Um die passende Kulisse für eine ländliche Schweiz des 19. Jahrhunderts zu finden, ist die Filmcrew bis zuhinterst ins wildromantische Val Bavona im Tessin gereist – dort gibt es ausser in San Carlo bis heute nicht mal Strom. Gedreht werden in dieser Woche Szenen für das neue Schweizer Historiendrama «Jakobs Ross». Als Vorlage dient der Besteller-Roman der Zürcher Autorin Silvia Tschui (48), erzählt wird die Geschichte der jungen Magd Elsie, deren grosse Begabung für Musik den Interessen ihres Manns Jakob in die Quere kommt und schliesslich zu Mord und Totschlag führt.
In ihre Rolle schlüpft Luna Wedler (22) und damit auch in eine ziemliche Menge Schichten von Kleidern: Die Schauspielerin blickt auf ihr Kostüm herunter und lacht: «Es ist ziemlich heiss, aber es hilft auch ein Stück weit, um sich in eine Zeit vor 150 Jahren zurückzuversetzen.» Wedler hat das Drehbuch zum Film vor zwei Jahren gelesen und daraufhin Tschuis Roman gleich dreimal hintereinander verschlungen. «Es hat mich total gepackt, und ich habe mich sofort verliebt in Elsie.» Wedler hat viel recherchiert: «Mich hat es neugierig gemacht, wie das Leben für die Menschen 1870 hier bei uns war, insbesondere für Frauen.»
Aberglaube und Gewalt
Sozialer Aufstieg durch eine Karriere als Musikerin, für eine Frau von niederem Stand? «Damals fast unmöglich», sagt die SonntagsBlick-Autorin Tschui, die für den Dreh an diesem Tag vor Ort ist. Aus dem engen Gefüge von sozialer Ordnung, Aberglaube und Gewalt gab es kaum ein Entkommen. Elsie darf denn auch nicht lange auf ihrem geschenkten Harmonium spielen: Der Hausherr fördert das Talent der Magd auf seine Weise und schwängert sie. Elsie wird an den Rossknecht Jakob (Valentin Postlmayr, 29) verschachert und auf eine ärmliche Pacht abgeschoben. Sie fügt sich vermeintlich ihrem Schicksal – bis der Fahrende Rico (Max Hubacher, 29) auftaucht, der mit seiner Musik Elsies Sehnsucht nährt.
Hat sich Tschui träumen lassen, dass die Figuren aus ihrem Buch auf die Leinwand kommen? «Gar nicht! Aber das Buch ist sehr visuell gedacht und geschrieben. Vielleicht hat es deshalb die Produzenten angesprochen.» Für sie ist die Verfilmung eine Riesenauszeichnung. Stolz macht sie, dass sie etwas erschaffen hat, das sich weiterentwickelt und somit anderen Kulturschaffenden «für eine Zeit lang den Znacht auf den Tisch stellt», wie sie sagt. «Dass etwas, das nur meinem Hirn entsprungen ist, über sich hinausweist und auch für andere Arbeitsplätze und Geld generiert, das hat für mich etwas Magisches.»
Eine moderne Beziehungsgeschichte
Die Magie im Buch ist es, die die Regisseurin Katalin Gödrös sofort vom Stoff überzeugt hat. «Diese Fantasiewelt lässt sich zwar filmisch in unserem Rahmen nicht umsetzen», sagt sie. «Mein Fokus liegt mehr auf der Beziehung zwischen Jakob und Elsie.» Und die sei gar nicht so weit weg von den Themen, mit denen sich auch heute Paare auseinandersetzen. Damit macht die Regisseurin den Schritt in unsere Zeit, es geht um moderne Beziehungsthematik. «Jeder möchte seine Träume verwirklichen, Jakob wünscht sich ein eigenes Ross als Statussymbol, und Elsie möchte sich musikalisch entwickeln. Es geht um die Frage, wer wen unterstützt und wer seine Ziele umsetzen kann. Oft geht das nicht für beide.»
Während es in Tschuis preisgekröntem Roman teils blutrünstig zur Sache geht, wenn «Beine mit Beilen gefällt» und «Muskeln mit Sensen verfötzelt» oder Tiere brachial geschlachtet werden, steigt die Regisseurin vor allem in die psychologischen Abgründe ihrer Figuren ab: «Aber ein bisschen Blut gibt es auch.» Als Kulisse dazu passt die Enge und das Rohe im Tal. Gedreht wird in dem Weiler La Prèsa di San Carlo zwischen uralten Steinmauern und Ruinen, zu erreichen ist der Platz nur zu Fuss. Praktisch das ganze Filmmaterial musste darum mit dem Helikopter von der nahen Brücke hochgeflogen werden, die 40-köpfige Crew macht den Weg jeden Tag zu Fuss.
Mit Sneakers in die Vergangenheit
Unter dem Kostüm von Luna Wedler schauen darum Sneakers hervor – solange nicht gedreht wird. Gefilmt wird nur bei Tageslicht, pro Tag müssen 2½ bis 4 fertige Minuten in den Kasten. Die grösste Herausforderung für die Schauspielerin ist das Singen: «Musik ist alles für Elsie, es ist ihre grosse Liebe. Aber ihr ist nicht bewusst, dass sie ein übernatürliches Talent hat. Ihre Stimme ist wie eine magische Naturgewalt.» Wedler hat dafür Coaching-Stunden genommen, sie will nicht wie ein Profi klingen, sondern mit Herz: «So zu singen, hat etwas sehr Intimes, davor habe ich Respekt.»