Alex Capus äussert sich zum Skandal in der Brasserie Lorraine
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«Davon halte ich gar nichts!»:Capus äussert sich zum Skandal in der Brasserie Lorraine

Bestsellerautor und Barbetreiber Alex Capus
«Beim neuen Buch hab ich erstmals aufs Gendern geachtet»

Er beherrscht die Kunst aus historischen Stoffen fesselnde Lektüre zu machen wie kein anderer: Alex Capus. Einmal mehr ist die Heldin eine Frau. Im Interview spricht er auch über den Skandal in der Brasserie Lorraine und wieso er in seiner Bar die Preise nicht erhöht.
Publiziert: 30.07.2022 um 00:10 Uhr
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Bestsellerautor und Barbetreiber: Alex Capus in der Galicia Bar in Olten.
Foto: Siggi Bucher
Interview: Katja Richard

Er ist nicht nur Bestellerautor, sondern er betreibt in Olten SO auch die Galicia Bar. Hinter dem Tresen steht Alex Capus (61) nicht mehr so oft, wir treffen ihn, um über sein neues Buch zu sprechen. «Susanna» erzählt die Geschichte einer emanzipierten Frau, die mit ihrem Mut und Freigeist ihrer Zeit voraus war.

Bevor wir über Ihr neues Buch reden: Die Kaufkraft der einfachen Leute nimmt ab. Spüren Sie das in Ihrer Bar?
Alex Capus: Wir sind ein volkstümliches Lokal. Ich achte darauf, dass die Preise moderat sind. Jeder Gewerbler hat die Aufgabe, bei einer Inflation im Rahmen seiner Möglichkeiten verlangsamend zu wirken. Also nicht gleich die Preise hochzuschrauben, sondern erst mal etwas abzufedern. Klar gab es bei uns auch Preissteigerungen von Lieferanten, aber die gebe ich nicht gleich an die Gäste weiter. Erst wenn es nicht mehr geht und ich selber in den roten Zahlen bin.

In Ihren Büchern sind oft Frauen die Heldinnen, warum?
Es gibt zweierlei Leute, Männer und Frauen. Ich bin ein Mann und interessiere mich für Frauen, schliesslich bin ich auch schon sehr lange mit einer verheiratet, darum kenne ich mich gut mit Frauen aus.

Wer ist Ihre Heldin Susanna?
Es geht um die Geschichte einer grossen Befreiung, einer ungeheuren Emanzipation. Ein Mädchen, das Mitte des 19. Jahrhunderts in Kleinbasel zur Welt kommt, in einem Städtchen, das noch von einer mittelalterlichen Stadtmauer umgeben ist, alt und muffig, feudal, sittenstreng und lustfeindlich. Die Mutter befreit sich aus dieser Enge und reist mit ihrer Tochter nach Amerika. Und als das Mädchen erwachsen ist, geht es von New York weiter in den Wilden Westen, um den grossen Indianerhäuptling Sitting Bull zu treffen. Und das ist wirklich so passiert, das kann man in den historischen Archiven nachlesen.

Darf man heute noch Indianer sagen?
Ja, ich richte mich danach, was die Betroffenen selber sagen. Die indigene Bevölkerung in den USA nennt sich selber Indians, also halte ich das für zulässig. Ich habe das Wort aber vorsichtig eingesetzt. Im Buch selber verwende ich Apache oder Cheyenne, das ist präziser, und man ist fein raus. Das ist ja beim Gendern auch so. Wenn man von einer bestimmter Person spricht, gibt es kein Problem. Bei diesem Buch habe ich erstmals aufs Gendern geachtet.

Was halten Sie von dem Vorfall in der Lorraine-Bar: Eine Band musste wegen kultureller Aneignung ihr Konzert abbrechen, weil sie weiss sind, Rastas tragen und Reggae spielen.
Ich halte gar nichts von so Sachen, da können wir mit aller Kunst und Kultur aufhören. Alles ist kulturelle Aneignung, wenn man so will. In der Literatur könnte jede Künstlerin und jeder Künstler nur noch autofunktional von sich selber sprechen, muss aber ohne Nebenfiguren auskommen. Kein Mensch lebt für sich autark allein, wir sind immer mit anderen Leuten zusammen. Hoffentlich nehmen wir Positionen von anderen ein und setzen versuchsweise auch deren ihren Hut auf. Und ich selber bin vielleicht auch am Vormittag ein Mädchen, am Nachmittag ein Bub und nachts nochmals was anderes.

