Ahnenforschung im Trend
Die uferlose Suche nach den eigenen Wurzeln

Familienforschung liegt im Trend. Doch statt Königen und Kaisern finden die meisten Leute eher einen Mörder oder Vaganten in ihrer Ahnenreihe.
Publiziert: 28.03.2017 um 15:34 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 02:45 Uhr
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Nach seinen Ahnen zu forschen, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Auf dem Gemälde, angefertigt um 1642, der Stammbaum der Familie Medici. Die Florentinische Familie stellte seit dem 15. Jahrhundert die Stadtherren, ab 1531 Herzöge und ab 1569 Grossherzöge der Toskana.
Foto: akg-images / Rabatti & Domingie
Christian Maurer

«Mein ältester Verwandter ist Ötzi, der Eismann», sagt der gebürtige Winterthurer Stefan Bosshard (55) auf seiner Webseite familytree.ch. Und er sei auch mit «allen bedeutenden heutigen Königshäusern und mit vielen Adelsgeschlechtern verwandt».

Stefan Bosshard ist passionierter Amateur-Ahnenforscher. Seit über 30 Jahren sucht er nach seinen Wurzeln. Vor gut zehn Jahren schon konnte er die Geschichte seiner Familie bis ins 8. Jahrhundert zurückverfolgen – das ist finsteres Mittelalter.

Der Winterthurer Hobby-Ahnenforscher Stefan Bosshard fand Vorfahren in allen wichtigen Köngisfamilien.

Bis ins Jahr 747 n. Chr. zu Karl dem Grossen, König der Franken, konnte Bosshard damals seinen Stammbaum zurückverfolgen. Auf die klassische Art: Auskünfte alter Familienmitglieder brachten ihn auf Spuren, die er in staatlichen und kirchlichen Archiven weiterverfolgen konnte. Bis er schliesslich im spätesten Mittelalter, im 16. Jahrhundert, anlangte, bei der 7683. Vorfahrin. Das war eine Tochter einer Freiherrin, Anna Maria von der Hohensax.

«Ein Glücksfall», sagt Bosshard heute. «Wenn es keinen Adel gibt unter den Vorfahren, keine Verbrecher und keine Schwerreichen, wird es schwierig.» Denn nur in diesen Fällen gibt es einigermassen zuverlässige schriftliche Quellen, die weiter zurückreichen als bis zur Einführung Schweizerischen Zivilstandsregisters im Jahre 1876.

Ein menschliches Urbedürfnis

Inzwischen kennt Stefan Bosshard seine Vorfahren bis fast bis in die Zeit von Adam und Eva zurück. Oder zumindest bis Ötzi, der vor rund 5000 Jahren lebte. Bosshard machte dafür einen Gentest. Und stellte eine frappante Übereinstimmung der DNA fest.

Gemäss dem Testresultat einer auf Ahnenforschung spezialisierten Bio-Firma «weist der Eismann bei K 16224 C und bei 16311 C die gleichen Mutationen auf wie ich», hält Bosshard fest. «Jeder K-Typ ist ein Cousin vom Ötzi.» Das gilt für sehr viele Menschen. Vielleicht auch für Sie!

Die Suche nach seiner familiären Herkunft scheint ein menschliches Urbedürfnis zu sein. Ein Stammbaum mit acht bis zehn Generationen lässt sich von einem Spezialisten relativ einfach und schnell erstellen. Das kostet dann 1000 bis 2000 Franken. Wer selber nach seinen Ahnen suchen will, braucht vor allem eins: Zeit – sehr viel Zeit.

Die Zeit läuft gegen die Ahnenforscher

Markus Frick sammelt Fotos von Vorfahren und Familienmitgliedern.
Foto: nik hunger, zuerich

Zuerst redet man mit Grosseltern, Grossonkeln und Grosstanten, besser noch Urgrosseltern und weiteren Familienmitgliedern aus der gleichen Generation. Meist wissen sie nicht nur viel mehr über ihre eigene Herkunft und jene ihrer Eltern und Grosseltern. Oft erinnern sie sich auch an mehr oder weniger entfernte Cousinen oder Cousins, die schon vor Generationen ihren Vorfahren nachgespürt haben.

