Editorial über den wackelnden FDP-Sitz
Taktieren mit Thierry

Dass der Freisinn um seine Vertretung in der Landesregierung bangen muss, ist auch ein Stück hausgemacht.
Publiziert: 10.12.2023 um 09:08 Uhr
Friendly Fire: Karin Keller-Sutter, Thierry Burkart und Ignazio Cassis (v.l.) am 21. Januar 2023 in Dübendorf ZH.
Foto: keystone-sda.ch
Bildschirmfoto 2024-04-02 um 08.40.24.png
Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

In drei Tagen sind die Bundesratswahlen gelaufen. Das ist eine frohe Botschaft, denn viel länger wäre nicht auszuhalten, was Publizisten und Politiker der Öffentlichkeit derzeit zumuten: Wählt das Parlament Gerhard Pfister statt Ignazio Cassis in die Regierung? Oder Martin Candinas? Und anstelle der SP-Nominierten lieber Eva Herzog – oder doch Daniel Jositsch? Ist Jon Pult zu jung? Beat Jans zu baslerisch? Sind beide ohnehin zu links? (Dürfen SP-Bundesratskandidaten überhaupt SP-Mitglied sein?) Die Wirklichkeit verschwimmt zum Vexierbild aus Geheimplänen. Das allgemeine Bedürfnis nach Drama offenbart politische Wohlstandsverwahrlosung.

Im Auge des Sturms steht der Aussenminister. Ein Visionär ist Ignazio Cassis nicht, doch legt er erstaunliche Nehmerqualitäten an den Tag: Während sich Bundesberner Vorder- und Hinterbänkler gerade der epochalen Frage widmen, ob man ihn abwählen soll, arbeitet der Tessiner eifrig daran, dass die Landesregierung in den nächsten Wochen das Verhandlungsmandat mit der EU verabschiedet. Andere, wie sein Vorgänger Didier Burkhalter, waren an diesem Dossier zerbrochen.

Cassis hingegen trotzte stets der Kritik von rechts und links – und überstand sogar das freisinnige «Friendly Fire» von Thierry Burkart. Der Aargauer bekleidet im Militär den Rang eines Hauptmanns. In der Politik wandte er bis zur Wahl zum FDP-Präsidenten die Taktik an, auf die eigenen Reihen zu zielen. 2021 forderte er in einem Gastbeitrag in den CH-Media-Zeitungen einen «Übungsabbruch» beim Rahmenabkommen und desavouierte damit sowohl die damalige Parteileitung als auch den eigenen EDA-Vorsteher.

Cassis mag italienische Volkslieder, Burkart inszenierte sich im Hardrock-T-Shirt. Mit der Wucht eines Heavy-Metal-Riffs haben die Wahlen seine FDP im Herbst an die Wand geklatscht. Im Parlament rutschte der Freisinn auf Rang vier zurück. Heute ist Burkart der angeschlagenste Präsident aller Bundesratsparteien. Der zweite FDP-Sitz in der Regierung wackelt auch deshalb, weil er ihn einst selbst mit politischen Manövern sturmreif geschossen hatte.

Trotzdem sind die Chancen intakt, dass Cassis in drei Tagen noch einmal wiedergewählt wird. Gut, wenn der Mittwochmorgen vorbei ist.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?