Basler Zoo-Veterinär Christian Wenker
«Alle Tiere sind gleich viel wert»

Strausse, Schimpansen, Schneeeulen: Christian Wenker (48) ist Tierarzt im Basler Zoo und kümmert sich um 7000 Tiere. Zu seinem Alltag gehören auch Abschied und Tod.
Publiziert: 24.10.2016 um 14:40 Uhr
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Aktualisiert: 26.10.2018 um 15:06 Uhr
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Der Basler Zootierarzt Christian Wenker (48) mit der aussergewöhnlich zutraulichen Okapi-Dame Mchawi (5).
Foto: Derek Li Wan Po
Gabi Schwegler

Es ist klapprig, die Farbe abgewetzt, die Lenkung eingerostet. Als Krankenwagen benutzt der Basler Zootierarzt Christian Wenker (48) ein 14 Jahre altes, dreirädriges Lastenvelo mit einer grauen Kiste vorne. Darin ist der Koffer mit Kanülen, Stethoskop und Katheter. Gut befestigt aber sichtbar: das Blasrohr für Betäubungsschüsse aus Distanz.

«Das Okapi hat Husten» kommt im November

Wenker ist einer von zwei Tierärzten im Basler Zoo. Dort arbeitet  er seit 15 Jahren. Über seine Erlebnisse schrieb er nun mit Fachkollegen ein Buch: «Das Okapi hat Husten» erscheint Anfang November.

Straussenhenne Manyara (24) sitzt seit Tagen lethargisch im Gehege. «Was isch los, Manyara?», fragt Wenker durch den Zaun.
Foto: Derek Li Wan Po

An diesem sonnigen Herbstnachmittag radelt Wenker als Erstes zur Straussenhenne Manyara (24). Sie liegt seit Tagen lethargisch im Gehege, der Blick schläfrig. Wenker mag die alte Dame, sie wurde im Basler Zoo geboren. «Jedes Jahr zu Weihnachten legt sie Eier.» Er streckt die Hand durch den Zaun. «Was isch los, Manyara?», fragt er und sucht ihren Körper nach Auffälligkeiten ab. «Wir haben keine Ahnung, was passiert sein könnte», sagt Wenker. Er macht sich grosse Sorgen. «In diesen Fällen ist es besonders schwierig, dass uns die Tiere nichts sagen können.»

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Welches Tier war heute schon bei Ihnen in der Zoo-Praxis?
Christian Wenker: Ich besuche meine Patienten eher, als dass sie zu mir kommen. Ich drehe jeden Tag auf dem Velo meine Runde und besuche die Tiere in ihren Gehegen.

Welche Eingriffe stehen an?
Eigentlich hatten wir bei unseren Erdmännchen eine Röntgenuntersuchung und Blutentnahme unter Narkose geplant. Aber den Tierpflegenden ist es nicht gelungen, sie einzufangen. Das kommt manchmal vor.

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Schimpanse Lazima (2) begrüsst Christian Wenker: «Das berührt mich.»
Foto: Derek Li Wan Po

In der Nähe von Strauss Manyara liegt das Affengehege. Dort geht Wenker einmal pro Woche auf Höflichkeitsbesuch. Reine Beziehungspflege, kein tierärztlicher Einsatz. «Menschenaffen sind hochintelligent. Wenn die mich mit dem Blasrohr sehen, suchen sie sofort das Weite», sagt er und stösst die Tür auf. Keine Sekunde später hallen Pfiffe durch den Raum. Die Totenkopfäffchen schlagen Alarm. Sie haben Wenker sofort erkannt. «Die mögen mich gar nicht, da nützen auch regelmässige Besuche nichts.»

Die Schimpansen hingegen freuen sich, dass er auftaucht. Schimpansendame Benga (37) kommt zum Fenster gehüpft, drückt ihren Rücken an die Scheibe. Deren Junges Lazima (2) gibt Wenker ein High Five. «Das berührt mich», sagt Wenker und streicht Benga entlang der Scheibe übers Fell. «Wenn eine Beziehung besteht, nehmen sie nötige Eingriffe gelassener.»

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Wieso tragen Ihre Tiere Namen?
Sie sind Ausdruck dafür, dass wir die Tiere gern haben. Sie sollen nicht nur Nummern haben wie in der Schweinemast oder Fleischproduktion. Wir machen aber keine Tiertaufen und schreiben die Namen, ausser bei den Affen, auch nicht an. Und natürlich gibt es Grenzen, nicht jeder Flamingo wird benannt.