Mit etwas Glück sind deren Aufzeichnungen noch bei irgendeinem weitläufigen Verwandten vorhanden. Und dann heisst es: Nichts wie hin! Denn die Zeit läuft eigentlich immer gegen den Ahnenforscher – sie läuft nicht, sie rennt gegen ihn. «Wir sind grundsätzlich immer zu spät», sagt der Hobby-Ahnenforscher Markus Frick (53) aus eigener bitterer Erfahrung. «Mein Vater wusste nicht viel von der Familie, und der Grossvater war schon tot.»

Ältester Eintrag von 1620

Fotos geben Geschichten ein Gesicht: Auf dem Hochzeitsfoto sind die Grosseltern von Markus Frick, die am 5. Mai 1911 in Bazenheid SG geheiratet haben.

Dennoch hat Frick heute eine Ahnentafel – ein riesiges Verzeichnis seiner Vorfahren. Er hatte Glück, über seine Familie fand er bisher schriftliche Spuren bis zurück ins 17. Jahrhundert.

Der älteste Eintrag auf seiner Ahnentafel stammt von 1620, dem Geburtsjahr des Urahnen Bernhard, der bis 1684 lebte und den Choshof in Niederwil SG bewirtschaftete. Der gehörte der katholischen Kirche, zum damaligen Heilig-Geist-Spital in St. Gallen, und Bernhard war diesem zinspflichtig.

Der Name Frick wurde damals noch «Frückh» geschrieben. «Darauf muss man erst einmal kommen», sagt Frick. Die Pfarrer und weltlichen Schreiber hatten es damals eben nicht so mit der Rechtschreibung – die es damals auch gar nicht richtig gab. «Man schrieb phonetisch», sagt Frick. «Man versuchte mehr schlecht als recht die Laute mit Buchstaben einzufangen.»

Auf seinen Vorfahren Bernhard kam Hobby-Forscher Frick nur durch einen lustigen Zufall: Auf einer Zahlungsliste des Spitals hatte er einen Hans Frick gefunden, der «zur Zahlung ermahnt» worden sei. «Dank meines Vorfahren, der ein säumiger Zahler war, kam ich erst auf die richtige Spur», sagt Markus Frick.

Ahnenforschung: Zahlen

25–30 Jahre rechnet man für eine Generation. 100 Jahre entsprechen also rund vier Generationen. Zurückgerechnet sind das die Ururgrosseltern – von denen hat jeder Mensch 16. Auf einem Stammbaum, der bis zum Beginn der Neuzeit um 1600 zurückgeht, stehen rund 14 Generationen mit 8192 direkten Vorfahren.

179 Euro oder rund 191 Franken kostet das Basispaket für eine DNA-Herkunftsanalyse. Bestimmt werden das Urvolk und die Urherkunftsregion des Probanden.

1876 wurden schweizweit die Zivilstandsämter eingeführt. Sie führen genau Buch über Geburten, Heiraten und Todesfälle und sind damit die erste und beste Quelle auf der Suche nach seinen Vorfahren. 

25–30 Jahre rechnet man für eine Generation. 100 Jahre entsprechen also rund vier Generationen. Zurückgerechnet sind das die Ururgrosseltern – von denen hat jeder Mensch 16. Auf einem Stammbaum, der bis zum Beginn der Neuzeit um 1600 zurückgeht, stehen rund 14 Generationen mit 8192 direkten Vorfahren.

179 Euro oder rund 191 Franken kostet das Basispaket für eine DNA-Herkunftsanalyse. Bestimmt werden das Urvolk und die Urherkunftsregion des Probanden.

1876 wurden schweizweit die Zivilstandsämter eingeführt. Sie führen genau Buch über Geburten, Heiraten und Todesfälle und sind damit die erste und beste Quelle auf der Suche nach seinen Vorfahren. 

Gute Quellenlage in der Schweiz

So ergeht es den Familienforschern oft und gern. Statt Fürsten, Grafen oder gar Könige im Stammbaum finden sie Diebe, Mörder und Vaganten. Diese sind nebst schwerreichen Bauern und Adelsfamilien bis tief ins 19. Jahrhundert hinein die einzigen Menschen, deren Sein und Tun es überhaupt wert war, dokumentiert zu werden.