Zurück zu Susanna, wie sind Sie auf sie gekommen?
Hier in der Bar durch meinen Schriftstellerfreund Patrick Tschan aus Basel. Er meinte, das wäre ein spannender Stoff. Zuerst dachte ich aber, das ist nichts für mich.

Warum?
Geschichten aus dem Wilden Westen sind klischiert und abgegriffen. Beim Schreiben habe ich aber gemerkt, dass sich mir eine ganz andere Welt eröffnet. Die ganze Erzählung ist gar nicht auf ein Ziel ausgelegt, wichtig ist das Unterwegssein.

Entwickelt sich die Story während des Schreibens?
Zuerst habe ich einfach ein Thema, aber über viele Monate weiss ich nicht, wie ich das angehen soll, worum es eigentlich wirklich geht. Das ist ziemlich furchtbar, denn diese Suche kann man nicht intellektuell beschleunigen. Das ist eine Sache des Empfindens, da muss sich etwas öffnen. Und eines Morgens beim Aufwachen kommt die totale Klarheit mit dem berühmten ersten Satz.

Sie beschreiben eine Szene, in der Susanna einem Mann ein Auge aussticht …
In vermeintlicher Notwehr. Damit stelle ich klar, was für ein Kaliber sie ist, wozu sie imstande ist. Und ich deklariere meine Solidarität mit diesem Mädchen. Die Szene habe ich natürlich erfunden.

Wie viel darf man erfinden, wie viel ist biografisch?
Fakten hatte ich nicht viele. In der Schweiz findet man von jedem Menschen biografische Eckdaten, wie Geburt, Hochzeit, Kinder und Tod bis zurück ins Mittelalter. Das ist weltweit einmalig, weil unser Land seither weder durch Krieg noch durch Katastrophen zerstört worden ist. Bei Frauen ist die Recherche oft schwieriger.

Warum?
Sie hinterliessen weniger Spuren, weil sie bei der Heirat den Namen änderten. Bis ins 19. Jahrhundert waren Frauen in fast allen Ländern der Welt juristisch nicht handlungsfähig. Wenn eine Frau ein Haus kaufen wollte, brauchte sie die Unterschrift von ihrem Mann, Vater oder Bruder.

Was haben Sie über die Auswanderin erfahren?
Wer seinen Kopf aus der Masse herausstreckte, tauchte auch in den Medien auf. Das Archiv der «New York Times» reicht bis 1831 zurück und ist online zugänglich. Susanna ist aber praktisch nie aufgetaucht, erst bei ihrem Tod.

Von Kleinbasel in den Wilden Westen

Ihr Leben ist Stoff für Literatur und Film: Susanna Faesch wurde 1844 in Kleinbasel in einer alteingesessenen Familie geboren und landet im Wilden Westen. Sie nennt sich Caroline Weldon, wird Porträtmalerin und verbündet sich mit Sitting Bull, dem berühmten Häuptling der Lakota-Sioux. Kein Wunder, wurde man auch in Hollywood auf die Baslerin aufmerksam, Jessica Chastain schlüpfte im Film «Woman Walks Ahead» in ihre Rolle. Letztes Jahr hat der Schweizer Autor Thomas Brunnschweiler ein literarisches Lebensbild von Susanna Faesch veröffentlicht. Jetzt widmet sich Bestellerautor Alex Capus (61) in seinem neuen Buch «Susanna» einer emanzipierten Frau, die mit ihrem Mut und Freigeist ihrer Zeit voraus war.

Alex Capus: «Susanna». Hanser, 2022. Das vom Autor gelesene Hörbuch ist im Hörverlag erschienen.

