Frau Roten, Sie wollen Frauen zwingen, für den Staat zu arbeiten.
Noémie Roten: (Lacht) Das haben Sie jetzt etwas überspitzt formuliert. Wir wollen, dass jeder junge Mensch einen zeitgemässen Einsatz zugunsten von Gesellschaft und Umwelt leistet. Egal, ob in Militär, Zivilschutz oder Zivildienst.
Aber die grösste Veränderung durch Ihre Initiative würde die Frauen treffen. Das, obwohl sie bereits heute viel mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer leisten.
Ja, Frauen leisten nach wie vor den Löwenanteil an nicht ausreichend anerkanntem zivilgesellschaftlichem Engagement. Oft absolvieren sie in jungen Jahren unbezahlte Praktika in sozialen Institutionen. Die genau gleiche Arbeit entlohnt man im Zivildienst mit dem Erwerbsersatz und zusätzlichen Entschädigungen. Das ist eine Form der Diskriminierung. Mit dem Service Citoyen wollen wir dort Chancengleichheit schaffen und sicherstellen, dass junge Frauen die Möglichkeit haben, einen anerkannten und bezahlten Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Könnten diese Frauen nicht schon heute freiwillig in den Zivildienst gehen?
Die Hürden dazu sind gross. Als Frau muss man sich zuerst freiwillig für den Militärdienst melden, als tauglich erklärt werden und dann den Tatbeweis leisten, dass man einen Gewissenskonflikt mit der Armee hat, um in den Zivildienst zu wechseln. Das ist etwas schizophren. Deshalb ist es nicht gerade verwunderlich, dass aktuell nur 16 Frauen im Zivildienst aktiv sind.
Gemäss Initiativtext könnten auch Personen ohne Schweizer Bürgerrecht zum Milizdienst verpflichtet werden.
Ja, das wäre wichtig für den Zusammenhalt. Durch gemeinsames Engagement erhält man ja einen stärkeren Bezug zum Land.
Sprechen wir über die Armee: Ihre Initiative würde die Wehrpflicht stärken, ein Modell, das seit dem Ende des Kalten Kriegs von immer mehr Staaten abgeschafft wird.
Wir haben eine völlig andere Kultur als diese Länder. Es gehört zur Schweiz, dass man als Bürgerin und Bürger für die Sicherheit des Landes mitverantwortlich ist. Zudem sind Berufsarmeen gefährlich. Sie können sich von Staat und Volk entkoppeln und sich selbständig machen. Eine Milizarmee kann nie gegen das Volk eingesetzt werden, denn das Volk ist die Armee.
Jede Person soll einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit leisten. Das fordert der Verein zur Förderung des Milizengagements mit seiner Service-Citoyen-Initiative. Bisher waren lediglich die Schweizer Männer zu einem Militär- oder Ersatzdienst verpflichtet. Die Initiative könnte dafür sorgen, dass Frauen und Personen ohne Bürgerrecht bald auch einrücken müssen – mit Uniform oder ohne. Insgesamt würde sich die Zahl der Dienstpflichtigen mindestens verdoppeln. So will man auf die Krisen der Zukunft vorbereitet sein und gleichzeitig für soziale Durchmischung sorgen. Unter den Initianten sind Mitglieder aller grossen Schweizer Parteien, von der SVP bis zur SP.
Jede Person soll einen Dienst zugunsten der Allgemeinheit leisten. Das fordert der Verein zur Förderung des Milizengagements mit seiner Service-Citoyen-Initiative. Bisher waren lediglich die Schweizer Männer zu einem Militär- oder Ersatzdienst verpflichtet. Die Initiative könnte dafür sorgen, dass Frauen und Personen ohne Bürgerrecht bald auch einrücken müssen – mit Uniform oder ohne. Insgesamt würde sich die Zahl der Dienstpflichtigen mindestens verdoppeln. So will man auf die Krisen der Zukunft vorbereitet sein und gleichzeitig für soziale Durchmischung sorgen. Unter den Initianten sind Mitglieder aller grossen Schweizer Parteien, von der SVP bis zur SP.
Helfen die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, mehr Unterstützung für Ihre Initiative zu bekommen?
Je sicht- und spürbarer Gefahren sind, desto mehr sieht man den Sinn in der Versicherung dafür. Und das ist der Service Citoyen ja eigentlich: eine Versicherung für den Katastrophenfall.
Rekrutierungsprobleme zeigen, dass man viele junge Menschen nicht mehr für die Armee begeistern kann. Braucht das Schweizer Militär ein neues Image?
Es denken keinesfalls alle jungen Menschen so. Aber ich hoffe, dass der Service Citoyen einen Beitrag zur Modernisierung des Milizsystems leisten kann.
Sie haben selbst Militärdienst geleistet, obwohl Sie nicht mussten. Warum?
