Moya Kala heisst die nachhaltige Unterwäsche-Line von Claudine Tanner (32), die sie in Sarnen OW entwirft. «Produziert werden die Sachen aber in Bulgarien», erklärt sie. «Moya Kala» ist der Name der Calla-Blume auf bulgarisch. Diese wurde früher als Trauerblume genutzt und heute findet man sie mehr und mehr auf Hochzeiten.
Genau einen solchen Wandel wünscht sich Tanner für die Textilindustrie. Von Verschmutzern hin zu einer Branche, die sich um die Umwelt kümmert.
Menschenunwürdige Bedingungen
Die Modeindustrie ist einer der grössten Umweltverschmutzer. Pestizide und Chemikalien, hoher Wasserverbrauch und weite Transportwege sorgen für eine schlechte Umweltbilanz. Rund 60 bis 75 Millionen Menschen arbeiten laut der Nichtregierungsorganisation «Public Eye» in der Bekleidungs- und Textilindustrie, die Mehrheit von ihnen sind Frauen. Die Löhne betragen meist nur einen Bruchteil eines Existenzlohns, die Arbeitsbedingungen sind oft gefährlich und menschenunwürdig.
Und genau darum ging es Claudine Tanner: Sie wollte in Bulgarien Frauen ein richtiges Einkommen sichern – und für sich selbst einen BH schaffen, der ihr passt und gefällt. Da sie sich privat mit dem Thema Menschenhandel und Prostitution auseinandergesetzt hatte, war für sie rasch klar, dass sie in Bulgarien produzieren möchte. So fand sie über den Kollegen eines Maklers den familiären Nähbetrieb in Varna. Ein Glücksfall. Einerseits weil sie dort qualifizierte Näherinnen vorfand, andererseits weil Varna «ein Hotspot für Menschenhandel ist», wie sie erklärt.
Unterwäsche aus der Schweiz
Als Textilwirtschafterin hat sie sich vor drei Jahre das Ziel gesetzt eine nachhaltige Unterwäsche-Linie zu erschaffen. Sie hat sich mit freiberuflichen Jung-Designerinnen in der Schweiz zusammen gesetzt und gepröbelt.
Seit einem halben Jahr sind nun die ersten zwei Kollektionen auf dem Markt. Dreizehn Teile: BHs, Unterhosen und Lounge-Teile. Und eine Limited-Edition, die in Willisau (LU) produziert wird. «Wenige Kundinnen sind bereit mehr zu bezahlen, nur weil es in der Schweiz hergestellt wird», erzählt Tanner. Sie konnte dank guter Kalkulation die Preise gleich halten wie bei der Produktion in Bulgarien.
Aus Baumwoll-Abfall
Viele Teile der Kollektion sind aus dem Material Cupro, einer biologisch abbaubaren Textilfaser. «Die Faser wird aus den kurzen Baumwollsamenfasern hergestellt, die nicht zu Baumwollgarn verarbeitet werden können und deshalb im Abfall landen würden», erklärt Tanner. Ein japanisches Unternehmen habe ein Verfahren entwickelt, um umweltfreundlich aus dem Abfallprodukt eine viskoseähnliche Strickware herzustellen. «Der Stoff wird oft vegane Seide genannt, weil er sich seidig und dennoch warm anfühlt», sagt Tanner. Und weil es eben ein neues Material ist, kann man sich die Unterwäsche in ausgewählten Läden ansehen, befühlen und anprobieren.
Nun plant sie neue Stücke aus Tencel. Dieser Stoff wird aus Holzfasern gewonnen und die Produktion gilt als besonders umweltschonend. «Baumwolle, auch Bio-Baumwolle, benötigt in der Herstellung aktuell viel Wasser», daher verzichtet Tanner auf dieses Material.
Stoffresten wiederverwerten
Auf ihrer Webseite ist bei jedem Kleidungsstück genau ausgewiesen, aus welchem Material es produziert ist und woher es stammt. Das meiste stammt aus dem Abfall der Textilindustrie: Einerseits Schnittabfall, den sie wiederverwendet, andererseits verwendet sie Stoffe, die aus wiedereingeschmolzenen synthetischen Faser bestehen. So bekommt eingeschmolzener Stoffmüll ein zweites Leben.
Ist das nicht giftig? «Ja teils schon, dies kann in der Branche fast nicht verhindert werden sobald man mit synthetischen Materialien arbeitet. Unsere Materialien sind jedoch alle Oekotex-zertifiziert und schaden dem Körper nicht. Grundsätzlich sind aber die Veredelung der Stoffe und das Färben die grössten Probleme der Textilindustrie», sagt sie. Noch sei das Färben mit Naturmaterialien schwierig. Daher habe es an jeder Faser Chemie.
Startup-Gründerin und Mutter
«Es ist ein Herzensprojekt», stellt Tanner klar. Sie bezahlt sich selbst kaum Lohn und könnte von dem Geld nicht leben. Aber sie kann eine Angestellte mit einem 60-Prozent-Pensum bezahlen. So kann sie gleichzeitig die Firma aufbauen und ihre zweijährige Tochter betreuen. «Während den klassischen Bürozeiten arbeite ich ein 50-Prozent-Pensum. Wenn meine Tochter schläft und am Wochenende kommen nochmals gut 30 Prozent dazu», erklärt sie ihre Arbeitseinteilung. Und ihr Partner unterstützt sie voll und ganz – und eben auch finanziell.
«Oh ja, als Frau hat man es schwerer, gerade in der Textilbranche. Ich musste eine Haltung einnehmen, die ich sonst nicht habe: Sehr von mir und meiner Sache überzeugt hinstehen», erzählt Tanner. Und ja, sicher hätte sie die Firma schneller aufgebaut, wäre sie nicht Mutter geworden. Aber dafür legt sie nun richtig los mit grossen Plänen.
Grosse Pläne
Dieses Jahr möchte sie den Vertrieb aufbauen, am liebsten europaweit. Ihr Ziel ist, dass Moya Kala eine bekannte Marke wird und sie im grossen Stil in Bulgarien und gerne auch in der Schweiz produzieren kann. Ihr Plan: Bei grossen Warenhäusern ins Sortiment reinzukommen. «Die Unterwäsche muss man anschauen, befühlen und probieren können».
Was sie nicht möchte, weiss sie auch: Nicht dauernd neue Kollektionen entwerfen, damit die Kundinnen mehr kaufen. Tanner möchte Basic-Stücke herstellen, in neutralen Farben wie schwarz, weiss und nude, an denen ihre Kundinnen lange Freude haben. Und diese auch noch Jahre später wieder kaufen können: «Es soll ja nicht noch mehr Stoff verschwendet werden durch kurzes Tragen und viele Neuanschaffungen».
Bei einem Online-Händler ein Kleid bestellen, es an der Party tragen und dann zurückschicken? Nein, das ist nicht wirklich erlaubt – und vor allem nicht nachhaltig, da Retouren bei Onlinehändlern oft im Abfall landen. Wer trotzdem ein schickes Kleid mieten möchte, kann das bei Ragfair, dem Start-up von Natalia Pinskaya (35) und Lena Romanovska (38), tun.
Bei einem Online-Händler ein Kleid bestellen, es an der Party tragen und dann zurückschicken? Nein, das ist nicht wirklich erlaubt – und vor allem nicht nachhaltig, da Retouren bei Onlinehändlern oft im Abfall landen. Wer trotzdem ein schickes Kleid mieten möchte, kann das bei Ragfair, dem Start-up von Natalia Pinskaya (35) und Lena Romanovska (38), tun.