Psychologin Ronia Schiftan gibt Tipps für harmonisches Weihnachten
«Will der Sohn vegetarisch essen, kann das Verlustangst auslösen»

Vegan, glutenfrei oder ohne Alkohol – ein Weihnachtsessen mit unterschiedlichen Ernährungsweisen kann Familien entzweien. Ernährungspsychologin Ronia Schiftan (36) gibt Tipps, wie das Weihnachtsessen trotzdem harmonisch wird.
Publiziert: 20.12.2023 um 14:03 Uhr
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Aktualisiert: 21.12.2023 um 13:51 Uhr
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Für die Umwelt auf Fleisch oder andere tierische Produkte verzichten – das kann beim Weihnachtsessen zu Konflikten führen.
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Vanessa SadeckyRedaktorin Green Circle

Für die Umwelt auf Fleisch oder andere tierische Produkte verzichten – das kann beim Weihnachtsessen zu Konflikten führen. Ernährungs- und Medienpsychologin Ronia Schiftan spricht im Interview darüber, wie man solche Situationen entschärfen kann.

Blick: Frau Schiftan, wieso streiten Familien um das Essen am Weihnachtsabend?
Ronia Schiftan: Ein Festtagsessen soll für viele Familien speziell sein, das Highlight des Jahres, der Abend, an dem die Kernfamilie vielleicht das einzige Mal vollzählig versammelt ist. Diese hohe Erwartung führt oft zu Spannungen und Stress. Es treffen verschiedene Generationen mit verschiedenen Werten, Identitäten und Gesundheitszuständen aufeinander. Wenn der Sohn zum Beispiel sagt, dass er an Weihnachten vegetarisch oder vegan essen möchte, kann das bei den Eltern und Grosseltern soziale Ängste auslösen. Die Angst, dass der Sohn jetzt nicht mehr richtig zur Familie gehört, dass die Familie zerfällt. Das ist eine existenzielle Angst. So kann es dann leicht zu Streit kommen.

Wie kann man mit Sprüchen wie «Du isst meinem Essen das Essen weg» umgehen, damit es nicht zum Streit kommt?
Man fragt sich, worum geht es dem Sprücheklopfer gerade wirklich? Manchmal will eine Person einfach in Kontakt treten und versucht das, indem sie Reibung erzeugt. Vielleicht sagt man so etwas wie: Ich sehe, du willst über meine Ernährung diskutieren, ich möchte das heute nicht. Ich finde es aber schön, dich zu sehen und mit dir Zeit zu verbringen.

Was passiert aus psychologischer Sicht Positives, wenn die Familie an Weihnachten dasselbe isst?
Das gemeinsame Raclette, Fondue chinoise oder Filet im Teig wird auch emotional geteilt. Es ist ein bekanntes Ritual, das der Gruppe Halt, Orientierung, Sicherheit und Kontrolle gibt. Es ist aber wichtig, zu wissen: Das sehnsüchtig erwartete Gefühl von Zusammenhalt kann auch erzeugt werden, wenn nicht alle das Gleiche essen.

Wie kann das Gefühl von Zusammenhalt erzeugt werden, wenn nicht alle das Gleiche essen?
Die Familie kann sich fragen, was verbindet uns? Woran haben alle Freude? Ist es das gemeinsame Spielen eines Brettspiels, die Geschenke? Das Teilen von alten Familiengeschichten? Der Spass, mit einer Fonduegabel zu essen? Das kann man auch haben, wenn es zwei verschiedene Fonduetöpfe gibt.

Um Konflikte um das Weihnachtsessen beiseitezuschieben, hört man von der älteren Generation oft den Standardspruch: «Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt.» Was steckt da dahinter?
Jede Esskultur hat einen historischen Kontext und zeigt gesellschaftliche Entwicklungen. Der Spruch spiegelt die Realität einer Generation, die Lebensmittelknappheit erlebt hat, wie im Krieg. Der Spruch war damals wichtig, weil es nur das gab, was aufgetischt war. Das Vorhandene zu essen, war eine Frage des Überlebens.

Heute ist Lebensmittelknappheit in den meisten Familien kein Problem mehr. Wieso ist der Spruch nicht ausgestorben?
Die Einstellung von Menschen zum Essen wird in der Kindheit sehr früh und auch unbewusst geformt. Die Einstellung zum Essen zu ändern, ist schwierig, gerade mit zunehmendem Alter. Aber es ist möglich.

Was gibt es heute für Herausforderungen bei der Esskultur?
Wir müssen nicht mehr mit Knappheit zu Schlag kommen, sondern mit Überfluss. Wir müssen lernen, auf den Körper zu hören, wenn er Bedürfnisse zeigt. Essen ist ein wunderschöner Kulturträger. Wichtig ist aber, dass wir nicht Grabenkämpfe darüber führen, sondern uns gemeinsam mit Respekt, Genuss und Freude am Tisch begegnen.

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