Von Thomas Renggli (Interview) und Max Brunnert (Fotos), SI GRUEN
Er ist einer der Stars der europäischen Architekturszene. Er setzt weltweite Massstäbe im Bereich des ökologischen und nachhaltigen Bauens. Der Deutsche Christoph Ingenhoven (60) verschiebt Grenzen. Sein Unternehmen – ingenhoven architects; in Düsseldorf sind 100 Angestellte beschäftigt – wurde vor einem Jahr von der BKW übernommen. Als Geschäftsführer, Chairman und Design Principal bleibt Ingenhoven aber nach wie vor an vorderster Front präsent – und er stösst mit seinen Hochhäusern in neue Dimensionen vor.
Herr Ingenhoven, gibt es eine typisch schweizerische Architektur?
Definitiv. Es gibt herausragende zeitgenössische Schweizer Architekten. Und diese Persönlichkeiten entwickelten sich oft im Verborgenen. Der Mangel an Druck und medialer Aufmerksamkeit erzeugt eine gewisse Ruhe, in der Dinge und Menschen reifen können. Ich denke da beispielsweise an Jacques Herzog und Pierre de Meuron aus Basel – zwei Weltstars der Architektur. Dabei ist Basel kaum der Mittelpunkt der Erde. Oder das Tessin mit Mario Botta. Oder denken Sie an Chur mit Peter Zumthor. Plötzlich treten wahre Genies aufs Parkett.
Die historische Bausubstanz und Architektur ist in der Schweiz noch viel stärker sichtbar als in Ihrer Heimat in Deutschland. Wie wirkt sich dies auf die Architektur aus?
Die Schweiz hat aus diesem Grund ein ungebrochenes Verhältnis zur modernen Architektur. Sie ist im Krieg praktisch nicht zerstört worden. Es gibt zwar einige – ich nenne sie mal – Nachkriegszeit-Zerstörungen. Aber in Deutschland war dies viel gewaltiger. Einerseits war die Kriegszerstörung viel stärker, und andererseits wurde durch das Gefühl, dass man sich von etwas distanzieren und lossagen müsse, noch fünfzig Prozent des Rests abgeräumt. Frei nach dem Motto: War das 19. Jahrhundert nicht so eine Art «prenazistische Ära»? Lasst uns das alles mitabreissen.
Eine moderne, zukunftsweisende Infrastruktur ist Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftlichen Wohlstand. Die BKW plant, baut und betreibt technische Infrastrukturen und unterstützt ihre Kunden bei den Herausforderungen, die sich durch den Klimawandel, die Urbanisierung und die Digitalisierung ergeben.
Eine moderne, zukunftsweisende Infrastruktur ist Voraussetzung für wirtschaftliche Entwicklung und gesellschaftlichen Wohlstand. Die BKW plant, baut und betreibt technische Infrastrukturen und unterstützt ihre Kunden bei den Herausforderungen, die sich durch den Klimawandel, die Urbanisierung und die Digitalisierung ergeben.
Was verbindet Sie sonst mit der Schweiz?
Ich habe eine grosse Affinität zur Schweiz – vor allem zum Bündnerland. Seit über dreissig Jahren bin ich Stammgast im Engadin und baue dort in nächster Zeit für die Familie ein Haus. Ich werde auch in Zukunft einen wichtigen Teil meines Lebens hier verbringen. Mein Bruder lebt einen Teil des Jahres in Soglio im Bergell.
Einige Ihrer bekanntesten Bauwerke sind Hochhäuser. Machen solche gigantischen Gebäude ökologisch Sinn?
Grundsätzlich müsste ich sagen: nein! Schon gar nicht immer und überall. Das wäre völliger Blödsinn. Ein Hochhaus hat immer einen grösseren Aufwand in der Konstruktion, im Bauen, in der Logistik, im Betrieb, im Beheizen, in der Wasserversorgung. Je höher ein Haus ist, desto schwieriger wird es aus ökologischer Sicht, diesen zu rechtfertigen. Aber man darf nicht vergessen, dass es Situationen auf der Erde gibt, in denen die Unterbringung von vielen Menschen ein echtes Problem darstellt. Und wir haben eine immer noch stark wachsende Weltbevölkerung. Wir müssen zurückbuchstabieren und uns anpassen. Trotzdem müssen wir die Menschen mit Lebensraum versorgen. Wir können ja nicht sagen, dass wir die nächste Milliarde Menschen nackt im Wind stehen lassen.
