemerkbar. Zum ersten Mal verspürt er Appetit. Sein Lieblingsessen: Nüsse und Nudeln.

Auch Dirk ist wohlauf. Die Prognose für die Spender ist meist gut. Fünf bis zehn Prozent leiden in den ersten Monaten unter Müdigkeit und Schmerzen. Dass die verbleibende Niere irgendwann versagt, trifft auf deutlich weniger als ein Prozent zu. Anders beim Empfänger: Wehrt sich das Immunsystem gegen das neue Organ, bildet es Antikörper, und die Niere könnte abgestossen werden.

Carlos grosse Schwester will auch spenden

Medikamente dämmen das Risiko einer Abstossung: 95 Prozent der Nieren funktionieren noch nach dem ersten Transplantationsjahr. Wirksame Medikamente für einen langfristigen Schutz gibt es aber noch nicht.

Weil eine Abstossung auch ohne Symptome verlaufen kann, sind regelmässige Nachkontrollen notwendig. So bleiben auch für Carlo die Krankenhausbesuche lebenslänglich Pflicht. Und wenn er etwa 25 Jahre alt ist, wiederholt sich die Prozedur – dann muss wieder eine neue Niere her.

«Ich hoffe auf medizinische Fortschritte, die eine längere Lebensdauer von gespendeten Nieren ermöglichen», sagt Dirk. Nichtsdestotrotz: Eine neue Spenderin steht schon fest. Klappt alles wie geplant, wird Carlos grosse Schwester ihm irgendwann ein drittes Leben schenken.

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