Der Wald, wie wir ihn kennen, ist von Menschenhand geschaffen. Von den schwieligen Händen der Menschen, die vor rund 7000 Jahren begannen, die Welt so zu bauen, wie es ihnen gefiel. Und so den Grundstein für den menschengemachten Klimawandel legten. Diese Vorgänge verraten unsichtbar kleine Spuren: Pollenkörner, die Tausende von Jahren am Grund von kleinen Seen die Geheimnisse der frühen Menschen aufbewahrt haben.
Einer, der diese Spuren verfolgt und liest, ist Fabian Rey, Laborleiter der Geoökologie an der Universität Basel. Er hat es in seiner Doktorarbeit jüngst geschafft, die Datierungsgenauigkeit von solchen Pollenanalysen auf zehn bis zwanzig Jahre herunterzubrechen. Bisher waren sie auf plus minus 40 bis 100 Jahre beschränkt. Wir können den Wandel der Schweizer Landschaft nun also im Zehnjahrestakt verfolgen. Eine Leistung, für die der Biologe mit dem Prix Schläfli ausgezeichnet wurde.
Als die Rotbuche kam
Rey verfolgt in seiner Arbeit minutiös, wie sich die Landschaft im Schweizer Mittelland in den letzten 19'000 Jahren, also seit dem Ende der letzten Eiszeit, verändert hat. Als das Eis sich zurückzog und es wärmer wurde, entstand zuerst eine Steppentundra, die Rentierherden, Bisons und Mammuts durchstreiften. Die Sporen von Pilzen, die von ihrem Kot lebten, verraten die Tiere noch heute.
Bald tauchten in dieser Tundra auch Büsche auf. Aber erst vor 14'700 Jahren bildeten sich die ersten Wälder. Sie waren boreal geprägt, wie heute zum Beispiel die sibirischen Wälder: Schlanke Birken wechselten sich mit Wachholdersträuchern und Föhren ab. Das Klima erwärmte sich weiter und der boreale Wald musste dem Eichenmischwald weichen, der eine bunte Vielfalt an Bäumen enthielt: Eichen, Ulmen, Erlen, Ahorn und Linden streckten sich um die Wette.
Vor 7000 Jahren erst CO2-Emissionen von Menschen
Vor 8200 Jahren dann wurde das Klima in der heutigen Schweiz feuchter und die Arten, die heute in unseren Wäldern vorherrschen, breiteten sich aus: Rotbuchen und Weisstannen. «All dies passierte unabhängig vom Menschen. Der Wandel war klimagetrieben», sagt Fabian Rey.
Und dann fing der Mensch vor rund 7000 Jahren an, Feuer zu legen – und so erste CO2-Emissionen zu verursachen –, den Wald so zu öffnen, Lichtungen zu machen und Getreide und Kräuter anzupflanzen. «Ab da wird der Einfluss des Menschen wichtiger als das Klima, das sich zunehmend stabilisierte», sagt Rey. Der Mensch züchtet neue Arten, schneidet andere zurück. Die Baumvielfalt verarmt.
Zehn Jahre in fünf Millimetern Schlamm
Um diesen Wandel nachzuzeichnen, hat Rey rund 900 Sedimentproben aus zwei bernischen Seen untersucht: dem Moossee und dem Burgäschisee. Diese beiden Gewässer haben die Eigenheit, dass ihre Sedimente über Jahrtausende kaum verändert wurden, weshalb sich helle und dunkle Jahresschichten ähnlich Baumringen bildeten. Zehn Jahre sind in diesen Seen komprimiert auf etwa fünf Millimeter Bodenschlamm. Das ist ein erleichternder Faktor für die Datierung von Pollen, Holzkohlepartikeln und Pilzsporen, die Rey während Stunden unter dem Mikroskop identifizierte und katalogisierte. Pro Probe waren es rund 500 Pollen.
Allein das reichte aber für die Datierung nicht aus. Zusätzlich sammelte Rey grössere Pflanzenreste, deren Alter dann über die C14-Methode bestimmt wurde. C14 ist ein instabiler Kohlenstoff, den die Pflanzen über die Atmosphäre aufnehmen. Stirbt die Pflanze, beginnt das C14 zu zerfallen. Das Tempo dieses Zerfalls, die sogenannte Halbwertszeit, ist bekannt. Man berechnet so, wie viel C14 die Pflanze ursprünglich enthielt. Über Kalibrierungskurven, welche die C14-Konzentrationen in der Atmosphäre in der Vergangenheit angeben, kann dann das Alter der Pflanze sehr genau bestimmt werden.
