Star-Architekt motzt über Bern
«Das ist doch nicht der Bahnhof von Tirana»

Der dänische Star-Architekt Jan Gehl wähnte sich beim Bern-Besuch offenbar in Albanien.
Publiziert: 19.08.2015 um 16:59 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 02:54 Uhr
Der Berner Bahnhofplatz, kein schöner Empfang?
Foto: Keystone
Von Thomas Rickenbach

Zwei Tage hat der nicht mehr ganz junge dänische Star-Architekt und Städteplaner Jan Gehl (78) in Bern verbracht. An einer Medienkonferenz der Stadt kritisierte er gestern zwar ein paar Dinge. So richtig ausgeteilt hat Gehl aber auf Radio SRF1.

Auf dem Bahnhofplatz stehend sagt er: «Das ist kein schöner Empfang für die Hauptstadt eines grossartigen Landes.» Er grätscht nach: «Das ist doch nicht der Hauptbahnhof von Tirana in Albanien. Das ist doch die Schweiz.»

Die ewige Suche nach dem Kompromiss

Gehl propagiert «Städte für Menschen», für Fussgänger, Velofahrer, Senioren. Der Verkehr vor dem Bahnhof nervt ihn. Was ist die Ursache für den nicht-anmächeligen Bahnhofplatz? Die ewige Suche nach dem Kompromiss, findet Gehl.

Im Visier hat er nicht nur die Politik, sondern vor allem das Stimmvolk. 2009 hatte die Stadt einen autofreien Bahnhofplatz an der Urne abgelehnt. Gehl zu solchen Entscheiden frank und frei: «Demokratie ist nicht gut für die Stadtplanung.»

Melbourne die Nummer 1 - dank Gehl

Eine aktuelle Liste gibt seinen deutlichen Statements Rückendeckung: Gestern erschien das jährliche Ranking der lebenswertesten Städte. Auch Rang 1: Melbourne in Australien.

Heute ist diese Stadt ein Fussgänger-Paradies mit Gratis-Tram für jedermann. Gehl war an dieser Planung massgeblich beteiligt. Bern fehlt in dieser internationalen Liste, Zürich und Genf verpassten die Top Ten knapp.

«Stapi in spe» passt das

Dass Gehl über Bern motzt, dürfte vielen städtischen Politikern durchaus ins Kalkül passen. Denn was er propagiert - Raum für Fussgänger und Velofahrer, weniger Autoverkehr -, passt in die Strategie von «Stapi in spe» Ursula Wyss. Letzte Woche war bekannt geworden, dass die SP sie nächstes Jahr als Tschäppät-Nachfolgerin vorschlagen will. In der SP-Stadt Bern wäre es eine politisches Erdbeben, sollte sie im November 2016 nicht gewählt werden.

Seit einigen Monaten hat Wyss angekündigt, dass sie diesen Herbst eine Berner «Velo-Offensive» lancieren will. Prompt hofft sie auf eine längere Zusammenarbeit mit Gehl. Bei der Planung des Waisenhausplatzes will sie mit dem Büro des Dänen zusammenarbeiten, wie sie gestern sagte. Der zentrale Platz soll bald saniert werden.

In Bern. Nicht in Tirana.

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