Das Schmalblättrige Weidenröschen aus der «Weeds»-Serie steht in Portland, USA.
Foto: Sara Merz

Revolution mit Farben
Die Tessinerin Mona Caron erobert mit Wandbildern die Welt

Die Schweizer Künstlerin bringt karge Betonwände auf der ganzen Welt zum Blühen. Ihre Wandbilder sind Utopien einer besseren Zukunft.
Publiziert: 31.10.2018 um 08:54 Uhr
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Aktualisiert: 03.04.2019 um 09:01 Uhr
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Mona Caron vor einer Betonienblättrigen Rapunzel. Mit dieser hat sie den Eingang zur Villa Merogusto in Malvaglia TI verschönert.
Foto: Sara Merz
In Kooperation mit BKW

Barbara Halter (Text) und Sara Merz (Fotos), SI GRUEN

Das Wort klingt schon unschön: Unkraut. Unbeliebt und unerwünscht ist es, das Kraut, das überall wächst, wo es nicht soll. Der tüchtige Gärtner versucht, ihm mit ­Hacke, Gift und Gewalt beizukommen. Die Schweizer Künstlerin Mona Caron tut genau das Gegenteil: Sie verneigt sich vor dem Unkraut und bringt es gross raus. Ihre «Weeds» sind starke, überdimensionale Schönheiten. Mit Pinsel, Acrylfarbe und unendlich viel Sorgfalt malt sie diese auf riesige Betonwände.

Wir treffen die Künstlerin in ihrer Heimat, dem Tessin. Sie begrüsst uns vor der Casa Merogusto, gleich neben einem ihrer ­Werke: einer riesigen Rapunzel, die neben der Treppe aus der Wand spriesst und im oberen Stock blau blüht. Mona Caron spricht Deutsch mit leichtem Akzent, im Gespräch sucht sie ab und zu nach Worten. Italienisch fällt ihr leichter – und Englisch sowieso. Seit über zwanzig Jahren lebt sie in San Francisco und kommt meist nur im Sommer zu Besuch in die Schweiz. Die Casa Merogusto in Malvaglia gehört ihrer älteren Schwester, der bekannten Natur­köchin Meret Bissegger. In der Villa führt Bissegger ein Bed and Breakfast, lädt am Wochenende zu Tischrunden mit saisonaler Küche und gibt Wildpflanzen-Kochkurse. Die Liebe zur Natur und zu ihrer Vielfalt ist bei den Schwestern gleichermassen ausgeprägt. «Im Kern machen wir das Gleiche», sagt Mona Caron. «Wir sind beide auf unsere Art Aktivistinnen.»

Mona Carons Arbeitsplätze sind laut und dreckig

Ein weiteres, noch unfertiges Wandbild findet sich am Garagentor. Zum Arrangement aus Kürbis, Krautstiel und Auber­gine fehlen noch Wildkräuter – diesen Sommer soll das Werk endlich abgeschlossen werden. Es ist vor allem in Sepia-Tönen ge­­halten, eine untypische Farbwahl für die Künstlerin, doch die Schweizer Vorschriften lassen an diesem Ort keine bunten Explosionen zu. Noch ungewöhnlicher ist ­allerdings der Arbeitsplatz hier im Tessin. Es ist grün, Vögel zwitschern, und bei einem Espresso im idyllischen Bio-Garten fühlt man sich schon fast wie im Urlaub.

Normalerweise steht sie nämlich mit Klettergurt und abgesichert auf einem Gerüst, malt zwanzig, dreissig Meter über dem Boden. Es ist laut, sie hat mit Abgasen und Smog zu kämpfen oder kann nur in der Dämmerung arbeiten, weil die Hitze sonst unerträglich wäre. Viele ihrer Wandmalereien stehen in Grossstädten wie San Francisco, Kaohsiung (Taiwan), Cochabamba (Bolivien) oder Quito (Ecuador). Mitten in Strassenschluchten und zwischen unwirtlichen Betonwüsten, wo blühende Pflanzen nicht existieren. Auf den ersten Blick jedenfalls. Doch die Natur ist zäh. Die meisten «Weeds» findet Mona Caron ganz in der Nähe ihrer Wände. «Man muss nur genau hinschauen», sagt sie. «Beton und Zement sind nicht so endgültig, wie man denkt. Ein kleiner Spalt, ein Samen – und es wächst etwas.»

Die Schönheit der verschmähten Pflanzen

Mit ihrer Arbeit lenkt Mona Caron die Aufmerksamkeit des Betrachters aufs ­Verschmähte. Wie schön Löwenzahn oder eine Brennnessel-Pflanze doch sind! Bloss dekorative Wände herstellen will die Künstlerin nicht. Und botanisch korrekt abgebildet sind die Pflanzen ebenfalls nicht. «Ich will vor allem ihre Power ­zeigen, sie müssen die richtige Attitude ­haben!» Die Schönheit der «Weeds» dient ihr als Blickfang. Auf ihrem Wandbild in Taiwan beispielsweise entdeckt man unter einer riesigen Echinacea-Pflanze winzige Menschen, die sich in einer tristen, von der Industrialisierung verwüsteten Welt gruppieren. Die Pflanzen hingegen streben ­einer lichten, hellen Welt entgegen. Am Himmel fliegt ein blauer Schmetterling.

