Das Verbrechen ist Viktor Dammanns Metier: Seit 40 Jahren schreibt er für BLICK über menschliche Abgründe, über Mord und Totschlag, Betrug und Raub, Drogendelikte oder Sexualverbrechen. Der Mann mit dem wachen Blick und den Lachfalten ist einer der bekanntesten Polizeireporter der Schweiz. Man nennt ihn den «Boulevard-Kommissar».
Sein aussergewöhnlichster Fall bringt Viktor Dammann auch 20 Jahre danach noch ins Staunen. «Das ist unglaublich», sagt er, wenn er davon erzählt. Über mehr als 3000 Fälle hat der 69-Jährige für BLICK berichtet. Und noch immer macht ihn diese eine Geschichte fassungslos.
Viktor Dammann ist hartnäckig und unermüdlich
Dammann ist in der schnelllebigen Medienwelt ein Exot. Er ist hartnäckig, recherchiert investigativ. In seinem Adressbuch stehen die Namen Hunderter Informanten. Ihn treibt nicht die Jagd nach Primeurs an, sondern dass Schuldige nicht davonkommen.
Oft half seine Arbeit der Polizei, Täter zu überführen. Oder er brachte Strafverfahren ins Rollen. Immer wieder war er den Ermittlern voraus, weil sich Zeugen oder Opfer lieber ihm anvertrauten als der Polizei. Auf die Frage, was ihn motiviere, zitiert Dammann Friedrich Dürrenmatt: «Die Gerechtigkeit wohnt in einer Etage, zu der die Justiz keinen Zugang hat.»
Die 12-jährige Ruth S. wurde erdrosselt im Wald gefunden
Und dann erzählt er von Ruth S., von Kindermörder Werner Ferrari (72) und einer Verbrechensserie, wie sie die Schweiz nie wieder erleben sollte. 21 Kinder wurden in den 80er-Jahren entführt oder getötet, sieben Kinder gelten noch immer als vermisst. Fünf Fälle ordnete die Polizei dem Serienmörder Werner Ferrari zu. 1995 wurde er deswegen zu lebenslanger Haft verurteilt.
Das erste Opfer war die 12-jährige Ruth S. aus Würenlos AG. Am 16. Mai 1980 wurde sie vom Vater in einem Waldstück gefunden, halb nackt und erdrosselt. Auf dem Weg dorthin sah der Vater einen Mann auf einem Töffli wegfahren, der Ferrari ähnelte. Die Tat wurde ihm wegen der belastenden Indizien zugeordnet. Ferrari gestand vier Morde, beteuerte im Fall Ruth S. aber stets seine Unschuld. Dennoch wurde er dafür verurteilt. Für die Justiz schienen die Verbrechen geklärt.
BLICK wollte den Fall unbedingt lösen
22 Jahre nach der Tat begann für Dammann der eigentliche Krimi. Neue Hinweise deuteten daraufhin, dass jemand anderes Ruthli umgebracht hatte. Aber wer? Die Frage liess Dammann nicht los. Er recherchierte ingesamt vier Jahre lang, gegen den Widerstand der Aargauer Justiz, die den Ferrari-Fall lieber ruhen lassen wollte. Die Geschichte steht exemplarisch dafür, wie BLICK sich in einen Fall einmischt, als Akteur agiert. BLICK wollte den Fall lösen.
Über Verbrechen zu schreiben, wie BLICK dies in seiner ersten Ausgabe im Jahr 1959 tat, war ein Tabubruch: So prominent, emotional und deutlich berichtete damals keine andere Zeitung. Das schockierte und faszinierte die Schweizer zugleich: Die Startauflage von rund 50'000 Exemplaren war bereits am Nachmittag ausverkauft.
Als unseriöses Revolverblatt verschrien
Weite Teile der Öffentlichkeit, der Politik und der Konkurrenzpresse indes waren empört. Sofort war der Ruf der Zeitung ruiniert – und BLICK als unseriöses Revolverblatt verschrien, als Mord- und Totschlag-Zeitung. Sie habe nicht im Sinn, zu informieren, sondern verkaufe «Sensationen um der blossen Sensationen (und des Geschäftes!) willen, nicht im Interesse der sauberen Information», schrieb etwa das «Bündner Tagblatt».
Dass BLICK über Morde oder sogar – eine weitere Grenzüberschreitung – über Selbstmorde schrieb, war der eine Tabubruch. Die Art, wie über Verbrechen geschrieben wurde, der andere: Sie hatte nichts mehr mit den klassischen Gerichts- oder Polizeireportagen zu tun.
