Balthasar Glättlis Freunde standen nackt da. Dann bewegte sich der Tross durch Zürich. Unter dem Motto «Flitzen statt rasen» demonstriert die Sponti-Truppe ZAF («Züri Autofrei!») gegen den motorisierten Verkehr. Der Coup wurde zum Stadtgespräch.
Das war in den Neunzigern. Drei Jahrzehnte später, am Wahlsonntag, stellte sich Glättli, heute 51 Jahre alt und Präsident der Grünen, mit Hemd und Veston vor die Kameras in Bern. Seine Partei hatte soeben 3,2 Prozentpunkte Wähleranteil verloren. Auf die Frage zu seiner eigenen Zukunft verwies er auf die kommende Fraktionssitzung.
Die allerdings überraschte gestern mit einem ganz anderen Entscheid: Statt zu einem personellen Neuanfang an der Spitze rief sie zur Attacke auf die Zauberformel. Bei den Erneuerungswahlen zum Bundesrat wollen die Grünen den FDP-Sitz von Ignazio Cassis angreifen.
So mag man vielleicht die eigene Klientel bei Laune halten, doch drängt sich die Frage auf: Was soll das?
Weit und breit sind keine Verbündeten für das Manöver in Sicht. Die Bürgerlichen sowieso nicht, ebenso wenig die politische Mitte. Womit die SP bliebe. Weil aber am 13. Dezember die Nachfolge von SP-Mann Alain Berset zuletzt auf der Tagesordnung steht, werden die Genossen einen Teufel tun und sich in den vorherigen Wahlgängen an riskanten Spielchen beteiligen.
Die tollkühne Verweigerung jeder strategischen Vernunft, diese ziellose politische Realitätsflucht passt ins Bild, das die Grünen in den 24 Stunden zuvor abgegeben hatten: Vorgestern Freitag schafften sie es nicht, ihre Sitzung planmässig zu beenden. Um 19 Uhr wurden sie wegen einer Lichtshow aus dem Bundeshaus spediert und liessen verdutzte Journalisten stehen. Am Samstag mussten sie virtuell weiter diskutieren.
Einmal Sponti-Truppe, immer Sponti-Truppe.
Das amateurhafte Vorgehen schafft kein Vertrauen in eine Partei, die Verantwortung übernehmen will. Es ist bittere Ironie, dass die Grünen ausgerechnet mit einer Bundesratskandidatur ihre Unreife für eine Regierungsbeteiligung darlegen. Wieder stehen Glättlis Freunde nackt da.