Die Corona-Krise ist auch eine Krise der Wahrheit. Dass wir diese Chronik der Falschmeldungen und Fehleinschätzungen überhaupt durchmachen, liegt ja daran, dass China die Krankheit vertuschen wollte. Und wie lange haben wir die Gefahr hierzulande verkannt! Der Lausanner Epidemiologe Marcel Salathé ist uns durch seine vielen TV-Auftritte als Mahner zur Vorsicht bekannt. Doch noch Ende Februar sagte Salathé: «Meiner geplanten Italienreise im April sehe ich relaxed entgegen.»
Dann die Debatte um den Mund-Nasen-Schutz. Das Bundesamt für Gesundheit ist nicht die einzige Behörde, die da ins Schleudern geraten ist. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mass den Masken zunächst ebenso wenig Bedeutung bei wie das Robert Koch-Institut in Berlin. Die angesehene Fachzeitschrift «Annals of Internal Medicine» publizierte im April eine Studie, die vor Masken sogar warnte.
Daniel Koch war so ein Vertrauensarzt. Egal, was der inzwischen pensionierte Gesundheitsbeamte sagte, die breite Öffentlichkeit hats geschluckt. Auch dies ist keine Schweizer Besonderheit. In den USA tötet Covid-19 täglich 1000 Menschen, trotzdem wird der oberste Seuchenbekämpfer, Doktor Anthony Fauci, von vielen verehrt wie ein Gott. Es gibt T-Shirts zu kaufen mit der Aufschrift «In Fauci we trust», wir vertrauen auf Fauci.
Eine Grundregel von Krisenkommunikation lautet: Nur eine Person tritt vor die Öffentlichkeit, sie verleiht ihrer Institution ein Gesicht. Beim Bund hat man es bislang verpasst, auf Daniel Koch eine neue Miss oder einen neuen Mister Corona zu präsentieren. Stattdessen gibt bald dieser Funktionär Auskunft, bald ein anderer.
Dieses Jekami untergräbt das intuitive Vertrauen der Bevölkerung ins BAG. Und das mit Recht: Die mangelhafte Krisenkommunikation zeigt ja bloss, dass es kein echtes Krisenmanagement gibt.
Der Covid-Krisenstab wurde im Juni aufgelöst, der Bund schaltete mehr oder minder auf Normalbetrieb. Aber natürlich ist nichts normal! Das BAG erhält täglich zwei Dutzend, an Spitzentagen 50 Medienanfragen. Hinzu kommen 200 bis 300 Schreiben besorgter Privatpersonen. Für die zuständigen Sachbearbeiter wird Öffentlichkeitsarbeit da zur Tortur. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die organisatorischen Schwächen in einem handfesten Fehler manifestierten: Vor zehn Tagen publizierte das BAG falsche Zahlen zu den Ansteckungsorten von Covid-19 und musste sich dafür entschuldigen.
Es ist Sache des Bundesrats, das BAG sturmfest zu machen. Dazu gehört das Einrichten eines Krisenstabs mit ausreichend Ressourcen und professionellem Auftritt. Der Bund muss alles unternehmen, um die zersetzende Wirkung des Virus auf Wahrheit und Vertrauen zu unterbinden. Was er nicht tun darf: Diese zersetzende Wirkung durch Unvermögen selber noch verstärken.