Autorin Julia Onken
Frauen über 50 sind keine alten Schachteln

Viele Frauen rutschen um die 50 in eine Lebenskrise. Auch Autorin Julia Onken blieb davon nicht verschont. Erst war sie von den Veränderungen geschockt, dann begann sie sich und ihre Weiblichkeit neu zu erfinden.
Publiziert: 08.03.2016 um 16:22 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 04:28 Uhr
Die auf Jugendlichkeit getrimmte Modeindustrie entdeckt eine neue Klientel: In London fand Mitte Februar die erste Modeschau mit Models über 50 statt
Foto: DUKAS

Es geschah völlig unerwartet. Ich sass in einem Fernseh-Talk in Deutschland und war ausgesprochen gut drauf. Das Thema, das zur Debatte stand, hiess «Weshalb Männer fremdgehen und nicht dazu stehen» – und darin kannte ich mich gut aus, schliesslich hatte ich mich kurz vor der Einladung mit einer entsprechenden Umfrage beschäftigt. Also freute ich mich auf den Austausch.

Dann aber war im Studio auf einem Monitor ein kurzer Einspieler zu sehen, ich schaute zufällig hin und erblickte eine Frau, die mir völlig fremd war. Ich überlegte kurz, wer diese Blondine wohl sein könnte (um ehrlich zu sein, dachte ich mir, wer diese alte Schreckschraube wohl ist). Erst auf den zweiten Blick erkannte ich, dass ich diese Schreckschraube bin. Und konnte mich in der Folge nur mit Mühe auf den Talk und meine Aussagen konzentrieren.

Abends sass ich im letzten Flugzeug nach Zürich und dachte über mein Erlebnis nach. Ich pendelte zwischen heftiger Empörung darüber, was das Alter mit mir, mit uns Frauen anstellt, und kurzen Anflügen gelassener Heiterkeit. Ich versuchte, mich daran aufzubauen, dass das Ende des sozialen Zwangs, als Frau stets nett und adrett auszusehen und gefallen zu müssen, auch eine Erleichterung ist. Jetzt war ich frei, durfte mich der Kraft der Natur hingeben, ohne dafür sofort in die Kritik zu geraten. Andrerseits ist für uns Frauen jeder Geburtstag jenseits der 50 ein unüberhörbarer Glockenschlag – ganz anders als beim Mann. Der kann mit 60 nochmals richtig loslegen, sich eine neue Frau nehmen, Kinder zeugen oder zumindest einen Marathon laufen, um den seine Kraft und Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Und sich über sein nachlassendes Stehvermögen – vor allem im sexuellen Bereich – geschickt hinwegmogeln.

Julia Onken (73): "Alt werden ist ein Seich."
Foto: Thomas Lüthi

Bei Frauen aber steht seit Jahrhunderten der Faktor Attraktivität im Vordergrund – ihr Wert wird ständig daran gemessen. Mit zunehmendem Alter aber rasseln diese Aktien in den Keller – und darüber kann sich keine Besitzerin freuen. Nein, für Frauen gibts kein Entrinnen: Der Verwitterungsprozess lastet schwer.

Ich sass also im Flugzeug, und mein Gedankenkarussell drehte sich zusehends schneller.  Ich fasste Mut: Ist das Leben nicht schöner, wenn man es wagt, endlich sich selbst zu sein? Wenn man sich nicht mehr damit abmühen muss, möglichst gut auszusehen, sich möglichst vorteilhaft zu drapieren? Etwas übermütig geworden, stupste ich meinen breitbeinig dasitzenden Nachbarn an und fragte ihn, ob er den verdammt schönen Sonnenuntergang gesehen habe. Der Mann brummte, fühlt sich offensichtlich gestört – aber ich war entschlossen, die neue Narrenfreiheit auszukosten, und fragte bei ihm so lange nach, bis er schliesslich gut verständlich Ja sagte.

