Leserbriefe Sie+Er Nr. 5

Publiziert: 02.02.2006 um 17:33 Uhr
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Aktualisiert: 06.09.2018 um 19:40 Uhr

Bürokraten in der Bananenrepublik
«MAMI, WARUM MUSS ICH ZUM RICHTER?» SIE+ER VOM 29. JANUAR 2006

Ein typischer Irrsinn unserer Schweizer Justiz. Und ein Jugendrichter, dem wirklich alle vernünftigen Gedanken abgehen. So werden nach Gesetz Geld und teure Zeit verschleudert. Dass man ein Kind von damals sieben Jahren vor den Richter zerren muss, weil es über den Fussgängerstreifen lief, ist wohl der grösste Justitzirrsinn von Schaffhausen. Und ein solcher Wahnsinn wird vom Gesetz noch gebilligt. Solchen Richtern würde etwas Einfühlungsvermögen nicht schaden.
Theo Anderhub, Luzern

Also ich finde es eine Unverschämtheit! Es gibt Leute, die Drogen schmuggeln, die andere umbringen usw. Ja, das sind schlimme Sachen. Warum kümmert sich das Gericht nicht einfach um solche Fälle? Ist es ihnen langweilig? Also bitte, ein Kind vor Gericht. Susanne ist ja erst neun Jahre alt. Dann schreibt man ihr auch noch so einen frechen Brief. Wo gibts denn das? Die Schweiz ist ein komisches Land. Susanne wurde ja angefahren. Niemand kann beweisen, dass sie auf der Strasse etwas falsch gemacht hat. Ich hoffe, Susanne wird am Valentinstag freigesprochen. Das gibt sicher wieder einen Medienrummel.
Solène Kunz, 13, per E-Mail

Offensichtlich verlieren auch Beamte in Schaffhausen leider die Bodenhaftung. Dass die Anklage von einer Frau (ob sie Mutter ist?) eingereicht wurde, ist ebenso empörend wie die Tatsache, dass das Kind beim Jugendgericht erscheinen soll. Ist es denn etwa kriminell geworden? Oder stark gefährdet wie die auch noch jugendlichen Drogendealer auf den Schulhöfen? Steht etwa die Einweisung in eine Erziehungsanstalt bevor? Wir haben in der Schweiz wenig oder keine wirklich grossen politischen Probleme, aber was wir haben, ist ein Beamtenproblem. Was an sich nicht neu ist! Die Profilneurosen und die Sturheit, gepaart mit mangelnder Flexibilität, vieler Beamter (sie sollten eigentlich Staatsdiener sein) sind beängstigend, wirken hemmend und machen die Mehrheit unserer täglichen Schwierigkeiten aus. An alle Staatsdiener: Wir sind nicht für Sie da, Sie sind für uns da!
Bernhard Stoll, Chur

Das Ganze kann ich nur als schlechten Witz auffassen oder als Sturheit der zuständigen Polizei und der Richter. Natürlich ist es für mich als Autofahrer sehr unangenehm, wenn mir ein Mensch oder ein Tier vor das Auto springt. Aber ein Kind zu belangen, ist unverhältnismässig. Ausserdem hat es ja prima reagiert, indem es schnell weitergesprungen ist, statt unters Auto zu kommen. Ich wünsche dem Kind und der Familie alles Liebe. Was haben wir doch für unsinnige Vorschriften.
I.-K. Müller, Bannwil BE

Absurd, lächerlich, dass ein Kind so viel erleiden muss. Lebend davonzukommen, ist ein Segen, und dann zum Richter, und das alles, weil es auf dem Zebrastreifen in einer bedrohlichen Situation gerannt ist! Ich hoffe für Susanne sehr, dass dieses Trauma bald ein Ende hat.
Rosane Braun Travaglione, Dulliken SO

Haben Schaffhauser Polizei und Justiz noch nie etwas von den Grundsatzartikeln 26, Absatz 2 (Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird) und Artikel 33, Absatz 3 (An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen) der Strassenverkehrsgesetzgebung gehört?
Karl Schneider, per E-Mail