Dabei ist in der Schweiz die Quellenlage vergleichsweise gut. Viele Aufzeichnungen seit dem Ende des Mittelalters haben in Archiven von Gemeinden, Kantonen und Kirchen bis heute überlebt. Das normierte Zivilstandsregister verzeichnet praktisch alle Geburten, Heiraten und Sterbefälle im Land.

Für die Zeit vorher gibt es in erster Linie die Kirchenarchive: Kirchenrodel aller Art wie Taufregister, Heiratsurkunden und Sterbebücher. Und manchmal weist der Name auf den Ursprungsort einer Familie hin, wo man mit der Suche nach den Vorfahren beginnen kann.

Staats- und Kircharchive nutzen

«Jeder hat mich gefragt, ob ich einen Weinberg besitze», sagt Rolf Hallauer (59). Er hat keinen und stammt trotz seines Namens nicht einmal aus dem Rebbau-Ort Hallau SH, sondern aus Suhr AG. Aber die Neugier auf seine Herkunft war geweckt.

Freizeit-Genealoge Rolf Hallauer mit seiner Ahnentafel, die bis ins 15. Jahrhundert reicht.
Foto: Nik Hunger

Schon mit 20 fing er an, sich für seine Vorfahren zu interessieren. Bis ins 15. Jahrhundert zurück hat er bereits Ahnen gefunden. Zu Hilfe kam ihm dabei die Reiselust seiner Vorfahren. «Sie waren als Maurer, Steinmetze und Steinbaumeister über acht Generationen viel unterwegs und hinterliessen Spuren in Kirchenbüchern», sagt Hallauer. Und natürlich auch wieder ein schwarzes Schaf.

Diese uralten Dokumente können Ahnenforscher heute noch meist problemlos in Staats- und Kirchenarchiven anschauen – so lassen sich mit etwas Glück und Ausdauer schnell einmal ein paar Vorfahren aus der zehnten oder elften Generation finden. Schwierig wird es, paradoxerweise, in der Zeit der Ur- und Ururgrosseltern: Dank dem eidgenössischen Zivilstandsregister seit 1876 ist die Datenlage zwar im internationalen Vergleich hervorragend, da ist aber auch der Datenschutz.

Ahnenforschung führt weit, zum Beispiel zu einer Sammlung von Siegeln.
Foto: Nik Hunger

Auskunft bekommt man nur für Vorfahren in der direkten Linie, sonst braucht es Bewilligungen und Nachweise für spezielles historisches Interesse. Und weil staatliche Archive solche Interessenserklärungen einfordern, verlangen sie auch immer mehr private Institutionen, aber auch Kirchgemeinden und Pfarreien – lange Zeit die ergiebigsten Quellen für Schweizer Ahnenforscher. «Früher wurden wir herzlich begrüsst und unterstützt, heute brauchen wir überall Bewilligungen, und man muss Gebühren bezahlen», sagt Hallauer.

Trotzdem will er weitermachen. Bei seinem spannendsten Vorfahren, wie er sagt: «Der sass 14 Tage im Gefängnis von Lenzburg und wurde dann geköpft.» Warum der Mann zum Tod verurteilt worden war, ist nicht ganz klar. Das will Hallauer nun herausfinden. Die nackten Daten aus dem Stammbaum sind das eine. Dazugehörige Geschichten hinzuzufügen, ist die nächste Herausforderung des Ahnenforschers.

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So geht Ahnenforschung

Familienfeiern sind ein guter Ausgangspunkt. Erkundigen Sie sich bei den Anwesenden nach deren Vorfahren, fragen Sie nach Briefen, Urkunden, Zeitungsausrissen, Fotos und lassen Sie sich erklären, wer auf den Dokumenten zu sehen ist. Schreiben Sie alles auf, was Sie erfahren!

Zivilstandsregister dokumentieren in der Schweiz seit 1876 alle Geburten, Hochzeiten und Todesfälle in der Schweiz. Direkte Nachfahren können Namen und Geburtsdaten ihrer Ahnen anfordern.

