IKRK-Präsident Peter Maurer zur Eritrea-Debatte
«Einfach-Tickets sind keine gute Lösung»

In Chandolin VS referierte IKRK-Präsident Peter Maurer an der SP-Sommeruni zur Flüchtlingsthematik. Was die aktuelle Asyldebatte betrifft, hat er ein Anliegen: «Denkt daran, dass es Menschen sind. Und Menschen haben ein Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben.»
Publiziert: 09.08.2015 um 12:38 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 02:05 Uhr
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IKRK-Präsident Peter Maurer in Chandolin VS.
Interview: Ruedi Studer

Das Grand Hôtel von Chandolin VS liegt idyllisch im Val d’Anniviers. Mit herrlichem Blick auf die Walliser Bergwelt. Hier trafen sich dieses Wochenende über 100 SP-Mitglieder zu Sommeruni – mit Vorträgen und Workshops zu allerlei Themen.

Prominenter Gast war dabei Peter Maurer, der Präsident des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Der «humanitäre Diplomat», wie sich Maurer selbst bezeichnet, skizzierte den Genossen die Tätigkeit des IKRK und beleuchtete insbesondere die Flüchtlingsthematik. Am Rande der Veranstaltung stellte sich Maurer am Freitag auch den Fragen von Blick.ch. Heute ist er schon wieder im Konfliktgebiet Yemen unterwegs.

Blick.ch: Herr Maurer, 60 Millionen Flüchtlinge sind weltweit unterwegs. Und hierzulande führen wir eine hitzige Debatte wegen einiger Tausend eritreischer Asylbewerber. Das muss Ihnen als IKRK-Präsident absurd vorkommen.

Peter Maurer: Wir dürfen die Sorgen und Nöte der Schweizerinnen und Schweizer nicht bagatellisieren. Wenn sie die Ankunft von Flüchtlingen als Problem wahrnehmen, dann ist das völlig normal. Es gibt keinen Ort auf der Welt, an welchem Vertriebene einfach mit offenen Armen empfangen werden und es keine Probleme gibt. Diese Probleme muss man aber diskutieren und versuchen, Lösungen zu finden. Es kann aber nicht einfach eine einfache Lösung sein, indem man sagt: 'Geht zurück, wo ihr herkommt.'

So wie es sich die SVP mit Eritrea-Einfach-Tickets für Eritreer wünscht?

Einfach-Tickets sind keine gute Lösung. Die Gründe, weshalb sich Leute in Bewegung setzen, sind vielfältig. Sie entscheiden selber, was sie mit ihrem Leben machen wollen. Wir müssen die Migranten ernst nehmen und versuchen, zusammen mit ihnen Lösungen zu finden, welche für lokale Gesellschaften erträglicher sind.

Ein Diskussionspunkt ist auch, ob die Eritreer zu Recht kommen. Sind sie «echte» Flüchtlinge oder einfach Wirtschaftsmigranten?

Als IKRK-Präsident äussere mich weder zum Status noch zur Rechtmässigkeit von Flüchtlingen. Das liegt ausserhalb unseres Mandates.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga bezeichnet Eritrea als Willkür- und Unrechtsstaat. Sie auch?

Als IKRK-Präsident qualifiziere ich keine Länder. Menschen entscheiden aus vielfältigen Gründen, warum sie gehen. Ich urteile nicht über ihre Motive. Es gibt weltweit über 200 Millionen Migranten. Und wenn sich Menschen von A nach B bewegen, kann das mit Problemen verbunden sein. Wo wir Probleme antreffen, versuchen wird die Not zu lindern. Migranten haben oft Gesundheitsprobleme, keine Unterkunft, kein Wasser. Als IKRK-Präsident ist es mir in der Migrationsdebatte ein Anliegen zu sagen: Denkt daran, dass es Menschen sind. Und Menschen haben ein Anrecht auf ein menschenwürdiges Leben.

Kann das IKRK in Eritrea überhaupt arbeiten?

