Ausnahmezustand im Kessel! Die Schweizer Brauereien laufen zur WM auf Hochtouren. Schliesslich wollen die bierdurstigen Fans beim Public Viewing nicht auf dem Trockenen sitzen.
956 Bierbrauereien gibt es in der Schweiz – Tendenz steil steigend. Vor zehn Jahren waren es nicht einmal 250, im letzten Jahr schon 869. Allein in diesem Mai eröffneten neun Brauereien. Die Schweiz hat laut dem Schweizer Brauerei-Verband die höchste Brauereidichte der Welt.
Aber: Wo gibt es die meisten Brauereien innerhalb der Schweiz? BLICK hat dazu Daten der Eidgenössischen Zollverwaltung analysiert.
Das Ergebnis: Die meisten Brauer haben sich im Kanton Bern niedergelassen. Hier sind 157 steuerpflichtige Brauereien registriert. Und die Bierstadt schlechthin ist Winterthur ZH. Nur das deutlich grössere Zürich hat eine Brauerei mehr. 16 aktive Brauereien sind in Winterthur registriert, darunter klingende Namen wie Forschungsbrauerei G48, Fahrtwind oder Stadtguet Brauerei.
Insbesondere ein Teil der Stadt hats mit Hopfen und Malz: In Oberwinterthur sind sieben Brauereien registriert, so viele wie unter keiner anderen Postleitzahl. Auf eine Brauerei kommen nur rund 2836 Einwohner. Zu den Brauereien in «Oberi» gehören etwa CCLXXI, Grundlos, Einheitsbier und Doppelleu Brauwerkstatt.
Die sind vor allem wegen der Lage hier. «Es wurden in den letzten Jahren sehr viele Flächen frei», sagt Toni Schneider (58), Verkaufschef der Brauerei Doppelleu. Die Industriebrachen seien als Standort ideal: «nah am Zentrum, nah bei den Leuten». Ausserdem ist man verkehrsmässig gut angebunden.
Industriequartiere gibt es auch in anderen Schweizer Städten. Warum also ist gerade Winterthur eine Bierstadt? An den Ressourcen liegt es jedenfalls nicht. «Wir haben hier kein Hopfen oder andere Braurohstoffe», sagt Schneider. Aber durstige Büezer: «Es hat damit etwas zu tun, dass wir eine alte Industriestadt sind. Mit den Arbeitern kam das Bier nach Winterthur.»
Die erste Brauerei in der Stadt war zugleich die erste im Kanton Zürich: 1800 wurde die Brauerei zum Mohren gegründet. Und 1843 wurde ein Meilenstein in der Schweizer Brauereigeschichte gesetzt: Damals eröffnete Hagenau als vierte Brauerei in Winterthur.
Hagenau prägte die Schweizer Biergeschichte, wie Schneider weiss, der in den 1980er-Jahren zu der Brauerei stiess. Denn Fritz Schoellhorn, der 1890 die Geschäftsführung übernahm, zeigte nicht nur, wie man eine Brauerei zu einem profitablen Unternehmen mit moderner Kühltechnik und ebensolchen Transportstrukturen machte. Er setzte sich auch für Qualitätsstandards bei Schweizer Bieren ein. «Schoellhorn machte sich stark dafür, das Reinheitsgebot damals in der Schweiz umzusetzen», erklärt Schneider.
Der Name Haldengut ist aber auch mit der neueren Brauereigeschichte der Schweiz verbunden. 1993 übernahm das niederländische Unternehmen Heineken Haldengut, die sich zuvor schon mit Calanda Bräu zusammengeschlossen hatte. 2002 wurde das letzte Haldengut-Bier in Winterthur gebraut.
Mit der Geschäftsaufgabe landeten Brauspezialisten und damit Know-how auf der Strasse. «Haldengut war in Winterthur ein grosser Arbeitgeber. Vermutlich gibt es in Winterthur mehr ausgebildete Brauer als anderswo», sagt die Winterthurer Stadtarchivarin Marlis Betschart (54) dem BLICK. So habe es wohl auch mehrere Menschen gegeben, die es mit einer eigenen Brauerei versuchten.