Wenn ich Sie richtig verstehe, ist ein Hochhaus ein effizientes Gebäude …
… das Gute am Hochhaus ist, dass es wenig Fläche braucht – und es hat eine sehr gute Ausnutzung der Infrastruktur. Grundsätzlich würde ich aber sagen, dass man in erster Priorität dicht bauen soll. Das kann dann auch mal hoch bauen bedeuten. Wenn man eine neue Stadt baute, sollte man sie dicht und gemischt bauen. Mit anderen Worten: Die Welt braucht Hochhäuser – und sie braucht viel bessere Hochhäuser.
Wie fliessen diese Gedanken in Ihre neuen Projekte ein – beispielsweise in den Kö-Bogen II in Düsseldorf?
Das ist quasi ein prototypisches Projekt. Das Stadtzentrum ist mehrheitlich in den 1950er- und 60er-Jahren entstanden. Die Ausgangslage war mehr als unglücklich. In Düsseldorf waren Teile der Innenstadt nicht richtig verbunden gewesen, man konnte Strassenräume nicht mehr richtig lesen, die Orientierung fiel schwer. Eine ganze Menge war da schiefgelaufen. Wir mussten beispielsweise eine Hochstrasse abreissen, deren Konzipierung für die Stadt fatal war. Diese Hochstrasse durchschnitt das Zentrum und führte quer durch die Schadowstrasse – wie wenn in Zürich eine Autobahn quer durch die Bahnhofstrasse verlaufen würde. Nach dem Abriss der Strasse erhielten wir zwei grosse Flächen. Eines dieser Areale durften wir bebauen – den Kö-Bogen II. Wir wollten etwas Neues schaffen, das Dreischeibenhochhaus und Schauspielhaus mit der Stadt verbindet.
Und wie verbanden Sie dies mit nachhaltiger, im wahrsten Sinne des Wortes «grüner» Architektur?
Wir schufen eine acht Kilometer lange Hainbuchenhecke mit über 30'000 Pflanzen – 1,5 Meter hoch, 60 Zentimeter tief –, die Fassade und Dach bedeckt. Das Ensemble steht für einen Paradigmenwechsel: aus städtischer Perspektive für die Abkehr vom automobilen Zeitalter, die Hinwendung zum Menschen als Massstab und mit der ausladenden Grünfassade für eine mögliche Antwort der Städte auf den Klimawandel. Der Stadt so viel Grün wie möglich zurückzugeben, war unser Ziel bei diesem Projekt.
Sie liessen sich das Nachhaltigkeitskonzept supergreen patentieren. Welche Vision steckt hinter diesem Projekt?
Wir haben im Lauf der Jahre und Jahrzehnte sehr viel mit Experten, mit Beratern, mit Ingenieuren gesprochen. So haben wir eine Philosophie und Denkweise entwickelt, die radikal in allen Projekten mit den Bereichen ökologische Verantwortlichkeit, Ressourcenschonung und Energieeinsparung umgeht. Dies führt dazu, dass wir von den Auftraggebern auch so wahrgenommen werden, dass wir für diese Qualitäten stehen. In jedem Land orientieren wir uns an den lokalen Standards, in der Schweiz bauen wir nach Minergie-Standard. Das Konzept supergreen spiegelt auch den wachsenden Anspruch der Menschen im Hinblick auf die gesundheitlichen Faktoren ihrer täglichen Umgebung.
Ingenhoven architects gehört seit einem Jahr zu BKW Engineering. Welches sind die grössten Vorteile dieser Übernahme?
Diese Kooperation ist eine grosse Chance. Und wie immer bei grossen Chancen ist es nicht so, dass am Anfang schon alles wahr geworden wäre. Man drückt nicht auf einen Knopf, und alles geschieht automatisch. Am Anfang steht immer eine Idee – und auf der muss man aufbauen, und man muss intensiv miteinander arbeiten. Auf dieser Welt gibt es eine Menge Ingenieure. Die gibt es heute schon, die wird es in Zukunft brauchen, um die angesprochenen Themen zu behandeln und Lösungen zu finden. Die BKW arbeitet schon heute an Lösungen für eine lebenswerte Zukunft in den Bereichen Infrastruktur, Gebäude und Energie.
Haben Sie einen Traum? Was möchten Sie noch bauen?
Es gibt quasi alltägliche Träume: Ich möchte eine grosse Klinik bauen. Und ich möchte einen grossen Flughafen bauen. Als Person Christoph Ingenhoven möchte ich gerne eine Kirche bauen. Ich bin sehr katholisch erzogen worden. Und ich befinde mich noch immer auf der Suche. Und eine Kirche sollte ein Ort sein, wo die Menschen suchen. Ich würde ausserdem gerne eine Brücke bauen. Brücken sind ganz toll – und auch etwas Metaphorisches. Und ich würde gerne einen Kulturbau erstellen: eine Symphonie oder ein Theater.
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