Einerseits dachte ich mir: Wenn junge Männer das machen müssen, dann sollte ich es auch tun. Das Militär war aber auch eine Herausforderung, der ich mich stellen wollte, denn ich mag keine Hierarchien und hasse es, wenn ich stumpfsinnig Befehlen folgen muss. Es war gut für mich, mal durchzubeissen und nicht immer alles zu verstehen.
Was war Ihre Funktion?
Ich war Motorfahrerin. Und jetzt bin ich Militärrichterin.
Was haben Sie gelernt?
Ich lernte Menschen und Regionalkulturen kennen und klar: Lastwagen fahren.
Gab es etwas, was für Sie als Frau besonders schwierig war?
Als Frau darf man sich nie beklagen. Sonst heisst es sofort: «Du bist ja freiwillig da.»
Was wünschen Sie den jungen Frauen der Zukunft, die möglicherweise in die Armee müssen?
Dass sie andere Realitäten kennenlernen. Es ist gut, wenn eine Studentin mal einen Mechaniker trifft, und umgekehrt. Die Durchmischung der Gesellschaft und die gemeinsamen Erlebnisse sind extrem wertvoll.
Spielt Patriotismus eine grosse Rolle beim Bürgerdienst?
Das ist sehr individuell. Bei mir persönlich ging es weniger um den Nationalstolz und mehr um den Sinn für eine Gemeinschaft, zu der jeder beiträgt. Aber der Service Citoyen gründet auf dem Milizgedanken – und der ist letztlich Schweizer Tradition.
Der Bestand für den Zivilschutz soll laut Initiativtext – genau wie der des Militärs – weiterhin garantiert werden. Der Comedian Viktor Giacobbo war Zivilschützer und witzelte immer, wie er dort nur Kaffee getrunken und Nussgipfel gegessen hatte. Braucht es Reformen beim Zivilschutz?
Ja klar. Der Zivilschutz erfüllt lebensrettende Aufgaben: Er schützt die Bevölkerung im Falle eines Kriegs oder einer Katastrophe. Er wird aber oft abgestempelt als «Dienst der Untauglichen», das schadet seinem Image.
Seit 1996 ist das Zivildienstgesetz in Kraft, vorher mussten Männer, die keinen Militärdienst leisten wollten, ins Gefängnis. Ist der Zivildienst eine Bereicherung für die Schweiz?
Ja, definitiv. Damals zeigte man: Nicht nur die Landesverteidigung ist wichtig für das Gemeinwohl.
Noémie Roten (34) wuchs in Genf auf und besuchte dort das Gymnasium. Ihr Zwischenjahr verbrachte sie unter anderem als Lastwagenfahrerin in der Armee. In St. Gallen studierte sie Volkswirtschaftslehre und machte ihren Master in Philosophie und Staatstätigkeit in London. Parallel arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im britischen Parlament. Zurück in der Schweiz kam sie zur Denkfabrik Avenir Suisse, wo sie das Dossier Bürgerengagement übernahm. Nun ist sie hauptberuflich als Kampagnenleiterin der Service-Citoyen-Initiative tätig, bis jetzt unbezahlt. Sie lebt mit ihrem Partner in Zürich.
Noémie Roten (34) wuchs in Genf auf und besuchte dort das Gymnasium. Ihr Zwischenjahr verbrachte sie unter anderem als Lastwagenfahrerin in der Armee. In St. Gallen studierte sie Volkswirtschaftslehre und machte ihren Master in Philosophie und Staatstätigkeit in London. Parallel arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im britischen Parlament. Zurück in der Schweiz kam sie zur Denkfabrik Avenir Suisse, wo sie das Dossier Bürgerengagement übernahm. Nun ist sie hauptberuflich als Kampagnenleiterin der Service-Citoyen-Initiative tätig, bis jetzt unbezahlt. Sie lebt mit ihrem Partner in Zürich.
Laut der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) haben Zivis bereits heute Mühe, eine geeignete Stelle zu finden. Wie soll das gehen, wenn sich die Zahl der Bürgerdienstpflichtigen durch Ihre Initiative mehr als verdoppelt?
Heute hält man den Zivildienst künstlich klein: Damit er nicht mit dem Militär konkurriert, bekommen neue Einsatzbetriebe nur noch selten Zulassungen, obwohl der Bedarf heute schon enorm wäre. Zudem wird es in Zukunft mehr Dienstleistende brauchen; die Sicherheitsbedürfnisse steigen rasant.
Die Gegner Ihrer Initiative befürchten, dass mehr Zivildienstler – und neu auch Zivildienstlerinnen – mehr Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt bedeuten würden.