Wir verfügen vor Ort über eine Delegation und führen ein relativ beschränktes Programm durch. Gefängnisbesuche gehören aber nicht dazu.

Sie dürfen nicht, aber würden gerne eritreische Gefängnisse besuchen?

Wir sind immer bereit, mehr zu machen. Grundsätzlich offerieren wir vielen Ländern, die auch nicht in einem Konflikt stehen, dass wir ihre Gefängnisse besuchen. Dies, weil wir als IKRK ein grosses Know-how haben in der menschenwürdigen Behandlung Gefangener.

Sie haben im Wallis ihren SP-Parteigenossen die komplexen Probleme hinter der Migrationsströmen nahe gebracht – und wurden aufgefordert, mehr bei der SVP aufzutreten. Braucht die SVP mehr Vorträge von Peter statt von Ueli Maurer?

Dass muss die SVP entscheiden. Wenn ich eingeladen werde, informiere ich auch gerne bei der SVP über unsere Tätigkeit, unsere Erfahrungen und humanitäre Bedürfnisse.

Stört es Sie, dass mit dem Thema Asyl Wahlkampf betrieben wird?

Jedes Thema, dass die Leute beschäftigt, wird logischerweise zu einem politischen Thema und öffentlich diskutiert. Damit habe ich kein Problem. Mich stört aber die Eindimensionalität der SVP. Ich wünsche mir mehr Differenzierung und dass das Thema in einem grösseren Kontext gesehen wird. Als Vertreter einer humanitären Organisation habe ich ein Interesse daran, dass die humanitäre Dimension in die politische Diskussion einfliesst. Es ist aber nicht meine Aufgabe, Politik zu machen.

Sondern?

Meine Aufgabe ist es, möglichst objektiv über die von uns beobachtete Situation zu berichten. Nachher ist es den Parteien und Behörden überlassen, ihre Schlussfolgerungen daraus zu ziehen.

Für dieses Jahr werden in der Schweiz rund 29'000 Asylgesuche erwartet. Könnte, ja müsste die Schweiz nicht mehr Leute aufnehmen?

Wenn ich die Anzahl Menschen anschaue, die wegen Problemen migrieren. Und wenn ich sehe, wie schwierig es ist, sichere Beherbergungsorte für sie zu finden, dann muss ich mich logischerweise dafür einsetzen, dass Länder mit den entsprechenden Möglichkeiten ihre Aufnahmeregimes so grosszügig wie möglich gestalten.

Die Schweiz hat da also noch Spielraum nach oben?

Das muss die Schweizer Politik entscheiden. Aber ich begrüsse es, wenn die Schweiz entscheidet, dass sie mehr machen kann. Nicht nur bei den Aufnahmen, sondern auch bei der Hilfe vor Ort. Das eine darf aber nicht gegen das andere ausgespielt werden.

Letztes Jahr wurde die Ostspitze in den Walliser Alpen zu Ehren des IKRK-Gründers Henry Dunant in Dunant-Spitze umbenannt. Ein symbolischer Akt, der aber nichts hilft.

Symbole haben ihren Wert. Wenn ein Berg nach dem Gründer einer Organisation benannt wird, dann symbolisiert das für mich, dass diese Organisation in diesem Land verankert und stabil ist.  Das ist ein schönes Symbol.

Die SP besuchen Sie in einer idyllischen Bergwelt, tags darauf geht es in das Konfliktgebiet Yemen. Wie halten Sie diesen Spagat aus?

Wie man ihn aushält, kann ich nicht beantworten. Man muss ihn einfach aushalten, sonst dürfte ich diesen Job nicht machen. Man ist immer grossen Gegensätzen und Spannungen ausgesetzt. Was solche Wechsel erträglicher macht: Ich arbeite bei einer Organisation, welche bei allen Schwierigkeiten einen Unterschied für die Leute machen kann. Wir können jeden Tag irgendwo helfen und Not lindern. Das ist die Motivation, die einem erlaubt, über die Schwierigkeiten und Gegensätze hinwegzusehen.

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