Über den Wolken scheint sich manches leichter anzufühlen als anderswo, denn gleich nach der Landung war das Leben wieder erdenschwer. Neben mir angelte eine junge, bildhübsche Frau mit elegantem Schwung ihr Gepäck vom Band, um dann leichten Schrittes davonzustöckeln. Ich dagegen bewegte mich schweren Schrittes dem Ausgang zu, obwohl ich nur eine Handtasche zu tragen hatte. Weit schwerer wog das Etikett, das an mir zu kleben schien: Ich bin eine alte Schachtel. Ausgemustert. Abgetakelt.

Später begann ich mit anderen Frauen über ihren Umgang mit dem Altern zu sprechen. Und stellte dabei fest, dass ich mit meinen Vorbehalten, meiner Ambivalenz nicht alleine stand. Und wer meint, betroffen seien nur eitle Frauen, die nichts anderes zu tun haben, als sich um ihr Äusseres zu kümmern, der irrt. Der Verlust von Schönheit und Attraktivität ist für alle schmerzlich. Die einen versuchen, den Vorgang zu ignorieren – oder machen es wie die Promi-Frau Vera Dillier, die immer wieder sagt, ihr Alter gehe niemanden was an. Die beschönigende Formel «Man ist so alt, wie man sich fühlt» gehört zum Repertoire vieler älterer weiblicher Wesen.

Überzeugend ist der Slogan offensichtlich selber aber nicht. Die Zahl jener Frauen, die den Zeichen des Alters den Kampf angesagt haben, steigt stetig. Die Schönheitsindustrie boomt wie nie zuvor, jede Hinterhof-Kosmetikbude bietet Botox-Behandlungen an, die Falten glättet, entgleiste Gesichtszüge festzurrt und liftet, was gemäss dem Gesetz der Schwerkraft schlapp und müde hängt. Auch wenn es zuhauf abschreckende Beispiele misslungener Experimente gibt – der zwanghafte Drang nach Jugendlichkeit bleibt ungebremst.

Nach dem TV-Schrecken gelangte ich irgendwann zur Frage: Wo genau willst du eigentlich stehen? Mit dieser Frage fing ich an, noch mehr in mich hinein zu horchen. Meine Wünsche, Träume, Gefühle zu entdecken – und diese der äusseren Wahrnehmung entgegenzustellen. 

Eine kleine Lektion kann den Einstieg in die Entdeckungsreise erleichtern: Wir schliessen die Augen und spüren nach, wie wir uns fühlen. Vielleicht braucht es dafür etwas Geduld, weil wir verlernt haben, uns selbst nach unserem Befinden zu fragen. Aber ist der Selbstkontakt erst mal da, wiegen die Altersgrenzen nurmehr halb so schwer: Wir fühlen uns so frühlingshaft wie damals, als wir noch barfuss und unbekümmert über eine Wiese hüpften. Auch wenn der Blick in den Spiegel uns eindeutig eine ältere Person zeigt.

Wir begegnen zwei Realitäten. Die eine zeigt uns die Spuren von Alter und Vergänglichkeit – die andere dagegen kennt kein Zeitmass, sie hat mit Ewigem und Unvergänglichkeit zu tun. So stellt sich denn die Frage, in welche Werte Frauen ab 50 investieren wollen: ins Vergängliche oder ins Bleibende? Jede Frau muss darauf ihre eigene Antwort finden. Ich jedenfalls habe meine Entscheidung getroffen, seither geht es mir gut. Mehr noch: So leicht und beschwingt wie jetzt hat sich mein Leben bisher noch gar nie angefühlt.

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Das Buch zum Thema «Im Garten der neuen Freiheiten – Reiserouten zu sich selbst». Das Alter stellt Fragen mit voller Wucht: Wer bin ich, wohin gehe ich? Die einen treiben sie in eine Lebenskrise – andere in eine neue Freiheit, wie Autorin Julia Onken (73) in ihrem Buch schreibt. Sie ermuntert darin Frauen, der schwindenden Schönheit nicht allzu sehr nachzujammern – und stattdessen die inneren Werte zu leben, die ja alterslos sind. Sie zeigt auf, wie es Frauen auch mit Falten gelingen kann, zu einem guten Einverständnis mit dem eigenen Leben und sich selbst zu kommen.

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