Auch der Polizeifunk wurde abgehört
BLICK nutzte Stilmittel wie «Personalisierung, Simplifizierung, Melodramatisierung und Visualisierung», schreiben die Autoren Peter Meier und Thomas Häussler in ihrem umfassenden Firmenporträt des Ringier-Verlags («Zwischen Masse, Markt und Macht»).
BLICK beschrieb die Motive der Täter, Details der Verbrechen, das Leid der Opfer. Verbrechen, so Meier und Häussler weiter, «bekamen im BLICK ein Gesicht und eine Geschichte, wurden zu konkreten Einzeltaten, deren öffentliche Beschreibung in der Summe wesentlich dazu beitrug, die Grenzen von privat und öffentlich weiter zu verwischen».
Durch Leserkontakte hatten BLICK-Reporter ein unschlagbares Informantennetz quer durch die Gesellschaft. Sie hörten in den wilden 70er-Jahren auch illegal den Polizeifunk ab, um vor den Polizisten an die Tatorte zu rasen. Diese wussten natürlich davon.
Noch heute erzählt man sich die Anekdote, wie der legendäre Polizeikommandant der Kantonspolizei Zürich, Paul Grob, den BLICK-Leuten einen Streich spielte. Über den Polizeifunk liess er eine erfundene Meldung raus: «Überfall auf den Bahnhof Wetzikon, Täter flüchtig!» Die herbeieilenden Reporter empfing er mit einem schadenfrohen Lachen.
Die Faszination am Bösen
Die neuen Hinweise im Fall Ruth S. erhielt Dammann vom befreundeten Journalisten Peter Holenstein (†72). Dieser recherchierte im Jahr 2000 für ein Buch über Werner Ferrari erneut zum Fall. Dabei hatte er von Ruthlis Eltern erfahren, dass ihnen eine Unbekannte nach dem Mord einen Umschlag übergab mit den Worten: «Darauf könnte der Mörder sein».
Darin waren Fotos, die einen Mann beim Gärtnern vor einem Haus mit rot umrandeten Fenstern zeigen. Er sieht Werner Ferrari verblüffend ähnlich.
Das Foto erschien am 16. August 2002 im BLICK – mit der Schlagzeile «Entlastet dieses Foto Ferrari im Fall Ruth?» Dazu der Aufruf: «Wer kennt dieses Haus?» So wollten die Reporter das Rätsel um Ruthlis Tod endlich lösen.
Mit Artikeln über Verbrechen bediente BLICK die Faszination am Bösen. Dabei beackerte die Zeitung das Feld der Kriminalberichterstattung einst ohne Konkurrenz. Die Zeitung war voll davon. Ein Grossteil der Redaktion befasste sich mit Mord und Totschlag. Das lag auch an den Zeiten: Sie waren gewalttätiger. Noch in den 80er-Jahren, sagt Reporter Dammann, gab es allein im Kanton Zürich jährlich bis zu 40 Morde.
«Witwenschütteln» birgt auch Risiken
Heute ist es kein Tabu mehr, über Mord und Totschlag zu schreiben, sondern Mainstream. Zudem nutzen fast alle Medien die Stilmittel des Boulevards. BLICK hat hier die Grenzen verschoben – und wurde Opfer des eigenen Erfolgs.
Denn: Wenn kein Thema mehr tabu ist, wie kann man herausstechen? Um sich von der Konkurrenz abzuheben, geht BLICK oft weiter als andere Zeitungen. Reporter sprechen mit Opfern, Tätern und Angehörigen. Dieses «Witwenschütteln» sorgt für einen hoch emotionalen Zugang zu Geschichten, bringt exklusive Bilder. Ist aber auch eine heikle Angelegenheit, die keine Fehler erlaubt.
Passieren sie, erntet BLICK einen Sturm der Entrüstung, gelten seine Reporter als schamlose Bluthunde. Das Image bleibt haften. «BLICK kann sich keine Fehler leisten», sagt Viktor Dammann. «Da haben wir es einfach schwerer als die anderen Zeitungen.» Auch er wurde immer wieder für seine Berichterstattung angegangen. Zehnmal sei er wegen Ehrverletzung bis vors Bundesgericht gezogen worden. «Ich wurde nie verurteilt», sagt er.
Neue Erkenntnisse im Fall Ruth S.
