1. Lucerne Festival Forward
Wie ein Komponist Sehende mit Reis hörend macht

Die Komposition «Ricefall» von Michael Pisaro ermöglicht es den Zuhörenden am neuen Lucerne Festival Forward, mit den Ohren Landschaften zu erkunden.
Publiziert: 21.11.2021 um 11:56 Uhr
Eine Schüssel Reis statt Notenschlüssel: Musiker bei der Performance von «Ricefall».
Daniel Arnet

In China ist ein Sack Reis umgefallen. Das ist nichts im Vergleich zu Reiskörnern, die in der Schweiz zu Boden fallen. Ist Ersteres redensartlich ein unbedeutender Unfall, handelt es sich bei Letzterem um eine aufsehenerregende Aufführung, die heute Abend im Rahmen des Lucerne Festival Forward über die Bühne des KKL geht.

«Ricefall» (2004) heisst die Komposition des US-amerikanischen Gitarristen Michael Pisaro (60): 48 Personen auf der Bühne und 16 auf den Balkonen des Konzertsaals lassen dafür während rund 18 Minuten mehr oder weniger intensiv Reiskörner auf Gegenstände fallen – es ist, als würde ein Regenschauer im Raum niederprasseln.

Für Blinde ist ein sonniger Tag bloss wärmer

Anregung zum Stück fand Pisaro bei der Lektüre des Buchs «Touching the Rock» (1990) seines Landsmanns John M. Hull (1935–2015). Es ist ein Buch über Geräusche, das der Theologe Hull nach seiner plötzlichen Erblindung 1983 schrieb: Während sich Sehende über einen sonnigen Tag freuen, weil sie mehr erkennen können, ist es für ihn bloss ein wärmerer Tag.

Wenn es regnet, kann Hull dafür Details heraushören, die Sehenden verborgen bleiben: Da zerplatzende Wassertropfen auf Holz, Metall, Stein oder trockenem Laub unterschiedlich erklingen, eröffnet sich ihm so eine akustische Landschaft. Diese Erfahrung kann man heute Abend in Luzern nachempfinden – ein sinnliches Hörerlebnis der besonderen Art.

«Ricefall» von Michael Pisaro bildet das Finale von Konzert 3 des Lucerne Festival Forward, heute Sonntag, 21. November, 17 Uhr, im Konzertsaal vom KKL, Luzern

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