Davon gehe ich nicht aus, denn Service-Citoyen-Dienstleistende ersetzen keine qualifizierten Mitarbeiter. Das ist weder möglich noch das Ziel. 18-Jährige ohne Ausbildung können die Arbeit einer Pflegefachkraft nicht machen. Allenfalls wären äusserst schlecht oder nicht bezahlte Praktikumsstellen in Gefahr.
Sie wollen die Aufgabenbereiche des Zivildiensts ausweiten. Was wird neu sein?
Wir wollen nicht mehr, dass man den Zivildienst nur als Ersatzdienst des Militärs definiert. Er soll sich autonom weiterentwickeln können.
In Ihrer Kampagne sprechen Sie auffallend oft von den Einsätzen im Umweltbereich. Locken Sie damit Linke und Junge in Ihr Lager?
Das ist kein PR-Gag. Wir sind überzeugt: Klimawandel und Umweltzerstörung sind einige der grössten Herausforderungen der Zukunft. Heute werden nur neun Prozent der Zivildiensttage im Bereich Umwelt und Naturschutz geleistet. Hier gibt es noch viel Potenzial.
Wird man beim Service Citoyen frei entscheiden können, ob man in die Armee, den Zivilschutz oder den Zivildienst geht?
Komplette Wahlfreiheit wird es nicht geben, schon nur aufgrund persönlicher Fähigkeiten. Aber der Gewissenskonflikt bleibt bestehen: Wer auf keinen Fall ins Militär gehen will, wird einen anderen Dienst leisten können.
Gespräche mit jungen Männern zeigen: Wenn man will, bekommt man bei der Aushebung ziemlich einfach den Stempel «dienstuntauglich». Wird das noch möglich sein, falls Ihre Initiative angenommen wird?
Der Entscheid, ob man tauglich ist oder nicht, wird definitiv anders ablaufen. Ich gehe davon aus, dass die Untauglichkeitsrate mit dem Service Citoyen deutlich abnehmen wird. Der Fokus wird nicht mehr nur auf der militärischen Tauglichkeit sein, sondern auch darauf, ob man sich anders einsetzen kann. Alle Fähigkeiten sind relevant.
Manche werfen Ihnen vor, dass der Service Citoyen Zwangsarbeit sei.
Heute ist unser System – mit der Wehrpflicht für Männer und mit dem Zivildienst als Ersatz – mit den Menschenrechten konform. Der Service Citoyen würde lediglich mehr Wahlmöglichkeiten schaffen. Ich finde diese juristische Haarspalterei ermüdend. Einige vergleichen Menschenhandel und Sklaverei mit einem bezahlten und befristeten Gemeinschaftsdienst. Das ist eine Beleidigung für alle Leute, die wirklich unter Zwangsarbeit leiden.
Wenn es also nach Ihnen gehen würde, müssten alle eine Zeit lang für das Gemeinwohl arbeiten. Hört sich fast schon sozialistisch an. Warum tut sich die SP trotzdem schwer mit Ihrer Initiative?
Ich kann es mir nicht erklären. Die offizielle Haltung der SP widerspricht bei diesem Thema der Meinung ihrer Basis. Beim Generationen-Barometer 2021 haben sich 68 Prozent der SP-Wählerschaft für das Anliegen ausgesprochen. Die Parteispitze der SP scheint auf eigene Faust entschieden zu haben, dass man dagegen ist. Vielleicht hat sie Angst, sich mit ihrem bewaffneten Arm, der GSoA, zu zerstreiten. Eigentlich wäre der Service Citoyen ein Thema für die SP, denn Gemeinschaft und Solidarität stehen bei der Initiative im Vordergrund.
Ihr Initiativkomitee besteht aus Vertretern verschiedenster Parteien. Wie hat man es geschafft, Personen aus allen politischen Ecken für das Anliegen zu gewinnen?
Der Service Citoyen lässt sich nicht einem bestimmten politischen Lager zuordnen. Die Personen in unserem Initiativkomitee stehen wirklich hinter der Sache und waren fast alle im Milizdienst tätig.
Sie sind nun seit mehr als einem Jahr Kampagnenleiterin von Service Citoyen, ohne Lohn. Was treibt Sie an?
Für mich ist der Service Citoyen mehr als nur eine Initiative – es ist mein Herzensprojekt. Ich glaube fest, dass er unsere Gemeinschaft stärken wird und unverzichtbar für ein sicheres Zusammenleben ist.
Laut dem aktuellen Generationen-Barometer befürworten über 70 Prozent den Service Citoyen. Wird der Abstimmungskampf ein Kinderspiel?
(Lacht) Nein, es wird nicht einfach. Um einen Abstimmungskampf zu gewinnen, braucht man mindestens zwei Millionen Franken. Gegenreaktionen wie die von der SP zeigen uns, dass der Service Citoyen ein hitziges Thema ist. Jetzt müssen wir möglichst viele von unserem Anliegen überzeugen.
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