Dana R. Carney untersucht an der University of California in Berkeley das Sozialverhalten in Hinblick darauf, wie sich Vorurteile, Macht, unterschwellige Diskriminierung oder Status manifestiert. Vor allem interessiert sie sich für nonverbales Verhalten, das heisst, wie wir unbewusst auch Dinge über Mimik und Körper kommunizieren, die wir eigentlich geheim halten wollen. Sie hält weltweit Vorträge und Seminare. Das Interview gab sie im Rahmen einer Veranstaltung bei Ringier in Zürich.
BLICK: Professor Carney, Sie erforschen, wie Menschen miteinander umgehen, im richtigen wie im digitalen Leben. Wie ehrlich sind wir in den sozialen Netzwerken?
Dana Carney: Wir präsentieren uns dort in einer idealisierten Version von uns selbst. Diese stimmt natürlich nicht immer mit der Wirklichkeit überein. Kein Mensch ist immer so glücklich, wie er auf Fotos auf Facebook aussieht. Das glaubt auch kein Mensch.
Wir wollen meist freundlich sein zu unseren Freunden. Müssen wir ihren geteilten Posts auf den sozialen Netzwerken darum das «Daumen nach oben»-Symbol geben?
Nein, natürlich nicht. Aber wir tun es fast automatisch. Jemanden auf sozialen Netzwerken zu liken, ist ja total banal.
Warum?
Das ist wie im richtigen Leben: Wir sind eine soziale Spezies und leben in einer höflichen Kultur. Positives Feedback, etwas oder jemanden zu mögen, ist der soziale Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält. Kein Mensch kann allein überleben. Also lächeln wir, schütteln Hände, scherzen miteinander, sind nett miteinander statt harsch. Damit signalisieren wir, dass wir jemanden mögen – auch wenn es nicht immer ganz stimmt.
Das heisst, wir sind alle Lügner?
Ja genau, wir lügen ständig.
Seltsam, dabei ist Lügen doch eine Sünde und Wahrhaftigkeit eine Tugend.
Es kommt natürlich immer auf die Art der Lüge an. Soziale Lügen haben ein positives Ziel, die sind in Ordnung. Sie verbessern das gegenseitige Verständnis und fördern sogar das Vertrauen untereinander.
Wenn ich ein positives Feedback nicht glauben kann, kann ich wenigstens der negativen Reaktion trauen?
Ja, Kritik ist oft ehrlicher als Lob.
Können wir unterscheiden, welche positive Äusserung wahr ist und welche nicht?
Das ist wirklich schwierig in der digitalen Welt. Wir können es am ehesten aus dem Kontext erschliessen. Wenn jemand nur selten auf einen Post im Netz reagiert, ist seine Reaktion, ob positiv oder negativ, glaubwürdiger als von jemandem, der ständig alles liked. Es ist vermutlich auch viel bedeutungsvoller und auch verstörender, wenn man gar keine Reaktion auf seinen Post bekommt. Vor allem dann, wenn ein Freund aus der realen Welt nicht reagiert. Das ärgert richtig.
Und in der richtigen Welt?
Da ist es viel einfacher: Hier kann man auf die Stimme hören, auf die Körpersprache achten und ins Gesicht schauen.
Worauf muss ich da achten?
Zum Beispiel auf die Veränderungen im Gesicht: Die Mundwinkel, die auf einmal nach oben oder unten zeigen, die Fältchen, die sich um die Augen bilden.
Und woran erkenne ich, dass mein Gegenüber ehrlich ist?
Es darf keinen Widerspruch geben zwischen den Worten und den Bewegungen, der Mimik und der Stimme.
Zum Beispiel?
Wenn man jemandem im Gespräch zustimmt, zeigt man das mit einer unterstreichenden Handbewegung, lehnt sich zu ihm, nickt mit dem Kopf dazu, lächelt und gibt der Stimme einen warmen Ton.
Das kann man doch auch vorspielen.
Nur bedingt. Man kann ein falsches Lächeln ziemlich gut von einem richtigen Lächeln unterscheiden.
Wie?
Ein falsches Lächeln benutzt nur den Mund, mit hochgezogenen Mundwinkeln, nicht aber die Backen und die Augenpartie. Wenn man wirklich positive Gefühle zeigt, gehen die Backen hoch und die Muskeln um die Augen ziehen sich zusammen. Es gibt dann diese berühmten kleinen Lachfältchen.
Das funktioniert auch, wenn das Gesicht geliftet oder mit Botox behandelt ist?
Auch dann. Botox legt in der Regel nicht das ganze Gesicht lahm. Auch wenn die Augenpartie gespritzt ist, bewegen sich immer noch Mund und Backen.