BLICK war bei einer Nierenspende dabei
Für Marco beginnt ein neues Leben

Wegen eines seltenen Gendefekts benötigt Marco (26) eine neue ­ Niere – die seines Vaters Bruno (65). Die BLICK-Reporter Adrian Meyer (Text) und Philippe Rossier (Fotos) haben die Reinhards seit Anfang Jahr begleitet. (Teil 2)
Publiziert: 16.02.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 23:21 Uhr
So läuft eine Nierentransplantation
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Audio-Slideshow:So läuft eine Nierentransplantation

Im Operationssaal 5, Stock F, des Universitätsspitals Zürich liegt Bruno Reinhard (65) narkotisiert auf dem Operationstisch. Bereit für die Entnahme seiner rechten Niere, die er heute seinem Sohn Marco (26) spendet. Dieser leidet an einem seltenen Gendefekt, dem sogenannten Dent-Syndrom. Seine Nieren versagten im vergangenen Oktober (BLICK vom Samstag).

Im Operationssaal

Es ist 8.30 Uhr. Die Chirurgen Christian Oberkofler (35) und Olivier de Rougemont (35) desinfizieren ihre Hände. Dann binden sie sich die blaue OP-Schürze um, ziehen Plastikhandschuhe an, setzen Mundschutz und Operationsbrille auf. «Lebendspender sind unsere Lieblingspatienten», sagt Oberkofler. «Alles ist geplant, jeder ist bestens vorbereitet, wir haben keine Hektik.» Leichenspenden hingegen seien stets Notfallsituationen.

Im Operationsraum ist es kühl. Die Chirurgen mögen das, sie schwitzen sonst noch stärker. Die Assistenten im Raum stöpseln die letzten Kabel ein, sie legen die Instrumente bereit, eine Anästhesistin kontrolliert Puls und Beatmungsmaschine. Ein regelmässiges Piepen und Pumpen zeigt: Alles in Ordnung.

Jeder im Raum muss die Fakten über den Patienten kennen. Die Operation ist Teamarbeit. Die OP-Assistentin bittet um Ruhe und geht mit allen eine Checkliste durch. Routine, welche Sicherheit garantiert. Sie fragt, die Ärzte antworten abwechselnd. Name des Patienten? Bruno Reinhard. Allergien? Keine bekannt. Infektionen? Keine. Kritische Schritte bei der Operation? Das Trennen der Gefässe. Blutverlust? Keiner zu erwarten.

Einige Minuten später verdunkelt sich der Raum.

Nur ein Bildschirm spendet etwas Licht. Er ist an eine Kamera am Ende eines röhrenförmigen Instruments angehängt. Damit blicken die Chirurgen in Reinhards Bauchhöhle. Sie führen die Entnahme der Niere minimalinvasiv durch, mit einer Schlüsselloch-OP. Die kleinen Narben sorgen für weniger Schmerzen, lassen ihn schneller genesen. Über zwei zentimetergrosse Schnitte führen sie die chirurgischen Instrumente zum Trennen der Gefässe ein, über einen dritten Schnitt die bewegliche Kamera.

Die Entnahme

Damit sie genügend Platz zum Arbeiten haben, blähen die Chirurgen den Bauchraum mit Kohlendioxid auf. Er wölbt sich wie bei einer schwangeren Frau. Zuerst befreien sie die Niere von umliegenden Gewebeschichten. Danach klemmen sie die Vene und die Arterie ab, welche zur Niere führen. Und durchtrennen sie.

Über einen acht Zentimeter langen Schnitt, der quer über den Unterbauch geht, greift Chirurg de Rougemont ins Körperinnere. Er entnimmt die Niere mit seiner Hand.

Sie wird sogleich mit Konservierungsflüssigkeit durchspült und vom restlichen Fettgewebe befreit. So wenig Fremdmaterial wie möglich soll in den Körper des Sohnes gelangen, da dessen Immunsystem es abwehrt. Die Niere verpacken sie in durchsichtige Plastikbeutel. Sie kommt in einen vier Grad kalten Kühlschrank.