Hierfür kam Rey zugute, dass er Biologe ist und so Pflanzenreste aussuchen konnte, die sehr aussagekräftig sind: kurzlebige, terrestrische Pflanzen, die schnell wieder sterben. Auch hier sammelte Rey besonders viele solcher Reste: Auf alle hundert Jahre kommt ein datierter Pflanzenrest.
Schweizer Seen bergen Schätze
«Viele Kollegen, vor allem aus den Erdwissenschaften, haben uns gesagt: ‹Eine Genauigkeit von zehn bis zwanzig Jahren schafft ihr nie›», sagt Willy Tinner, Leiter der Abteilung für Paläoökologie der Universität Bern, der die Doktorarbeit von Fabian Rey betreut hat. «Dass wir nun Fehlerquellen so minimieren konnten, das schiebt uns ein ganzes Stück nach vorne. Davon konnten wir vorher nur träumen.»
Eine solche Genauigkeit in der Pollenanalyse ist bisher weltweit kaum erreicht worden. Dass dies nun in der Schweiz gelungen ist, ist kein Zufall: «Die Schweiz ist ein Stammland der Pollenanalyse», sagt Tinner. In Bern wurde die Methode vor 100 Jahren eingeführt und für Forschungen im Land extensiv eingesetzt. Dass Pollenanalyse gerade hier floriert, liegt an den Gewässern: «Die Schweiz ist ein Gletscherland mit vielen Seen. Diese Seen sind für uns wie Tresore.» Rund 1000 Seen gibt es zwischen Bodensee und Alpen, rund 500 davon liegen in der Schweiz. Nicht umsonst gehören viele Orte im Mittelland zum Unesco-Welterbe, denn die Seen haben auch unzählige Pfahlbauten konserviert.
Die Jungsteinzeit ist in der Schweiz deshalb einzigartig gut untersucht. Und die Forschung zeigt: «In der Schweiz gibt es kaum einen Fleck, der nicht vom Menschen beeinflusst wäre», so Tinner. «Auch der gutschweizerische Buchenwald ist eine Folge von Anstrengungen, die vor 7000 bis 5000 Jahren anfingen.» Die Struktur der Wälder wurden damals optimiert, die Artenvielfalt beeinflusst. Der Wald, wie wir ihn kennen, ist ein Produkt der Jungsteinzeit.
Toskana in der Schweiz
Solche Forschungsresultate können uns nicht egal sein. Denn die Paläoökologie erforscht zwar die Vergangenheit, ermöglicht durch ihre Erkenntnisse aber Prognosen für die Zukunft – speziell in der gegenwärtigen Klimaerwärmung. Erreichen wir das Klimaziel, die Erwärmung unter zwei Grad zu halten, nicht, wird sich die Vegetation in der Schweiz gravierend verändern. «Bei einer Erwärmung von drei bis vier Grad würde das Klima subtropisch», sagt Tinner. Lorbeer, immergrüne Eiche und Oliven würden wachsen, Pflanzen, die schon heute im Tessin zu finden sind. Rotbuchen hingegen brauchen viel Regen. Würde es trockener, verschwänden sie. Es sähe im Mittelland also aus wie in der Toskana. Ist das für die Schweizer überhaupt ein Problem?
Einerseits würde so das Artensterben fortgesetzt. Andererseits träfe ein solcher Wandel ganz konkret auch die Bauern: «Die Züchtungen, die wir haben, sind genau an unsere Bedingungen angepasst», sagt Tinner. Ändert sich das Klima, bräuchten wir andere Varietäten unserer Kulturpflanzen. Und mit der Klimaänderung kommen Krankheiten, die wir hier nicht kennen. Zudem würden nicht alle Arten, die am Mittelmeer wachsen, in der subtropischen Schweiz ebenfalls gedeihen. Kurz: Wenn sich die Vegetation in der Schweiz so gravierend verändert, setzt das Prozesse in Gang, die kaum zu steuern sind. Die Natur würde sich ein neues Gleichgewicht suchen. Wie das aber aussehen würde, wissen wir nicht.
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