Schweizer wenig empathisch?
«Als Lehrerin erlebe ich, wie gewaltsam die Kommunikation ist»

Empathie kann man lernen und sie hilft Konflikte zu bewältigen. Die Organisation «Empathie Stadt» will mit Workshops dafür sensibilisieren und die Schweizer etwas empathischer machen. Blick besuchte einen Workshop.
Publiziert: 17.10.2024 um 18:17 Uhr
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Aktualisiert: 18.10.2024 um 10:30 Uhr
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Tanja Walliser gründete im Jahr 2020 die Organisation «Empathie Stadt». Im Bild (v.l.): Vinh Tran, Sami Felber, Livio Lunin, Tanja Walliser und Veronika Marbacher.
Foto: Empathie Stadt

Auf einen Blick

  • Empathie-Workshops fördern gewaltfreie Kommunikation
  • Teilnehmer lernen, sechs Minuten zuzuhören, ohne zu unterbrechen
  • Empathie Stadt von Tanja Walliser und Sonja Wolfensberger gegründet
  • Workshops in Zürich, Winterthur, Zug, Aarau und Biel
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Dennis BaumannRedaktor Gesellschaft

Wann haben Sie das letzte Mal jemandem sechs Minuten lang zugehört, ohne dazwischenzureden? Oder wann hat Ihnen jemand so lange zugehört, ohne Sie zu unterbrechen? Was im Alltag kaum vorkommt, lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Empathie-Workshops der Organisation «Empathie Stadt».

Im «Haus pour Bienne» in Biel sitzen sie in Zweiergruppen für diese Übung zusammen. Eine Teilnehmerin erzählt, warum sie hier ist: «Ich bin bald 40 und denke an einen Jobwechsel. Als Lehrerin erlebe ich, wie gewaltsam die Kommunikation ist. Also bin ich hier, um zu sehen, dass es auch anders geht.»

Für eine empathische Gesellschaft

«Empathie Stadt» verfolgt das Konzept der «Gewaltfreien Kommunikation». Die Methode wurde vom US-amerikanischen Psychologen Marshall Rosenberg entwickelt. Ziel: Das zwischenmenschliche Miteinander verbessern und die eigenen Gefühle und Bedürfnisse auszudrücken, ohne den anderen anzugreifen. Empathie ist die Grundlage dafür.

«Die Kapazität, empathisch aufeinander einzugehen, ist unter Druck, aber sie ist notwendig, damit wir nicht aneinander vorbeireden», sagt Tanja Walliser (38), Co-Gründerin von «Empathie Stadt». Walliser war Gewerkschaftssekretärin und Parlamentarierin. Sie hatte ein Burnout und reflektierte, wie es dazu kam: «Unsere Kultur ist vom Leistungsdruck geprägt. Ich habe versucht, mich für eine schönere Welt einzusetzen, aber vieles reproduziert, gegen das ich eigentlich kämpfte.» 2020 hat sie mit einer Kollegin «Empathie Stadt» in Zürich gegründet, seit Oktober finden die Workshops auch in Winterthur, Zug, Aarau und Biel statt.

Bezahlen, so viel man möchte

Die Stiftung Mercator, die sich für eine zukunftsfähige Demokratie einsetzt, unterstützt die Organisation mit einem Beitrag von 250'000 Franken über drei Jahre. «Basierend auf aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen ist Empathiefähigkeit eine Voraussetzung für eine konstruktive Diskussionskultur», sagt Flurina Wäspi, Themenverantwortliche Demokratie bei der Stiftung Mercator.

Daher verfolgt «Empathie Stadt» die sogenannte Schenkökonomie. Die Teilnehmenden bezahlen für die Workshops so viel, wie sie möchten. «Wir wollen niemanden ausschliessen. Auch, wenn jemand nichts bezahlt», sagt Walliser.

Hinter den Konflikt blicken

Zurück im Workshop in Biel: «Du bist schon wieder zu spät!», solche Vorwürfe hat jeder einmal gehört. Dahinter steckt mehr, erklärt Workshop-Coach Samuel Spieser (33): «Bei der gewaltfreien Kommunikation will man herausfinden, was sich hinter einem Konflikt verbirgt. Meistens sind es innere Bedürfnisse, die nicht befriedigt werden.»

Statt sein Gegenüber anzugreifen, solle man zuerst reflektieren, was einen wirklich stört. Es geht also wahrscheinlich gar nicht um die Verspätung, sondern vielleicht um mangelnden Respekt. Das müsse man sagen, um verstanden zu werden, erklärt er weiter.

Gleichzeitig müsse man sich in den anderen hineinversetzen und Empathie zeigen. Gewaltfreie Kommunikation wäre dann: «Ich kann meinen Zeitplan nicht einhalten, wenn du zu spät kommst. Ist alles ok?»

Die Teilnehmenden erzählen von ähnlichen Konflikten und ergründen, was dahinter steckt. Meist sind es Grundbedürfnisse wie Vertrauen, Freiheit oder gehört und gesehen werden, die verletzt wurden.

Machen solche Übungen nun eine Gesellschaft empathischer? Tanja Walliser ist sich des Idealismus bewusst, sagt aber: «Das Streben nach Wandel setzt immer auf allen Ebenen an – der individuellen, der zwischenmenschlichen und der gesellschaftlichen. Das vermitteln wir auch in unseren Kursen.»

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