Das stille Ende der deutschen Willkommenskultur
Bleiben Flüchtlinge jetzt in der Schweiz?

Die Chancen, in Deutschland Asyl zu erhalten, sinken. Dies könnte starken Einfluss auf die Flüchtlingszahlen in der Schweiz haben.
Publiziert: 05.03.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:44 Uhr
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Strenge Kontrollen: Bundespolizisten kontrollieren am Freitag im Achter-Tram von Basel nach Weil am Rhein Passagiere.
Foto: Stefan Bohrer
Roland Gamp

Die Handy-App heisst «Ankommen» und ist Willkommenskultur im Reinformat. Migranten sollen sich mit ihr in Deutschland zurechtfinden. «Wie finde ich Arbeit in Deutschland?» «Wie verdiene ich als Taxifahrer Geld?» Solche und viele weitere Fragen beantwortet das gastfreundliche Handy-Programm in fünf Sprachen. Lanciert wurde es im Auftrag des deutschen Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Nachgang zur Flüchtlingswelle im Herbst 2015. Und «Ankommen» erfreut nach wie vor grosser Beliebtheit. Eben erst hat die Anwendung den Best m-Government Service Award erhalten, wie das BAMF auf seiner Website prominent vermeldet.
 
Doch die App hat nicht nur Fans. Kritiker sehen darin eine Einladung für Migranten, es doch mit einer Reise nach Deutschland zu versuchen. Unser Nachbar im Norden erhielt im letzten Jahr 658'000 Asylgesuche. Das sind zwei Drittel aller Anträge in der gesamten EU.

Angela Merkel tourt durch Nordafrika

Die Krux: Während man nach wie vor Signale der Willkommenskultur in die Welt sendet, hat sich Deutschland von ebendieser Offenheit faktisch längst verabschiedet. «Wir haben allein in den letzten Monaten über zehn Verschärfungen des Asylgesetzes in Deutschland gezählt», sagt Stefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe.

Unter anderem hat der Bundestag den Familiennachzug erschwert, Flüchtlinge erhalten weniger Geld. Derzeit tourt Bundeskanzlerin Angela Merkel (62, CDU) durch Nordafrika, um mit verschiedenen Staaten Verträge abzuschliessen. Am Freitag teilte sie etwa mit, dass abgewiesene Asylsuchende künftig deutlich schneller nach Tunesien zurückgebracht werden.

In diesem Jahr nun stehen in Deutschland Wahlen an. Die rechtspopulistische Alternative für Deutschland (AfD) mischt den Wahlkampf auf. Kanzlerin Merkel will keine Angriffsfläche bieten. Und stattdessen ihr Image als Flüchtlingskanzlerin ablegen.

«Sie hat eine Wende von 180 Grad vollzogen», sagt Günter Burkhardt (59), Geschäftsführer der deutschen Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. «Aus der Willkommenskanzlerin ist eine Regierungschefin geworden, die Abschiebungen zur Chefsache erklärt hat – auf Kosten der Menschenrechte.» Deutschland solle vom Aufnahmeland zum Abschiebeland werden.

Schutzquote in Deutschland sinkt

Am deutlichsten wird diese Entwicklung bei der sogenannten Schutzquote. Sie zeigt, wie viele Menschen in Deutschland entweder Asyl oder zumindest vorläufigen Schutz erhalten. Im September 2016 lag dieser Anteil noch bei 69 Prozent. Seither sinkt die Schutzquote Monat für Monat. Im Januar erhielten nur noch 47 Prozent aller Flüchtlinge Asyl oder zumindest vorläufigen Schutz.

Setzt sich der Trend fort, stehen die Chancen auf einen positiven Asylentscheid in Deutschland schlechter als in der Schweiz. Denn bei uns ist die Schutzquote relativ konstant – im Januar lag sie bei 46 Prozent. Spätestens hier stellt sich die Frage, ob die Schweiz ein Durchgangsland bleibt. Oder ob Flüchtlinge künftig lieber hier bleiben, statt nach Norden weiterzureisen.

Offiziell gibt das Staatssekretariat für Migration (SEM) in Bern Entwarnung. «Diese Möglichkeit ist zumindest in der aktuellen Lage und unter der aktuellen Asylgesetzgebung sehr unwahrscheinlich», sagt Sprecher Lukas Rieder (32). «Die Unterstützung für Personen im Asylbereich ist in Deutschland wesentlich höher als in der Schweiz.» Im Januar prognostizierte das SEM rund 24'500 neue Asylgesuche für 2017. «Diese Vorhersagen sind nach wie vor aktuell», so Rieder.

Gemeinsam die Grenze besser schützen

Allerdings wird nach Informationen von SonntagsBlick in internen Analysen des SEM auch mit anderen Szenarien gerechnet. Falls Deutschland die Grenzen stärker kontrollieren wird und sich für Migranten unattraktiv macht, könnten die Zahlen auf 40'000 Migranten steigen.

Dass die Grenzen künftig besser geschützt werden, ist bereits beschlossene Sache. Im Herbst haben die Schweiz und Deutschland einen gemeinsamen Aktionsplan verabschiedet. Unter anderem sollten die gemeinsamen Einsatzteams an der Grenze verstärkt werden. Gesagt, getan: «Die Personalstärken der Gemeinsamen Operativen Dienstgruppe (GOD) in Basel sowie der Gemeinsamen Einsatzteams (GET) in Kreuzlingen/Konstanz wurden jeweils verdoppelt», sagt ein Sprecher des deutschen Innenministeriums auf Anfrage.

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