Stiftung Altried in Zürich-Schwamendingen. Der seit der Geburt cerebral gelähmte GC-Fan arbeitet und wohnt im Zentrum für Menschen mit Behinderungen. Seit 1982. Flavio (54) wartet im Eingangsbereich. «Hast du dein Zimmer aufgeräumt?», fragt die Dame am Empfang. «Na klar», antwortet Flavio strahlend.
Er trägt ein blaues Trainer-Oberteil mit der Zahl «1886» drauf. Unschwer zu erraten: 1886 ist das Gründungsjahr von GC, dem Klub seines Herzens. Flavio bedient mit dem kleinen Finger der rechten Hand den Joystick seines selbstfahrenden Rollstuhls. Er führt uns zu seinem Wohnzimmer im ersten Stock.
«Ich hatte eine Schiiss-Freude, Zubi zu treffen»
Über dem Bett hängt ein Poster. Ex-Nati-Goalie Pascal Zuberbühler fliegt durch die Luft. «Für meinen treuen Fan Flavio», hat «Zubi» aufs Bild geschrieben. Kürzlich haben sich die beiden im TV-Studio getroffen. Zubi als Experte, Flavio als Studiogast. Der GC-Fan trug für einmal nicht Blau-Weiss, sondern ein rotes Oberteil der Schweizer Nati. Zubi, im Hauptjob Goalie-Ausbildner beim Weltfussballverband Fifa, fragte Flavio, ob er sich nicht mehr getraue, im GC-Outfit aufzutreten.
Flavio zu SonntagsBlick: «Ich hatte eine Schiiss-Freude, Zubi zu treffen. Ich dachte, ich ziehe für den Besuch im Fernsehstudio etwas Neutrales an.» Das Nati-Kleidungsstück ist ein Geschenk von Nati-Goalie-Trainer Patrick Foletti. Der Tessiner war in den 90ern Ersatz-Goalie bei GC.
Wir entdecken die Handschuhe von Nati-Schlussmann Yann Sommer (spielte ab 2009 eine Saison für Flavios Lieblings-Klub). Auf einem Buchdeckel klebt die unterschriebene Autogrammkarte des heutigen Sion-Trainers Murat Yakin. An den Wänden sehen wir hinter Glas Basel-Trainer Marcel Koller und Ex-Nati-Coach Ottmar Hitzfeld. «Ottmar hat mich hier schon einige Male besucht», erzählt Flavio stolz. «1990 hat er mich und meinen Vater zum Europacup-Spiel nach Genua eingeladen. Weisst du noch, das Eigentor von Urs Meier?» Der Hechtköpfler von Meier ins eigene Tor ging um die Welt.
Mit Koller – der ehemalige Nati-Coach Österreichs wuchs auch in Zürich-Schwamendingen auf – traf sich Flavio schon auf ein Glas Wein. «Aber jetzt hat Mäse nicht mehr so viel Zeit, seit er in Basel bei dieser Rumpftruppe ist.» Von YB-Sportchef Christoph Spycher und St. Gallens Alain Sutter (beides ehemalige Hopper) ist Flavio für GC-Auswärtsspiele eingeladen worden.
Seit 1979 hat Super-Fan Flavio bei GC den besten Platz. Im Hardturm-Stadion sass er im Rollstuhl nach den Spielen gleich neben der Garderobentür. Seit 2007 fährt er im Letzigrund im Stadionbauch in den Garderoben-Bereich. Jeder Spieler kreuzt nach Matchschluss seinen Weg.
Claudio Sulser machte es möglich
Doch wie ist Flavio zu seinem VIP-Status gekommen? «Vor 39 Jahren war ich als Kind mit meinen Eltern im Tessin in den Ferien. Gleich neben uns wohnte Claudio Sulser.» Flavios Vater Hugo Sturzenegger (heute 87) ist zu dieser Zeit Präsident des FC Seefeld.
Der Stadtzürcher Quartier-Klub ist damals DER GC-Talentschuppen: Der spätere Rekord-Internationale Heinz Hermann (118 Länderspiele), sein Bruder Herbert, Richi Bauer, Salve Andracchio und der erwähnte GC-Eigentor-Schütze Meier lernen das Fussball-ABC im Klub von Flavios Vater.
Der heutige Nati-Delegierte Sulser schiesst ab 1979 für GC Tore am Laufmeter und wird im Meistercup (heute Champions League) Torschützenkönig. Sulser spielt für Flavio im Hardturm den Türöffner. Seit 39 Jahren hat Super-Fan Flavio bei Blau-Weiss den besten Platz.
Auch beim Derby gegen den FC Zürich sass er auf der Haupttribüne. «Zehn Minuten vor Schluss ‹rugälä ich abe›. Damit ich nicht zu lange auf den Lift warten muss. Ich finde es schön, dass alle Spieler zu mir kommen.»
Flavios Traum? «Ich möchte den dritten Stern noch erleben.» Den gäbe es für den 30. Meistertitel. Beim 27. war Flavio live dabei. 2003 im Berner Neufeld-Stadion. Es fehlen noch drei Titel bis zu Flavios Traum. Ein weiter Weg.
Immerhin: Vor einer Woche freute sich Flavio über das Ja an der Urne zum neuen Hardturm-Stadion. «Nur weiss ich noch nicht, wo ich dort sitzen werde.»