Zvg

Ihr Leben ist Stoff für Literatur und Film: Susanna Faesch wurde 1844 in Kleinbasel in einer alteingesessenen Familie geboren und landet im Wilden Westen. Sie nennt sich Caroline Weldon, wird Porträtmalerin und verbündet sich mit Sitting Bull, dem berühmten Häuptling der Lakota-Sioux. Kein Wunder, wurde man auch in Hollywood auf die Baslerin aufmerksam, Jessica Chastain schlüpfte im Film «Woman Walks Ahead» in ihre Rolle. Letztes Jahr hat der Schweizer Autor Thomas Brunnschweiler ein literarisches Lebensbild von Susanna Faesch veröffentlicht. Jetzt widmet sich Bestellerautor Alex Capus (61) in seinem neuen Buch «Susanna» einer emanzipierten Frau, die mit ihrem Mut und Freigeist ihrer Zeit voraus war.

Alex Capus: «Susanna». Hanser, 2022. Das vom Autor gelesene Hörbuch ist im Hörverlag erschienen.

Damals nannte man sie doch «Sitting Bull's White Squaw», war das nicht in den Medien?
Das ist Legendenbildung, die in den letzten Jahrzehnten in den USA betrieben worden ist. Das kann einfach nicht stimmen. Da kommt eine Fremde zu einem indigenen Volk und wird gleich zur Vertrauten des Chiefs? Die beiden hatten nicht mal eine gemeinsame Sprache. Es gibt zwar in der historischen Literatur Abschriften von Briefen, die sie an Sitting Bull geschrieben hat. In denen fordert sie in dringend auf, mit den Geistertänzen aufzuhören, weil das die amerikanische Armee provoziert. Das bedeutet nicht, dass sich Sitting Bull im Geringsten dafür interessiert hat.

Sie hat doch vier Porträts von ihm gemalt?
Aber er hat sicher nicht für sie Modell gesessen. Das ist nicht Ansichtssache, da habe ich recht und sonst niemand. Das romantische Indianerbild war bei der weissen Bevölkerung schon damals sehr in Mode. Die indigenen Anführer liessen sich für Geld fotografieren, und es wurden Postkarten verkauft. Die Porträts, die Susanna gemalt hat, stammen eindeutig von solchen Karten.

Was ist mit der angeblichen Romanze?
Auch das ist nicht realistisch. Es war schon immer so in der Geschichte: Wenn sich eine Frau ungebührlich einmischt und etwas macht, was sie nicht sollte, dann wird sie von Männern über ihre Sexualität diskreditiert. Sie wird zum Gangsterliebchen, zur Mätresse oder Prostituierten. Das ist ein Mechanismus, der immer wieder spielt.

Die Geschichte von Susanna wurde in den USA verfilmt. Ist schon mal eines Ihrer Bücher ins Kino gekommen?
Nein, und ich weiss nicht, ob ich das wollen würde. Aber ich habe gehört, dass man für die Filmrechte einen Haufen Geld bekommt, das würde ich nicht ablehnen. Dafür muss man sich von seinem Buch verabschieden. Scharf bin ich nicht auf einen Film, ich verdiene auch so genug.

Begnadeter Erzähler

Alex Capus zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Autoren. Zunächst Journalist, veröffentlichte er 1994 sein erstes Buch. Bereits damals griff er einen historischen Stoff auf und machte daraus einen Roman. Capus stammt ursprünglich aus der Normandie, die ersten fünf Lebensjahre verbrachte er bei seinen Grossvater in Paris, bis er mit seiner Mutter nach Olten zog. Hier lebt er bis heute und betreibt die Galicia Bar. Seine Frau Nadja Capus ist Strafrechtsprofessorin. Das Paar hat fünf Söhne.

Bestellerautor Alex Capus in seiner Galicia Bar in Olten.
Siggi Bucher

Alex Capus zählt zu den erfolgreichsten Schweizer Autoren. Zunächst Journalist, veröffentlichte er 1994 sein erstes Buch. Bereits damals griff er einen historischen Stoff auf und machte daraus einen Roman. Capus stammt ursprünglich aus der Normandie, die ersten fünf Lebensjahre verbrachte er bei seinen Grossvater in Paris, bis er mit seiner Mutter nach Olten zog. Hier lebt er bis heute und betreibt die Galicia Bar. Seine Frau Nadja Capus ist Strafrechtsprofessorin. Das Paar hat fünf Söhne.

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