Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Der Preis für billigen Luxus

Es ist kein Zufall, dass die Krise gerade die Luftfahrt und die Fleischindustrie besonders hart trifft. Denn beide Branchen verfolgen ein Geschäftsmodell, das schon in normalen Zeiten im Grunde unmöglich ist: den billigen Luxus.
Publiziert: 27.06.2020 um 23:48 Uhr
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Aktualisiert: 04.07.2020 um 22:23 Uhr

Die deutsche Regierung rettet den Lufthansa-Konzern mit neun Milli­arden Euro. Tausende von deutschen Schlachthof-­Arbeitern haben sich mit ­Corona angesteckt. Die zwei prominentesten Meldungen der Woche haben auf den ersten Blick nichts, bei ­genauerem Hinsehen sehr viel miteinander zu tun. Es ist kein Zufall, dass es just diese beiden Branchen ­besonders hart trifft.

Luftverkehr wie Fleisch­industrie sind zu schön, um wahr zu sein. Luftverkehr wie Fleischindustrie produzieren billigen Luxus. Dieser Widerspruch funktioniert nur dank des Beistands von ganz oben. Mit versteckten und offenen Subventionen sowie einer ausgesprochen ­laschen Gesetzgebung ­halten die Staaten dieses prekäre System am Laufen.

Warum die Politik so ­handelt? Billiges Fleisch und billiges Fliegen gehören zu den ­wichtigsten Glücks­ver­sprechen der westeuropäischen Länder. Sie sind das moderne Äquivalent
von Brot und Spielen. Wer reichlich davon hat, macht keinen Ärger.

In der Krise fliegt dieser ­faule Zauber nun aber auf. Jetzt braucht es ganz schnell noch gewaltigere Hilfen vom Staat. Oder dann werden die ­miesen Arbeits­bedingungen in der Fleischindustrie sichtbar.

Es stimmt: Die Schweizer Schlachtbetriebe haben ­keine gehäuften Covid-­Erkrankungen zu vermelden. Die Betreiber betonen, Fälle wie in der toxischen Tönnies-Fabrik in Nordrhein-West­falen seien bei uns undenkbar. Im aktuellen SonntagsBlick zeigen meine Kollegen Tobias Marti und Sven Zaugg jedoch: Tag für Tag landen gewaltige aus Deutschland importierte Fleischmengen auf Schweizer Tellern.

Und unabhängig von Corona: Auch die Produktions­be­dingungen in ­hiesigen Fleischfabriken sind höchst problematisch. Jedes Jahr ­erleidet einer von zehn ­Beschäftigten einen Arbeitsunfall. Der Grossteil der Verletzungen trifft Ungelernte ohne Schweizer Pass, meist stammen sie aus Osteuropa. Einen Mindestlohn gibt es für sie nicht. Mit sehr viel Glück verdient jemand ­monatlich 3500 Franken. Dafür schuftet er 43 Stunden die Woche, Arbeitsbeginn um 5 Uhr in der Früh.

Wir alle sehnen uns nach ­einer Rückkehr in die Normalität! In Zukunft wieder für 30 Franken nach Mykonos zu fliegen, wie dies vor Corona möglich war, wäre dann zwar eine Rückkehr in unser altes Leben. Normal wäre es allerdings nicht.

Ebenso fragwürdig mutet an, dass manche von uns ­bereit sind, mehr Geld für Katzenfutter auszugeben als für ihre eigenen Lebensmittel.

Vielleicht ändert sich ja ­daran aber gerade etwas.

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