Jedes ihrer Werke ist auch immer eine ­Utopie. «Als Künstlerin drücke ich meine Wünsche aus. Wie unsere Welt besser sein könnte, wenn wir Menschen zusammenkommen würden und aus dem Kleinen heraus die Dinge selber ändern. Nicht plötzlich, sondern durch eine sanfte Revolution. Das ist meine Botschaft.»

Eine tolerante, vibrierende, offene Welt entdeckte Mona Caron, als sie mit 19 Jahren nach San Francisco kam, um Englisch zu lernen. «Die Stadt war wie ein leben­diger Regenwald mit tausend verschie­denen Arten.» Bisher hatte sie in Intragna gelebt. Ein Dörfchen neben Verscio, in dem Dimitri seine Theaterschule gründete – der Clown war Monas Götti. Auch ihre Eltern hatten kreative Berufe, der Vater ­arbeitete als Bühnenbildner. «Aber ein Künstlerdörfchen war Intragna nicht, es war vielmehr streng katholisch.»

Über vierzig Meter hoch und vierzehn Meter breit ist die Fassade in Taiwan. Höhenangst kennt die Künstlerin nicht, «aber ich muss mich oft durchsetzen, damit die Sicherheitsnormen auch wirklich eingehalten werden».
Foto: Sara Merz

Wandbilder bringen Menschen zusammen

Nach ihrem ersten Aufenthalt in den Staaten begann Mona in Zürich ein Literaturstu­dium. Ein Jahr hielt sie durch, dann reiste sie wieder nach San Francisco – und blieb. Sie heiratete einen Amerikaner, entdeckte per Zufall eine Kunstakademie, an der sie dann Illustration studierte. «Ich erzähle gern Geschichten, daher mein ­Interesse an der Literatur. In San Francisco habe ich gemerkt, dass man dies auch mit Bildern machen kann.» Ihr erstes Wandbild ergab sich durch einen weiteren Zufall, noch während ihrer Ausbildung wurde sie dafür angefragt, obwohl sie noch nie ­etwas Vergleichbares gemacht hatte. Es veränderte alles. «Es gibt wie ein Vorher und ein Nachher», erinnert sie sich. Sie sei eine Perfektio­nistin gewesen, scheu und habe winzige Zeichnungen gemacht. Das alles musste sie komplett ablegen. «Wenn du an einer Wand stehst und malst, bist du wie nackt. Die Metro fährt vorbei, Tausende Menschen schauen dir beim Arbeiten zu.»

Wie befürchtet, lief beim ersten Bild vieles schief. Sie hatte keine Ahnung, wie man ein Werk von diesen Dimensionen angeht. «Ich machte Fehler, doch sie waren nicht schlimm, denn am Ende kam alles gut ­heraus.» Und es passierte noch mehr. Anwohner kamen auf Mona zu, aus den Gesprächen entstanden neue Ideen. Und die Leute sprachen nicht nur mit ihr, sondern auch miteinander. Das Bild brachte die Menschen in einem Quartier zusammen. «Nach diesem Erlebnis konnte ich fast nicht mehr alleine in einem Zimmer sitzen und für mich zeichnen.»

«Murals» von San Francisco bis Quito

Aufträge erhält Mona Caron oft von Nachbarschaften, die über Fonds öffentliche Gel­der erhalten, um ihr Quartier zu verschönern. In San Francisco haben «Murals», Wandbilder, einen wichtigeren Stellenwert als bei uns. Sie sind weitverbreitet und prägen das Gesicht der Stadt. Auch aus Protestbewegungen heraus entstehen «Murals». An der Pariser Klimakonferenz 2015 lernte sie bei Demonstrationen indigene Frauen aus dem Amazonasgebiet und den Anden kennen, deren traditioneller ­Lebensstil von Erdöl- und Saatgutfirmen bedroht wird. In Ecuadors Hauptstadt ­Quito entstand drei Jahre später zusammen mit dem einheimischen Künstler Raúl Ayala ein fünfzig Meter hohes Gemeinschaftswerk, das die Geschichte dieser Frauen und ihrer Familien wiedergibt.

Zurzeit beschäftigt Mona Caron die Situation in ihrer Wahlheimat: «Ihr» buntes San Francisco wurde in den letzten Jahren immer einheitlicher und teurer. Die Menschen, die sich einst für die Aufwertung der Quartiere einsetzten, können sich ­heute das Leben in der Stadt nicht mehr leisten. Hinzu kommt die politische Lage in den USA. «Wir befinden uns auf einem Tiefpunkt», sagt sie. In Pessimismus verfällt sie jedoch nicht. «Als Künstlerin ist  es meine Aufgabe, zu inspirieren, durch­zuhalten und immer wieder zu zeigen, wie wir eine schönere Realität schaffen können.»

Vielleicht wächst gerade aus dem Desaster etwas Gutes, so wie das Mona Caron in ­ihren Utopien zeigt. Wenn eine Regierung nichts tut, müssen die Menschen die Dinge selber ändern, sich im Kleinen organisieren und die Ritze im Beton suchen.

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