Online gehts grüner
Rüebli aus der Erde direkt auf den Esstisch

Beim Bauern Gemüse holen, dann beim Bäcker vorbei das Lieblingsbrot einkaufen und noch zum Metzger: Das geht online schneller. Und ökologischer.
Publiziert: 26.02.2020 um 14:01 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2020 um 00:18 Uhr
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Stephan und Agnes Müller von Bioland Agrarprodukte aus Steinmaur liefern Bio-Gemüse und Spezialitäten aus dem Hofladen an Farmy.
Foto: zVg
Barbara Ehrensperger

Noch zwei Minuten, dann ist er da und bringt die Pfälzer-Rüebli von Hof von Agnes und Stephan Müller in Steinmaur ZH. Er, das ist der Lieferant des Onlinehändlers Farmy.ch. Natürlich bringt er noch viele weitere Dinge mit: einen Sirup von der Haltbarmacherei in Zürich, ein Roggensauerbrot von John Baker und ein 500-Gramm-Mocca-Joghurt im Glas von der Sennerei Bachtel aus Wernetshausen ZH.

Pünktlich auf die Minute klingelt er an unserer Tür. Wir nehmen Papiertüten sowie eine Kühltasche entgegen und entdecken die gelben Rüebli gleich. Sie liegen neben dem Nüsslisalat, der in einem dünnen weissen Beutel kommt. Alle frischen Produkte kommen entweder lose oder in dünnen, weissen Säckli verpackt. «Auf diese Säckli sind wir stolz. Denn wir haben nun Beutel, die wirklich in den Kompost dürfen», erklärt Tobias Schubert (37), Mitgründer von Farmy. In Zürich dürfen sie in die grüne Tonne – Farmy hat das mit dem ERZ Entsorgung + Recycling abgesprochen. Die meisten Bio-Beutel würden erst nach mehreren Monaten verrotten, aber diejenigen, die Farmy verwendet, sind in rund zwei Wochen vergärt.

Jeden Morgen wird angeliefert

Wir packen die Rüebli, das Joghurt und frische Brot aus. Und fragen uns, wie das so rasch bei uns in den Kühlschrank und somit auf den Esstisch kommt? «Die Logistik ist die grösste Herausforderung. Wir haben in Lausanne und in Zürich-Altstetten eine Basis, von der aus wir die Kunden beliefern», sagt Roman Hartmann (39), der andere Mitgründer.

Wer bis Mitternacht bestellt, erhält die Waren am nächsten Abend. Das heisst, dass die Wünsche der Kunden nach 24 Uhr bei den Bauern, Bäckern und andern Lieferanten per E-Mail oder direkt im IT-System ausgelöst werden. Diese packen die Sachen am frühen Morgen zusammen. Dann werden sie entweder direkt angeliefert, oder Farmy holt sie auf ausgeklügelten Routen ab. Bis um 10 Uhr sind die Waren in der Basis in Zürich-Altstetten oder Lausanne.

Porsche Cayenne geht nicht

Dort suchen die Pickerinnen und Picker mithilfe einer von Hartmann und Schubert entwickelten Software die Bestellungen zusammen. Und zwar aus dem Tiefkühllager, der Kühlzelle, dem Frische- und Vorratslager. Auch die Räumlichkeiten in Zürich-Altstetten hat Farmy für ihre Bedürfnisse angepasst. Zum Beispiel gibt es eine Ecke, in der die Produkte fotografiert werden. Am aufälligsten ist die grosszügige Küche: Dort kocht unter anderem donnerstags jeweils ein Team für die ganze Belegschaft.

Auch die Rollgestelle im Lager wurden massgeschneidert: Sie passen genau in die auffälligen Elektrofahrzeuge, mit denen Farmy in den Regionen Zürich und Lausanne ausliefert. Im erweiterten Umland der beiden Städte liefern Fahrerinnen und Fahrern, die auf Stundenbasis angestellt sind, mit ihren persönlichen Fahrzeugen aus. «Einmal stand ein neuer Fahrer mit einem Porsche Cayenne hier – wir haben ihm erklärt, dass das für uns nicht geht. Wir versuchen möglichst ökologisch zu sein», erzählt Schubert schmunzelnd.