Einen Tag nachdem BLICK im Fall Ruth S. das mysteriöse Foto gedruckt hatte, meldete sich der Schwager eines gewissen E. R. – der Ferrari-Doppelgänger auf dem Bild. Der Schwager erzählte, E. R. habe sich am Tag des Mordes seltsam verhalten und eine Bisswunde an der Hand aufgewiesen. 1983 habe er sich erhängt. Im Abschiedsbrief deutete er auf das Verbrechen hin. Der Schwager hatte den Verdacht einst der Polizei mitgeteilt, doch in den Akten fand sich darüber kein Wort.
Dammann erfuhr nach weiteren Recherchen, dass E. R. pädophil war. Er entdeckte in dessen Nachlass kinderpornografische Fotos und fand heraus, dass er die minderjährige Schwester seiner eigenen Frau mehrfach sexuell belästigt hatte. Daraufhin arbeiteten Dammann und Holenstein mit Patrick Schaerz, dem Anwalt von Werner Ferrari zusammen, der einen Revisionsprozess im Fall Ruth S. anstrebte.
Doch die zuständige Aargauer Staatsanwaltschaft hatte es nicht für nötig gehalten, selber Ermittlungen einzuleiten, sagt Dammann. Der Fall sei verjährt, die Ermittlungen zu teuer.
Und dann endlich die Aufklärung des Mordes an Ruth S.
Dammann ist darüber immer noch fassungslos. «Das ist doch ein Skandal, einfachheitshalber alles Ferrari anzuhängen», sagt er. Es sei ihm nie darum gegangen, einen Kindermörder aus dem Knast zu schreiben. Sondern darum, den wahren Mörder zu finden. «Man wusste ja nicht, ob der noch mehr Kinder umgebracht hatte.» Weil die Leiche von Ruth S. eine Bisswunde aufwies, hätte eine Exhumierung von E. R. den Fall lösen können.
Doch erst im April 2004 stimmte der Aargauer Gerichtspräsident dem zu – kurz bevor das Grab geöffnet wurde. Der Schädel und das Gebiss waren selbst nach 20 Jahren gut erhalten. Ein Vergleich der Bisswunde mit dem Gebiss der exhumierten Leiche zeigte: Der wahre Mörder von Ruth S. lag seit Jahrzehnten im Grab. Bingo.
«Mich hat es vor Überraschung beinahe umgehauen», sagt Dammann. Endlich, nach all den Jahren, war der Fall geklärt. Das musste selbst die «dilettantische Aargauer Polizei» einräumen, wie Dammann sagt. Im Jahr 2007 wurde Werner Ferrari in einem viel beachteten Urteil am Aargauer Obergericht am Mord von Ruth S. freigesprochen. Aber in Freiheit wird er wegen der anderen vier Kindermorde sein Leben lang nicht mehr kommen.
60 Jahre BLICK auf das Verbrechen
Das Verbrechen ist seit der ersten Ausgabe Teil des BLICKs:. «Der Diener ist nicht der Mörder» lautete die allererste BLICK-Schlagzeile am 14. Oktober 1959 über die «sensationelle Wende» in einem Kindermordfall in Genf. Ob unfassbare Gräueltaten wie der Sonnentempler-Massenmord von 1994 oder spektakuläre Coups wie der Fraumünster-Postraub von 1997: der Krimi, wie es im Journalisten-Jargon heisst, er gehörte über die Jahrzehnte immer wieder auf die Titelseiten.
1973: Rätselfall um Beat G.
An der Thuner Chilbi wurde der 14-jährige Beat G. am 9. Juni 1973 zuletzt gesehen. Am Tag darauf fand man seine Leiche. Der nie aufgeklärte Fall bewegte die Schweiz.
1976: Mordfall Seewen
Der Mordfall Seewen ist das grösste ungeklärte Verbrechen der Schweiz. Am 5. Juni 1976 wurden fünf Menschen im Wochenendhaus Waldeggli nahe Seewen SO ermordet. 20 Jahre später wurde die Tatwaffe gefunden – aber vom Mörder fehlt weiterhin jede Spur.
1986: Amoklauf von Günther Tschanun
Der Chef der Zürcher Baupolizei, Günther Tschanun, erschoss am 16. April 1986 an seinem Arbeitsplatz vier seiner Mitarbeiter. «Abrechnung im Amtshaus: Chefbeamter erschoss vier Kollegen», titelte BLICK.
1991: Der Krawattenmörder
Der «Krawattenmörder» Abdelaziz B. brachte in den 80er-Jahren fünf Menschen in der Schweiz um und erhielt 1991 lebenslang. Zwei Taten beging er mit der Komplizin Ruth S., genannt «Blondie», die er im Gefängnis kennengelernt hatte.
