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Autor Lukas Bärfuss (47) erhält den Georg-Büchner-Preis 2019
Schnäpse an Büchners Grab

Der Schweizer Schriftsteller und regelmässige Magazin-Autor Lukas Bärfuss (47) erhält den Georg-Büchner-Preis 2019. Im Grünen sagt er, was er mit den 50 000 Euro Preisgeld macht.
Publiziert: 14.07.2019 um 15:54 Uhr
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Aktualisiert: 15.07.2019 um 10:26 Uhr
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«Wie ein Engelskuss»: Der gelegentliche SonntagsBlick-Autor Lukas Bärfuss (47) bekommt den renommiertesten deutschsprachigen Literaturpreis dieses Jahr.
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Daniel Arnet

Wir treffen uns im Neuen Botanischen Garten in Zürich. Lukas Bärfuss (47) hat diesen Ort für das Gespräch vorgeschlagen.

Es ist Tag eins nach der Sensa­tionsmeldung von letztem Dienstag: Der Schweizer erhält den ­diesjährigen Georg-Büchner-Preis, die renommierteste Auszeichnung im deutschsprachigen Literatur­betrieb, mit 50 000 Euro Preisgeld.

Zu den Vorgängern von Bärfuss gehören die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek (72) und die -träger Günter Grass (1927–2015) sowie Heinrich Böll (1917–1985). Und aus der Schweiz ist ­Bärfuss nach den Koryphäen Max Frisch (1911–1991), Friedrich Dürrenmatt (1921–1990) und Adolf Muschg (85) erst der Vierte, der den seit 1923 verliehenen Preis erhält – seit einem Vierteljahrhundert der erste Schweizer.

Und jetzt Bärfuss! Er tritt mit ­seinem Sohn in den Botanischen Garten ein, gibt ihm einen Abschiedskuss, bevor er alleine auf den Journalisten zuläuft. Mit Jeansjacke und Sonnenbrille sieht der gebür­tige Thuner ein bisschen aus wie ein Rockstar, der Kuno ­Lauener der Literaturszene.

«Ich wohne mit meiner Familie in der Nähe», sagt Bärfuss zur Begründung des Treffpunkts. «Zudem liebe ich die Natur und die Ruhe hier.» Schöner alter Baumbestand und blühende Pflanzen, wohin man schaut. Fühlt er sich nach der Ernennung zum Büchner-Preisträger stark wie eine Eiche oder stolz wie eine Rose? «Beides», sagt er.

Der behauptete Schriftsteller

Doch momentan gleicht er eher einer welken Pflanze. Denn nachdem er die Sonnenbrille abzieht, sieht man müde Augen. Der plötzliche Rummel um seine Person hat ihm zugesetzt: Fernsehen, Zeitungen, Schriftstellerkollegen – alle gratulierten ihm und wollten mit ihm reden. Bärfuss ist froh, dass er jetzt nicht noch für ­einen Fotografen posieren muss.

Zudem ist es am Vorabend spät geworden. Mit einem Freund war der frisch ernannte Preisträger am Grab von Georg Büchner (1813–1837) auf dem Zürcher Rigiblick. «Ich habe meinen Antrittsbesuch gemacht», sagt er mit einem Schmunzeln. «Dort haben wir noch ein paar Schnäpse getrunken.» Und eine Dankesrede für die Preisübergabe vom 2. November in Büchners Geburtsort Darmstadt (D) geübt? «Nein, es war ein stiller Moment.»

Ja, Bärfuss, «der Polteri», der in seinen Texten gerne anderen die Leviten liest und bei Lesungen zuweilen das Publikum beschimpft, kann auch ruhig. Bärfuss, der in diesem Magazin Monat für Monat Missstände anprangert in provokativen Essays mit Titeln wie «Die Isolation macht uns zu Soldaten» oder «Die Natur, eine Rabenmutter», dieser Bärfuss sagt: «Es wird Sie erstaunen, aber ich mag Menschen.»

Nein, das erstaunt nicht, denn sein bisheriges Gesamtwerk zeugt von tiefem Humanismus – sei das der Debüt-Roman «Hundert Tage» (2008) über gescheiterte Entwicklungshilfe in Ruanda, sei es der mit dem Schweizer Buchpreis gekrönte Roman «Koala» (2014) über den Suizid seines Bruders oder das ­verfilmte Drama «Die sexuellen Neurosen unserer Eltern» (2003).

Bärfuss ist kein Arztsohn, hatte eine schwierige Jugend in Thun BE, verliess nach der neunten Klasse die Schule. Frisch, der als Literat den Ausbruch aus der bürgerlichen Existenz probte, ist dem bodenständigen Bärfuss deshalb eher ­suspekt. Als Autodidakt – «als Zweitklässler bekam ich von Zügelmännern ein 25-bändiges Lexikon geschenkt» – lernte er von Dürrenmatt, wie man Schriftsteller wird: «Man muss einfach behaupten, dass man einer sei.»

«Entscheidend, vom Schreiben leben zu können»

Heute ist Bärfuss ein gestandener Schriftsteller – auch, weil er stets fleissig war. «Für mich war immer entscheidend, vom Schreiben leben zu können», sagt er. «Man ist mit der Gesellschaft anders verbunden, wenn man seine Kunst ­gewerblich begreift.» Man lerne dabei, wie die Gesellschaft funk­tioniere und welchen Stellenwert die Kunst darin habe.

Wozu braucht Bärfuss denn die 50 000 Euro des Georg-Büchner-Preises? «Das ist keine grosse Frage, ich habe zwei Kinder», sagt er. Und er will damit die eine oder ­andere Dankes-Party veranstalten, denn: «Der Preis ist auch eine ­grosse Anerkennung für alle Leute, mit denen ich zusammengearbeitet habe.» Er nennt zuerst seinen ­Verlag Wallstein und die eben ­abgetretene Zürcher Schauspielhaus-Direktorin Barbara Frey (56).

Am Tag unseres Gesprächs im Neuen Botanischen Garten hat ­Bärfuss sinnigerweise noch eine Lesung im Alten Botanischen Garten mit der letztjährigen Büchner-Preisträgerin Terézia Mora (48) aus Berlin. Alt und Neu sind nahe beieinander.

Was wird neu durch den Preis? Bärfuss wird still, denkt nach und sagt: «Das weiss ich noch nicht genau, ich weiss nicht, wie das meine ­Arbeit am Schreibtisch beeinflussen wird.» Aber er weiss, dass er sicher mehr Lesungen und Auftritte haben wird.

Und wird Bärfuss nun auch zu einem Pfeifenraucher wie seine Schweizer Vorgänger Frisch, Dürrenmatt und Muschg? «Es kommt darauf an, was in der Pfeife ist», sagt er keck.

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