Was unterscheidet Menschenaffen von anderen Zootieren?
Sie erkennen Zusammenhänge und wissen, dass ein Eingriff wartet, wenn ich mit dem Blasrohr erscheine. Aber es gibt keine Hierarchie in der Behandlung unserer Tiere. Auch Futtermäuse, die wir züchten, erhalten tierärztliche Behandlungen. Alle Tiere sind gleich viel wert.

Haben Tiere Gefühle?
Manche sagen, Tiere würden nur instinktiv handeln. Aber dann sehe ich meinen Hund zu Hause und stelle fest, dass er ein Erinnerungsvermögen hat – vor allem natürlich, wenn es ums Futter geht. Klar ist, dass Tiere an ähnlichen psychischen Krankheiten leiden wie wir Menschen. Wir hatten einmal einen Orang-Utan, der sich immer unter einem Jutesack versteckte. Wir unterstützten ihn mit Johanniskraut, einem natürlichen Anti-Depressivum. Das hat gewirkt. Wir behandeln Tiere zwar nie dauerhaft mit Mitteln, aber gezielt macht es durchaus Sinn.

Können Tiere lieben?
Es gibt Tierarten mit extrem stabilen Partnerschaften, zum Beispiel Hornraben oder Krallenaffen. Ansonsten gibt es alle Formen des Zusammenlebens zum Zweck der Fortpflanzung, vom Einzelgänger bis zur Haremsgruppe. Ob sich Tiere auf einer Gefühlsebene lieben, kann ich nicht beantworten. Raubkatzen reiben ihre Köpfe aneinander und stossen dabei wohlige Laute aus. Wir Menschen sagen dazu: Sie schmusen.

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Wenker radelt zurück in sein Büro am Rand des Zoogeländes, versteckt hinter mächtigem Bambus. Der Operationstisch ist vorbereitet, eine schwarze Atemmaske liegt unberührt auf dem grünen Tuch.

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Was ist das für eine Maske?
Das ist eine Narkosemaske für Katzen, die wir für die Erdmännchen gebraucht hätten. Aber eben, sie haben den heutigen Arzttermin abgesagt. Übrigens kann man Katzenimpfstoff auch für Löwen, Schneeleoparden oder Geparden nehmen.

Wie erfinderisch muss man als Zootierarzt sein?
Die Pionierzeiten sind vorbei, aber noch immer tüfteln wir viel. Lange Schnäbel sind zum Beispiel bei -Narkosen eine Herausforderung. Für Pelikane benutzen wir einen langen Handschuh, den man normalerweise für Rektaluntersuchungen bei Kühen braucht. Die Tukane bekommen eine aufgeschnittene PET-Flasche, Elefanten beatmen wir mit Wetterballons.

Welche Tricks wenden Sie sonst noch an?
Wenn wir Pinguine behandeln, stülpen wir ihnen einen dieser orange-weissen Pylone über, damit sie nicht mehr so fest mit ihren Flippern schlagen können. Und Schildkröten kann man auf einen Autoreifen setzen, dann kriechen sie nicht davon. Manchmal ist es nur schon schwierig, einem Tier das nötige Medikament zu verabreichen, etwa bei Okapis. Weil sie es nicht mögen, wenn sie schmutzig werden, haben wir ihnen die Entwurmungspaste aufs Fell gestrichen – und sie haben sie sofort abgeleckt.

Wie kommen Sie auf diese Ideen?
Viele Hinweise kommen von den Tierpflegenden. Und wir Tierärzte tauschen uns an Kongressen aus. Dort habe ich kürzlich einen Preis gewonnen, weil ich das Gewicht -eines Flusspferds anhand der Wasserverdrängung schätzen kann. Das Gewicht ist für die Berechnung der Dosierungen massgebend. Oder eine Kollegin fand heraus, wie man eine Robbe zum Erbrechen bringen kann, wenn sie einen Fremdkörper verschluckt hat, den Zoobesucher ins Wasser geschmissen haben.

Wie?
Indem man der Robbe einen mit Gras gefüllten Fisch verfüttert.

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Christian Wenker liest mit einem Scanner den Mikrochip einer Schneeeule aus. Ein letzter Gesundheitscheck vor ihrem Umzug in einen französischen Zoo.
Foto: Derek Li Wan Po

Auf Wenkers Patientenliste steht nun eine einjährige Schneeeule. Er muss ihren Mikrochip ablesen, bevor sie in ihr neues Zuhause verlegt wird, den Zoo in Bordeaux (F). «Wir mussten sie noch entwurmen und behandeln», sagt er und berät sich mit zwei Tierpflegern. Sie fangen das Tier mit einem Laubrechen ein. Es schlägt kräftig mit seinen grossen Flügeln, deren Spannweite ist beeindruckend. Schliesslich kann Pflegerin Andrea Cassani (35) die Eule an den Füssen fassen. Der Vogel beruhigt sich. Mit einem Scanner liest Wenker den Chip. «Es ist alles in Ordnung, sie ist gesund und bereit für den Umzug.»