«Dann kann ich nicht liefern»

Das bedeutet auch, dass nicht jedes Rüebli einzeln zu Farmy gefahren wird. Rund ein Drittel geht über En-Gros-Handel, erklärt Farmy. So zum Beispiel die Sirups und Confiture der Haltbarmacherei von Roman Treichler und Michael Hettinger. «Zu Beginn der Zusammenarbeit mit Farmy haben wir jede Flasche Sirup mit dem Velo vorbeigebracht», erzählt Roman Treichler. Aber mitten in der Produktion gehe das nicht. Zudem: «Wenn mein Kind krank ist und ich zu Hause bleiben muss, dann kann ich nicht liefern», sagt er. Denn Farmy bestellt in der Nacht, und am Vormittag muss geliefert werden – der Zwischenhändler federt dies ab, da er über einen Vorrat von der Haltbarmacherei verfügt.

Rund fünf Prozent des ganzen Umsatzes der Haltbarmacherei kommt von Farmy. Für Treichler ideal: «So bin ich nicht von einem einzigen Grossabnehmer abhängig». Auch Hartmann sieht das als Pluspunkt: «Für viele Produzenten lohnt es sich nicht, einen Onlinehandel selber aufzubauen. Wir bieten ihnen einen neuen Markt, der auch zu Existenzsicherung beitragen kann.»

Farmy stammt quasi aus Russland

Die Gründung von Farmy entstand nicht aus dem Bedürfnis, etwas für die Schweizer Bauern oder die Umwelt zu tun. Sondern weil die beiden E-Commerce-Experten Schubert und Hartmann in Russland entschieden, dass sie ein eigenes Business aufbauen möchten. «Kugelschreiber aus China importieren wollten wir aber nicht, es sollte schon sinnstiftender sein», erzählt Hartmann. Weil beide gerne Kochen sowie frisches Essen schätzen, kamen sie auf die Idee, Frisches vom Bauernhof auf den Esstisch zu bringen.

Nur, wo könnte diese Businessidee erfolgreich umgesetzt werden? «Pro-Kopf-Ausgaben für biologisches Essen, lokale Produzenten und eine gute Infrastruktur», das waren die Hauptkriterien. So kamen sie 2014 von Russland in die Schweiz. Suchten sich einen Lagerraum und Wohnungen.

Grosse Skepsis

Nach rund einem Jahr waren sie quasi pleite. «Wir wollten unsere Geschäftsidee schon verkaufen, da fanden wir zum Glück unseren ersten Investoren, der andere dazu brachte an uns zu glauben», erzählen sie.

Auch mit dem Lieferanten lief es zu Beginn harzig: «Wir sind von Bauernhof zu Bauernhof gereist und haben unsere Idee präsentiert. Wir wurden mit sehr viel Skepsis empfangen», erzählt Hartmann. Und Schubert ergänzt: «Am Anfang wollte niemand mit uns zusammenarbeiten.»

Heute sieht es anders aus. Farmy hat eine Stammkundschaft und möchte zur Wocheneinkaufs-Plattform für alle Schweizerinnen und Schweizer wachsen. Und der Fokus auf Nachhaltigkeit ist grösser denn je. «Wir wollen unseren Kindern in die Augen schauen können», sagen beide Gründer. Ein nächster grosser Schritt sollen wiederverwendbare Transporttaschen sein, die die Papiertüten ersetzten sollen. «Damit es wirklich ökologischer ist, müssen diese einiges aushalten». Sie tüfelten noch herum, freuen sich aber, wenn sie diese im Frühling lancieren können.

100 Transatlantikflüge eingespart

Was sie jetzt schon wissen: Farmy hat letztes Jahr 400 Tonnen CO2 eingespart, wie die Klimaschutzstiftung Myclimate berechnet hat. Das entspricht rund 100 Transatlantikflügen. Geschafft wurde diese Einsparung dank der kurzen Transportstrecken, der Elektrolastwagen-Flotte und vor allem, weil kein Essen weggeworfen wird: «Wir kaufen nur ein, was die Kunden bestellen». Und ja, unsere Rüebli sind gegessen, das Joghurt-Glas ist leer und wird bei der nächsten Bestellung wieder abgeholt. Nichts bleibt übrig.

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