1993: Walter Stürm
Der Ausbrecherkönig Walter Stürm brach zwischen 1974 und 1995 insgesamt acht Mal aus dem Gefängnis aus und neckte damit die Polizei. An Ostern 1981 hinterliess er in der Strafanstalt Regensdorf den Zettel «Bin Ostereier suchen gegangen, Stürm». 1999 nahm er sich in Isolationshaft das Leben.
1994: Sektendrama von Cheiry
In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober 1994 starben bei kollektiven Morden und Selbstmorden 48 Mitglieder der Sonnentempler-Sekte. Im Walliser Dorf Granges-sur-Salvan kamen durch den Massenmord 25 Sektenmitglieder um, in einem Gehöft im fribourgischen Weiler Cheiry starben 23. BLICK-Reporter reisten mit einem Helikopter an den Tatort – aus der Luft schoss Fotograf Philippe Rossier dieses Bild des Grauens.
1997: Fraumünster-Postraub
Es war der Raub des Jahrhunderts: In vier Minuten erbeuteten Domenico Silano und seine vier Komplizen 53 Millionen Franken, als sie am 1. September 1997 die Zürcher Fraumünster-Post überfielen – mit einem Fiat Ducato, getarnt als Service-Auto der Telecom. Die Täter wurden wegen dilettantischer Fehler schnell gefasst. «So dumm waren die Posträuber!», schrieb BLICK. Von 27 Millionen Franken fehlt noch heute jede Spur.
1997: Geiselgangster von Luzern
Josef «Seppi» Ritler schrieb und fotografierte 40 Jahre lang für BLICK. Mit diesem Bild gewann er 1997 den Swiss Press Photo Award. Der Geiselnehmer, der in Unterhosen abgeführt wird, erschoss beim Überfall einen Angestellten.
2010: Bielersee-Drama
Der 77-jährige Urs T. überfuhr am 11. Juli 2010 auf dem Bielersee mit seinem Motorboot das Schlauchboot von Angela A. (†24). Er beging Fahrerflucht, sie verblutete in den Armen ihres Freundes. Der Fall schockierte das ganze Land. BLICK setzte auf den flüchtigen Kapitän des Killer-Boots ein Kopfgeld von 20'000 Franken aus.
2010: Quälschwestern von Entlisberg
BLICK deckte den Skandal im Zürcher Pflegeheim Entlisberg auf: Vier Pflegerinnen filmten wehrlose Demenzkranke. Eine davon am Arm von Milieu-Anwalt Valentin Landmann.
2013: Serienvergewaltiger Anthamatten
Nach vier Tagen Flucht wurde Fabrice Anthamatten in Polen verhaftet. Der Serienvergewaltiger hatte in Genf seine Betreuerin auf dem Weg in eine Reittherapie getötet. «Sie ging mit ihm alleine zur Reittherapie. Warum?» fragte BLICK fassungslos.
2013: «Amokrentner» von Biel
Peter Hans Kneubühl wehrte sich 2010 mit Waffengewalt der Zwangsräumung seines Hauses und schoss einen Polizisten an. BLICK: «Biel in Angst».
2015: Vierfachmord von Rupperswil AG
Es ist eines der grausamsten Verbrechen der Schweiz: der Vierfachmord von Rupperswil AG. Nach einem Brand in einem Wohnhaus fand die Polizei am 21. Dezember 2015 vier Leichen: die Mutter, beide Söhne und die Freundin eines Sohnes. Ihnen wurde kaltblütig die Kehle durchgeschnitten, der jüngere Sohn zudem sexuell missbraucht. Auf den Täter setzte die Polizei 100'000 Franken Kopfgeld aus. Thomas Nick, ein Nachbar, wurde am 12. Mai verhaftet und gestand die Taten.
2017: Der «Brand-Stift» von Thusis GR
Ein 16-jähriger Lehrling steckte im Dezember 2017 die Landi in Thusis in Brand. Der «Brand-Stift», so BLICK, tat dies aus Frust über einen nicht funktionierenden Etikettenkleber.
60 Jahre BLICK – das sind auch 60 Jahre Schweizer Geschichte. Einen Teil davon können Sie mit unserer grossen Jubiläums-Beilage jetzt in Händen halten. Die grössten Verbrechen, Skandale und Katastrophen, aber auch die schönsten Liebesgeschichten der letzten Jahrzehnte lassen wir auf 140 Seiten noch einmal Revue passieren. Kaufen können Sie «60 Jahre BLICK» ab 4. Oktober bei allen Valora-Kiosken zum Preis von 6.60 Franken.
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