Wer Kinder hat, kennt sie – oder sollte sie dringend kennenlernen: Andrea Fischer Schulthess (50) tourt mit ihrem Minitheater Hannibal, das sie gemeinsam mit ihrem Mann Adrian Schulthess aufgezogen hat, seit zehn Jahren durch die ganze Schweiz. Mit ihrem clever-anarchischen, doppelbödigen Märchentheater bringt sie Kleine genauso zum Lachen wie Grosse.
Darum gilt zusätzlich: Auch wer keine Kinder hat, sollte Fischer Schulthess kennen – nur schon, weil sie eine eigentlich unbeschreibbare Erscheinung ist. Hier dennoch ein Versuch: Fischer Schulthess könnte rein äusserlich eine stilsichere, grandiose Grande-Dame-Schönheit vom Zürichberg, aus dem Basler Daig oder einem Berner Patriziergeschlecht sein – wenn da nicht die grossflächigen Tattoos wären, die unter dem Samt hervorblitzen. Und die träfe Sprache. Denn wichtiger als die Erscheinung, wenn man das trennen kann, ist natürlich die Art: warmherzig, offen und lustig und dabei meist herrlich derb.
Sie führte gefühlte hundert Leben
Der Naturgewalt Fischer Schulthess will man zusehen und zuhören – ob im Gespräch oder auf der Bühne. Kein Wunder: Sie hat gefühlte hundert Leben geführt. Die ausgebildete Zoologin begibt sich immer mal wieder aus ihrer Komfortzone. Naturwissenschaften hat sie studiert, weil sie am Gymi nicht so richtig gut darin war – «als Schreiberin und Geschichtenerzählerin kannst du ja unmöglich Germanistik studieren gehen, weil man das ja eh selbst ständig tut», meint sie. Einzelne Bio-Professoren seien denn auch nicht wahnsinnig begeistert von ihr gewesen – geschafft hat sie das Studium natürlich trotzdem. Als bei den Schülern beliebte Bio-Lehrerin hat sie dann Rektoren und Gymi-Schulhaus-Abwarte zur Verzweiflung getrieben: Barfuss direkt aus dem Fenster gehts mit den Schülern eben schneller zum Feldforschungstümpel vor dem Schulhaus – und auch mit dreckigen Füssen wieder durchs Fenster rein. Klar, dass da die Tage als Lehrerin gezählt sind.
Fischer Schulthess wird Zooführerin, jobbt und tut das, was sie immer tut: schreiben und Geschichten erzählen. So, dass dies via Journalistenschule zum nächsten Beruf wird – einem breiteren Publikum wird Fischer Schulthess ab 2012 als Autorin des Mamablogs beim Zürcher «Tages-Anzeiger» und dem Berner «Bund» bekannt. Im Blog schreibt sie über ihr Familienleben mit zwei kleinen Kindern – und polarisiert wie gewohnt. Nicht polarisieren tut sie hingegen mit ihrem ersten Roman «Motel Terminal». (2016, Salis Verlag). Den findet die Kritik, etwa die «Frankfurter Allgemeine Zeitung», «perfekt komponiert und sprachlich bestechend».
Sie frischt die Theaterszene auf
Da ist sie schon längst mit ihrem Mann mit eigenem Theater-Programm unterwegs. Ohne dass sie in einer Theaterschule gewesen wäre oder mit der Kleinkunstszene verbandelt, erarbeitet sie sich schweizweit eine getreue Fangemeinde aus Zuschauern, Veranstaltern und Festivalleitern – dank einer ureigenen Mischung aus Hoch- und gezielt trashiger Tiefkultur, die es in sich hat.
Das ist wohl der Grund, weshalb die Quereinsteigerin sozusagen fast zufälligerweise die Theaterszene frisch aufmischt. Aus diversen Bewerbern und Bewerberinnen wird sie ausgewählt, um diesen Herbst die künstlerische Leitung des früheren Miller's Studio in Zürich zu übernehmen. Auf dem Programm steht genau so eine Mischung, wie sie Fischer Schulthess selbst ist: Viel Lustiges, als Comedy oder Poetry-Slam, kreative Formate wie etwa das Varieté «Salon Morpheus», dazu viel Glamour, rauschende Ballnächte, popkulturelle Anspielungen und eine gezielte Dosis wohlüberlegten Trashs.
Wie gesagt: Alle müssten Fischer Schulthess kennen. Ein Glück, kann man sie ab diesem Herbst im Zürcher Millers besuchen.