Während die Chirurgen dem Vater die Niere entnehmen, schaut Sohn Marco in seinem Zimmer das Tennis-Halbfinale des Australian Open zwischen Stanislas Wawrinka und Novak Djokovic. Er lenkt sich ab, will nicht länger warten. «Es soll jetzt einfach losgehen», sagt er. Die Pflegerinnen holen ihn kurz nach elf Uhr ab. Wie vier Stunden zuvor den Vater schieben sie ihn durch die Schleuse im obersten Stockwerk. Dass Wawrinka in fünf Sätzen gegen Djokovic verliert, sieht er nicht mehr.

Und dann schläft er in tiefer Narkose unter derselben Operationslampe wie sein Vater kurz vor ihm. Sie erhellt seinen nackten Bauch. Auf der linken Seite des Beckens klafft ein faustgrosses Loch, metallene Klemmen halten es offen. Da hinein soll die Niere seines Vaters. Dort wird sie an die Blutgefässe angeschlossen, die zum linken Bein führen. Seine eigenen, kranken Nieren bleiben im Körper. Sie schrumpfen mit der Zeit.

Die Tür zum OP-Saal öffnet sich, eine Assistentin schiebt ein Wägelchen in den Raum. Darauf liegt die Niere des Vaters. Sie ist kalt. Die Assistentin umwickelt das Organ mit kühlenden Bandagen. Und reicht es Chirurg de Rougemont.

Das Einpflanzen

Die Chirurgen legen die Niere ein, mit ruhiger Hand erledigen sie die Millimeterarbeit, ohne Hektik. Ab und zu murmeln sie sich gegenseitig den nächsten Schritt zu. Der eine hält die Niere, der andere näht. Zuerst verbinden sie die Vene der Niere mit der Beinvene in der Lende. Dann schliessen sie die Arterien zusammen.

Ein kritischer Moment. Die Naht muss halten, wenn frisches Blut aus dem Körper des Sohnes in die Niere des Vaters strömt. «In zehn Minuten hat er es überstanden», sagt Chirurg de Rougemont, «dann ist die Arterie angeschlossen.» Als die Chirurgen die Klammern entfernen, verfärbt sich die bleiche Niere rosarot. Die Naht hält.

In diesem Moment vollbringt der menschliche Körper eine beeindruckende Meisterleistung: Wenige Minuten, nachdem das Blut die Niere durchströmt hat, produziert sie bereits die ersten Tropfen Harn. Noch bevor die Chirurgen den Harnleiter an die Blase angeschlossen haben. «Wenn dies passiert», sagt Chirurg Oberkofler, «dann wissen wir: Super, von jetzt an geht es vorwärts wie auf der Autobahn!»

Die Zukunft

Vier Tage nach der Operation hat Vater Bruno Reinhard das Spital verlassen. «Ich habe zu Hause bereits Schnee geschaufelt», sagt er. Er kann weiterhin ein normales Leben führen. In den meisten Fällen entsteht durch eine Nierenspende kein zusätzliches Risiko, schwer zu erkranken oder gar früher zu sterben. Nach elf Tagen darf Sohn Marco nach Hause. Die Wunde hat sich nicht entzündet, sein Körper die Niere nicht abgestossen. Nur seine Nierenwerte schwanken noch.

Und die Schmerzen – deren Heftigkeit hat ihn überrascht. Derzeit schluckt er täglich sieben Medikamente. Die ersten drei Monate muss er zweimal wöchentlich zur Kontrolle ins Universitätsspital. Mit der Zeit weniger, wenn alles gut läuft.

Ein Leben lang nimmt er nun täglich Immunsuppressiva ein, damit der Körper die Niere seines Vaters nicht wieder abstösst. Weil dies sein Immunsystem schwächt, ist er anfälliger für Infektionen. «Ich habe es mir weniger anstrengend vorgestellt», sagt er. Und lächelt trotzdem.

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