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Gibt es ein Abschiedsritual, wenn ein Tier stirbt?
Das kommt auf die Art an. Menschenaffen und Elefanten nehmen Abschied von ihren Angehörigen. Da legen wir das verstorbene Tier ins Gehege und informieren unsere Besucher darüber. Bei Gorillas habe ich schon erlebt, dass sie das tote Tier nochmals berühren und einen Moment verweilen. Bei Fluchttieren ist das nicht der Fall. Dort ist es normal, dass ein Raubtier ein schwaches Tier aus der Herde holt.

Bringen Sie auch Tiere zurück in die Wildnis?
Das ist leider nur bei ganz wenigen Arten möglich, der Lebensraum ist meist viel zu bedroht. Wir müssen die Tiere erhalten, die noch in ihrem natürlichen Habitat sind – und jene, die wir hier zeigen, als Botschafter für diese bedrohten Lebensräume sehen.

Millionen Menschen leiden an Hunger, Tausende sterben in Kriegen. Wieso setzen Sie sich für Tiere ein?
Daran denke ich immer wieder. Diese Frage ist wichtig. Ich habe für mich entschieden, dass dies meine Aufgabe ist. Der Schutz der Tiere ist meine Leidenschaft. Andere treten als Clown auf, und ihr Ziel ist es, Menschen zum Lachen zu bringen.

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Die wertvollen Rothalsgänse fliegen trotz gestutzten Flügeln hoch - offenbar sind die Federn nachgewachsen. «Das kann brenzlig werden», sagt Wenker.
Foto: Derek Li Wan Po

Aus dem Gehege der Rothalsgänse ereilt Wenker an diesem Nachmittag eine beunruhigende Nachricht. Mit Laser hat man den vier Tieren die Flügel gestutzt, um sie flugunfähig zu machen. Zwei setzen aber trotzdem immer wieder zu Höhenflügen an. Ein Pfleger hat die vier wertvollen Vögel ins Wintergehege der Flamingos gebracht. Offenbar sind die Federn etwas nachgewachsen. «Das ist gefährlich, weil das Stutzen ihr Gleichgewicht stört. Würden sie bei einem Raubtier landen, könnten sie nicht genug schnell starten. Dann würde es brenzlig.»

Wenker steigt aufs Velo. Er muss zum Scharlachspint, einem bienenfressenden Vogel. Davon rollt ein Mann, der sich an der Gesundheit seiner Tiere erfreut und mit dem Tod seiner Schützlinge umgehen muss. Manyara ist kurz nach unserem Besuch an Knochenkrebs gestorben. Ihr Partner Baringos kümmert sich nun um die Küken.

Kein Scherz

Christian Wenker wurde am 1. April 1968 geboren und besitzt eine Sammlung von 1.-April-Scherzen, die bis in sein Geburtsjahr zurückreichen. Er studierte Veterinärmedizin und dissertierte mit einer Arbeit über Zahnerkrankungen bei Braunbären im Berner Bärengraben. Bevor er 2002 als Tierarzt zum Basler Zolli wechselte, arbeitete er am Tierspital Zürich und im Zürcher Zoo. Heute lebt Wenker in Basel und vermisst den Zürichsee. «Aber sonst fehlt es mir hier an nichts.»

Christian Wenker wurde am 1. April 1968 geboren und besitzt eine Sammlung von 1.-April-Scherzen, die bis in sein Geburtsjahr zurückreichen. Er studierte Veterinärmedizin und dissertierte mit einer Arbeit über Zahnerkrankungen bei Braunbären im Berner Bärengraben. Bevor er 2002 als Tierarzt zum Basler Zolli wechselte, arbeitete er am Tierspital Zürich und im Zürcher Zoo. Heute lebt Wenker in Basel und vermisst den Zürichsee. «Aber sonst fehlt es mir hier an nichts.»

Neues Buch

Die zwei Basler Zootierärzte Christian Wenker und Stefan Hoby sowie die Biologin Tanja Dietrich erzählen in «Das Okapi hat Husten» Geschichten aus ihrem Alltag, mal rührend, mal lustig, mal schmerzhaft. Das Buch erscheint am 2. November. 29 Franken, 230 Seiten, Christoph Merian Verlag.

Die zwei Basler Zootierärzte Christian Wenker und Stefan Hoby sowie die Biologin Tanja Dietrich erzählen in «Das Okapi hat Husten» Geschichten aus ihrem Alltag, mal rührend, mal lustig, mal schmerzhaft. Das Buch erscheint am 2. November. 29 Franken, 230 Seiten, Christoph Merian Verlag.

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