Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Gefährlich sind Finanzminister, die immer nur sparen wollen

Ökonomen prophezeien die schlimmste Rezession seit den 1930er-Jahren. Der Blick zurück zeigt, welche Fehler die Politik damals machte. Und wie der Bundesrat später dann plötzlich kreativ wurde.
Publiziert: 19.04.2020 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 19.04.2020 um 10:55 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Paul Seewer
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

An historischen Vergleichen fehlt es derzeit nicht. Bundesrätin Viola Amherd verkündete Mitte März «die grösste Mobilmachung der Schweizer Armee seit dem Zweiten Weltkrieg». Der Internationale Währungsfonds (IWF) prophezeite diese Woche wegen Corona die schlimmste Rezession seit der Grossen Depression in den 1930er-Jahren.

Als jene Depression unser Land ­erfasste, hiess der Finanzminister Jean-Marie Musy (1876–1952). Der Freiburger war katholisch-konser­vativ, stand den Banken nahe und hatte einen Plan zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise: Sparen! Er senkte die Beamtenlöhne und wollte die ohnehin bescheidene ­Arbeitslosenhilfe kürzen.

Musys Massnahmen verschlimmerten die Lage. Bald wurden die Forderungen des Finanzministers so ­extrem, dass er sich mit den übrigen Bundesräten überwarf. Im April 1934 trat er zurück. Jean-Marie Musy wurde zu einer Galionsfigur der Schweizer Nazis, träumte davon, der «Führer» der Eidgenossen zu werden.

Finanzpolitisch wirklich kreativ wurde die Landesregierung allerdings erst, als der Krieg kam. Nun galt es, die grösste Mobilisation ­unserer ­Armee vor Corona zu organisieren. Plötzlich hatte der Bundesrat keine Mühe mehr mit neuen Staatsausgaben und auch nicht damit, ­weitere Geldquellen zu erschliessen. Er tat Dinge, die zuvor undenkbar waren – und bald ging sein Engagement über die Landesverteidigung hinaus: Nachdem der Vormarsch ­Nazideutschlands in der Sowjet­union gestoppt worden war, bot die Regierung sogar Hand für einen Ausbau des Sozialstaats. Hitlers Niederlage in Stalingrad 1943 war die Geburtsstunde unserer Alters- und Hinterlassenenversicherung.

1939 wurde der ­Erwerbsersatz für ­Soldaten eingeführt. Die Kasse speiste sich je zur Hälfte aus Beiträgen von Arbeitnehmern und Arbeit­gebern. Das Modell wurde später für die AHV übernommen.

Zwischen 1940 und 1946 erhob der Bund eine Steuer auf Gewinne, die Unternehmen durch den Krieg zu­flossen. In den Jahren 1940 und 1942 wurde zusätzlich eine spezielle Vermögenssteuer erhoben.

Anfang 1941 trat die «Wehrsteuer» in Kraft. Einkommen und Vermögen von natürlichen Personen sowie ­Gewinn und Kapital von Firmenunterlagen dieser Abgabe.

Im Herbst 1941 kam die Waren­umsatzsteuer für Güter des täglichen ­Bedarfs. Sie wurde 1995 durch die Mehrwertsteuer abgelöst.

Nach wie vor in Kraft ist die Ver­rechnungssteuer auf Kapitalerträge, die 1943 geschaffen wurde. 2019 brachte sie dem Bund 8,3 Milliarden Franken ein.

Der Historiker Sébastien Guex hebt hervor, dass die kleinen Leute durch das neue Fiskalregime besonders ­belastet wurden. In der Tat brachte die Warenumsatzsteuer den grössten Ertrag. Demgegenüber betonte der 2016 verstorbene Ökonom Walter Wittmann: «Auf das konjunkturwid­rige Verhalten der dreissiger ­Jahre vollzog sich während des Zweiten Weltkrieges infolge des sozialen Drucks eine Hinwendung zu einer konjunkturstabilisierenden Ausgaben- und Einnahmepolitik.»

Klar ist in jedem Fall: Wenn die Politik will, findet sie Lösungen. Sollte uns wirklich eine Jahrhundertrezes­sion drohen, kann und muss der Bund seine Verantwortung als Gestalter wieder wahrnehmen. Er muss ein ­intelligentes Konjunkturprogramm schnüren – und er kann dieses auch bezahlen. Sollte er dabei auf neue oder höhere Steuern verzichten wollen, muss er eben die Nationalbank in die Finanzierung einbinden.

Was der Bundesrat und insbesondere unser Finanzminister in den kommenden Monaten sicher nicht tun dürfen: Jean-Marie Musy nacheifern und den sparsamen Hausvater hervorkehren.

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