Nicht einmal in einer Bananenrepublik würde ein neunjähriges Kind vor den Richter zitiert. Unglaublich, was sich die Jugendanwaltschaft Schaffhausen hier leistet. Rechtlich mag ja alles stimmen, aber wo bleibt der gesunde Menschenverstand? Umso unverständlicher ist es, da Susannes Eltern den Autofahrer nicht eingeklagt haben.
Fredy Koch, Buchs SG

Das darf doch nicht wahr sein. Wir sind entsetzt! Unserer Tochter Gioia ist vor einem Jahr etwas ganz Ähnliches passiert. Genau gleich alt, auch auf dem Fussgängerstreifen, auf dem Schulweg. Nur wurde sie von einer Mutter angefahren. Diese hat sie danach aber in die Schule begleitet, sie beruhigt, sich entschuldigt, mich informiert und gewartet, bis ich in der Schule ankam. Die Kinder müssen sich doch zumindest auf dem Fussgängerstreifen sicher fühlen können, vor allem in unserem «zivilisierten» Land! Wir wünschen Susanne und ihrer Familie, dass Sie keine Busse bezahlen müssen und freigesprochen werden. Und dass Susanne das Trauma dieses Unfalles vergessen kann.
Viviane und Mauro Trezzini mit Gioia und Gianluca, Zürich

Zum ersten Mal in meinem Leben (als Familienvater mit zwei Kindern) verfasse ich einen Leserbrief: Wer sich hier unvernünftig verhalten hat, ist in dieser Angelegenheit zweitrangig! Fakt ist: Warum war der bereits markierte Zebrastreifen noch nicht auf der Strasse aufgemalt? War während der Strassensanierung ein Schild für einen «provisorischen» Zebrastreifen? Ist es verboten oder ein Schuldeingeständnis, keine Anzeige gegen den Autolenker vorzunehmen? Die Jugendanwaltschaft Schaffhausen sollte sich besser mit den obigen Fragen auseinandersetzen und in ihren eigenen Reihen die Fehler suchen statt bei einem neunjährigen Kind. Ein Kind rennt auf einem halbfertigen Fussgängerstreifen um sein Leben und wird dafür bestraft. Und die Maschinerie der Bürokratie geht los. Leider in die falsche Richtung.
Thomas Gantner, Mörschwil SG

Es ist unglaublich, was die Jugendanwaltschaft Schaffhausen gemacht hat. Sie hätte das Verfahren auch einstellen können, wenn schon ein Polizeirapport vorliegt. In der Vorladung hätte auch angegeben werden müssen, was dem neunjährigen Mädchen konkret vorgeworfen wird. Es hätte höchstens den Fussgängerstreifen nicht überraschend betreten dürfen. Der Automobilist hat eine erhöhte Vorsichtspflicht, insbesondere gegenüber Kindern. Die Jugendanwaltschaft verdient einen Kaktus. Der Valentinstag möge Susanne Glück bringen. Sie wird den Vorfall nicht vergessen und gegen Polizei und Gericht stets eine Abneigung empfinden.
Hugo Bläsi, Solothurn

Unglaublich, aber wieder mal typisch für die Schweiz. Reine Bürokratie und keine Menschlichkeit. Ich hoffe für Susanne, dass sie diesen Stress gut übersteht. Beim Unfall selbst spielen viele unglückliche Zufälle mit. Einerseits die fehlende Markierung, die eventuelle Nervosität der kleinen Susanne wegen der Vorfreude auf das Kinderfest. Anderseits das Unterschätzen der lauernden Gefahr bei stehenden Verkehrskolonnen, insbesondere hinter einem stehenden Bus, wo immer mit Fussgängern gerechnet werden muss. Kinder sind nun mal auch unberechenbar, ihnen ist im Strassenverkehr immer mit Vorsicht zu begegnen. Als Mutter von vier Kindern und Berufschauffeuse kann ich mich gut in beide Rollen versetzen. Ich hoffe auch auf eine Änderung des Strafmündigkeitsalters. Kinder sollen noch Kind sein dürfen.
C. Zbinden, Utzenstorf BE

Lesen sie auf Seite 47 in SIE+ER: Warum Susanne vor Gericht muss, obschon Schaffhausen eine Änderung der Gerichtspraxis gegenüber Kindern angekündigt hat. Interview mit dem Schaffhauser Oberrichter David Werner

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