Kirchenbücher sind für die Zeit vor 1876 ausgezeichnete Quellen. Viele Unterlagen liegen noch in den Pfarreien und Kirchgemeinden. Manche sind inzwischen bei Stadt- und Kantonsarchiven eingelagert.

Ortstermine können viele Informationen liefern: Gespräche mit alteingesessenen Einwohnern am Geburtsort der Grosseltern, der Verantwortliche im Heimatmuseum oder auch Lokalzeitungen können weiterhelfen.

Mormonen unterhalten das mit Abstand grösste Familienforschungsarchiv der Welt. Unzählige kirchliche und staatliche Register sowie andere Dokumente sind in Utah (USA) digitalisiert. Diese sind zentral im Internet auf familysearch.org abrufbar oder bei lokalen Ablegern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (die Liste auf www.kirche-jesu-christi.org).

Gentests sind seit rund zehn Jahren zunehmend Teil der Ahnenforschung. Eine der grossen und ersten Anbieter auf diesem Markt ist die Schweizer Firma Igenea. Ein Test der eigenen DNA kostet ein paar hundert Franken, der Erkenntnisgewinn ist umstritten. Sicher lassen sich Verwandtschaften und die ungefähre geografische Herkunft genetisch beweisen. Andererseits ist die genetische Vielfalt beim Menschen so gross, dass man es zumindest theoretisch so aussehen lassen kann, als ob alle Menschen die genetisch gleichen Vorfahren hätten.

Genealogische Gesellschaften gibt es regional in der ganzen Schweiz. Bei ihnen findet man Rat und Tat – und vor allem Gleichgesinnte, die einem mit ihrem Wissen und ihren Erkenntnissen gerne weiterhelfen. Erste Adresse ist die Schweizerische Gesellschaft für Familienforschung (SGFF): www.sgffweb.ch

Familienfeiern sind ein guter Ausgangspunkt. Erkundigen Sie sich bei den Anwesenden nach deren Vorfahren, fragen Sie nach Briefen, Urkunden, Zeitungsausrissen, Fotos und lassen Sie sich erklären, wer auf den Dokumenten zu sehen ist. Schreiben Sie alles auf, was Sie erfahren!

Zivilstandsregister dokumentieren in der Schweiz seit 1876 alle Geburten, Hochzeiten und Todesfälle in der Schweiz. Direkte Nachfahren können Namen und Geburtsdaten ihrer Ahnen anfordern.

Kirchenbücher sind für die Zeit vor 1876 ausgezeichnete Quellen. Viele Unterlagen liegen noch in den Pfarreien und Kirchgemeinden. Manche sind inzwischen bei Stadt- und Kantonsarchiven eingelagert.

Ortstermine können viele Informationen liefern: Gespräche mit alteingesessenen Einwohnern am Geburtsort der Grosseltern, der Verantwortliche im Heimatmuseum oder auch Lokalzeitungen können weiterhelfen.

Mormonen unterhalten das mit Abstand grösste Familienforschungsarchiv der Welt. Unzählige kirchliche und staatliche Register sowie andere Dokumente sind in Utah (USA) digitalisiert. Diese sind zentral im Internet auf familysearch.org abrufbar oder bei lokalen Ablegern der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (die Liste auf www.kirche-jesu-christi.org).

Gentests sind seit rund zehn Jahren zunehmend Teil der Ahnenforschung. Eine der grossen und ersten Anbieter auf diesem Markt ist die Schweizer Firma Igenea. Ein Test der eigenen DNA kostet ein paar hundert Franken, der Erkenntnisgewinn ist umstritten. Sicher lassen sich Verwandtschaften und die ungefähre geografische Herkunft genetisch beweisen. Andererseits ist die genetische Vielfalt beim Menschen so gross, dass man es zumindest theoretisch so aussehen lassen kann, als ob alle Menschen die genetisch gleichen Vorfahren hätten.

Genealogische Gesellschaften gibt es regional in der ganzen Schweiz. Bei ihnen findet man Rat und Tat – und vor allem Gleichgesinnte, die einem mit ihrem Wissen und ihren Erkenntnissen gerne weiterhelfen. Erste Adresse ist die Schweizerische Gesellschaft für Familienforschung (SGFF): www.sgffweb.ch

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