Von Sarah C. (35) und ihrem Töchterchen (1) fehlt seit dem 30. Oktober 2015 jede Spur. Die Mutter holte an diesem Tag ihr Kind um 14 Uhr im Kinderheim Stern in Biel BE ab. Am Abend brachte sie das Mädchen nicht wie vereinbart zurück. Seither ist C. mit ihrer kleinen Tochter untergetaucht.
Die Kantonspolizei Bern machte den Fall am Montag mit einem Zeugenaufruf publik. Wieso erst jetzt? Sprecher Christoph Gnägi: «Zum Schutz von Mutter und Kind verzichteten wir anfangs darauf. Es gab in der Zeit der Ermittlungen nie Hinweise, dass eine akute Gefahr für das Leben des Kindes besteht.» Weil die bisherigen Ermittlungsansätze erschöpft seien, habe man entschieden, jetzt den Zeugenaufruf zu machen.
«Die Mutter ist psychisch labil»
Das Töchterchen von C. war seit Geburt im Kinderheim Stern in Biel platziert. Zuständig ist die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb). Auch diese Behörde geht nach wie vor nicht von einer Gefahr für das Kind aus. «Wir machten eine Risikoanalyse», sagt Kesb-Chefin Henriette Kämpf. «Nach aktuellem Kenntnisstand besteht keine Gefahr an Leib und Leben. Mittelfristig ist aber sicher eine Gefährdung da.» Und Kämpf räumt ein: «Die Mutter ist psychisch eher labil.»
Im Gegensatz zu den Behörden machten sich die früheren Nachbarn von C. schon länger Sorgen. Die Frau hat nämlich noch ein Kind, Sohn Silas. Bis vor zwei Jahren wohnte C. mit dem Buben in einer Wohnung in Biel. «Der arme Bub war schon fast durchsichtig, weil er nie an der Sonne war», sagt Ursula Nedi (59), die in der Wohnung direkt über C. wohnt. «Das Kind war immer in der Nacht aktiv.»
C. sei jeweils am frühen Abend mit ihren Sohn weggegangen und dann erst gegen Mitternacht zurückgekommen. «Beide waren immer die ganze Nacht wach. Mutter und Sohn schliefen tagsüber.» Silas sei nicht in den Kindergarten gegangen. «Ich wollte ihn zum Kerzenziehen mitnehmen, doch die Mutter erlaubte das nicht.»
Zweites Kind bei Pflegefamilie untergebracht
Nedi beschwerte sich schon 2011 wegen Nachtruhestörung. «Die Mutter schrie jeweils die ganze Nacht lautstark herum. Der Bub war total eingeschüchtert. Das brach mir das Herz.»
Nachbarin Nedi suchte Hilfe bei der Amtsvormundschaft. «Der Beistand der Mutter sagte mir, wenn man der Frau das Kind wegnehme, raste sie vollkommen aus.» Der Beistand ist auch der Arzt von C. «Es dauerte fast ein Jahr, bis endlich einmal jemand bei der Frau vorbeischaute.»
Hausabwart Ernst Villard (75) wurde in der Nacht vom 30. auf den 31. Oktober 2015 um 2 Uhr morgens von der Polizei aus dem Schlaf gerissen: «Sie fragten, ob ich wisse, wo Frau C. sei. Doch die verschwand schon vor zwei Jahren.» Ihr Sohn Silas ist bei einer Pflegefamilie untergebracht.
Gegen C. läuft jetzt ein Strafverfahren wegen Entzug von Minderjährigen sowie wegen Freiheitsberaubung und Entführung. Wo sich die Mutter mit ihrer Tochter aufhält, wussten die Behörden auch gestern nicht.