Radikale Idee bekommt Aufwind
Schweiz soll Tiktok, Facebook & Co für Minderjährige verbieten

Ein neues Buch über die Auswirkungen von Social Media auf Jugendliche sorgt für Aufsehen – und ruft den Philosophen Rolf Dobelli auf den Plan. Er fordert ein Social-Media-Verbot für Minderjährige.
Publiziert: 12.04.2024 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 12.04.2024 um 10:51 Uhr
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Das grosse Experiment: Fast alle Jugendlichen verbringen täglich Stunden mit Smartphones und Social Media.
Foto: Getty Images

Für Kinder und Jugendliche gibt es kein Leben mehr ohne Social Media und Smartphone. Gemäss aktuellen Erhebungen haben in der Schweiz fast 100 Prozent aller 12- bis 19-Jährigen ein Handy, und fast alle nutzen Tiktok, Instagram und Co.

Stunden um Stunden. Jeden Tag.

Noch nie gab es eine Generation, die derart intensiv und flächendeckend mit Reizen und Informationen bombardiert wurde. Was macht das mit ihr?

Der US-Psychologieprofessor Jonathan Haidt (60) von der New York University weiss wie kaum ein anderer, wie sich die heutige Mediennutzung auf junge Menschen auswirkt – er gilt als führender Experte. Dieser Tage veröffentlichte er ein Buch («The Anxious Generation», dt. «Generation Angst» erscheint im Juni), in dem er zum Schluss kommt: Handys und Social Media machen unsere Jugend systematisch krank.

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Die heutigen Jugendlichen seien «Versuchskaninchen für eine radikal neue Form des Heranwachsens», so Haidt. Man könne dies als «die grosse Neuverdrahtung der Kindheit» bezeichnen. Lies hier, wieso Smartphones und Social Media süchtig machen.

Die Generation der ab 1996 Geborenen, die Gen Z, habe die schlechteste psychische Gesundheit aller Generationen, schreibt der Psychologe. Haidt zeigt anhand einer Fülle von Daten und Studien, dass die massive Zunahme von Depressionen, Ängsten, Selbstverletzungen und Suiziden um das Jahr 2010 herum begann.

«Suchterzeugend und für Kinder ungeeignet»

Er verknüpft diese Daten mit technologischen Neuerungen, die in dieser Zeit verfügbar wurden: Smartphones, Selfie-Kamera, Instagram, Like- oder Share-Buttons. «Die Generation Z wurde die erste Generation in der Geschichte, die ihre Pubertät mit einem Portal in der Tasche durchlebte, das sie von den Menschen um sie herum weg rief in ein alternatives Universum, das aufregend, suchterzeugend (…) und für Kinder und Heranwachsende ungeeignet war», schreibt er.

Kritische Stimmen

Jonathan Haidts Forschung ist nicht unumstritten. Kaum ein Akademiker oder eine Akademikerin stellt in Abrede, dass der Aufschwung von Social Media und der Entwicklungsboom bei Smartphones zur selben Zeit passierte wie die zunehmenden psychischen Probleme bei Jugendlichen weltweit. Aber sind sie wirklich der Auslöser? Manchen Akademikern sind die Antworten Haidts zu eindeutig und zu absolut. Die Diskussion um diese Frage lässt sich übrigens auf einem öffentlich einsehbaren Dokument nachvollziehen, das Haidt transparenzhalber mit Kollegen online stellte.

Jonathan Haidts Forschung ist nicht unumstritten. Kaum ein Akademiker oder eine Akademikerin stellt in Abrede, dass der Aufschwung von Social Media und der Entwicklungsboom bei Smartphones zur selben Zeit passierte wie die zunehmenden psychischen Probleme bei Jugendlichen weltweit. Aber sind sie wirklich der Auslöser? Manchen Akademikern sind die Antworten Haidts zu eindeutig und zu absolut. Die Diskussion um diese Frage lässt sich übrigens auf einem öffentlich einsehbaren Dokument nachvollziehen, das Haidt transparenzhalber mit Kollegen online stellte.

Einer, der die Arbeit von Haidt seit langem verfolgt, ist der Schweizer Philosoph Rolf Dobelli (57). Die neuesten Erkenntnisse von Haidt bringen ihn zu einem radikalen Schluss. Er fordert: «Social Media sollte für unter 16-Jährige verboten sein. Auch in der Schweiz. Und für Smartphones sollte das Zugangsalter bei 14 liegen.»

Klingt abwegig? Ist es nicht. Gerade erst hat Florida ein äusserst restriktives Gesetz verabschiedet, das Social Media für unter 14-Jährige verbietet. Auch in anderen Ländern ist ähnliches im Gange. Lies hier mehr dazu, was andere Länder für Massnahmen ergreifen.

Jugendliche leiden psychisch wie noch nie

In der Schweiz sind die Zahlen ebenfalls besorgniserregend: Gemäss der Schweizerischen Gesundheitsbefragung klagen 22 Prozent der 15- bis 24-Jährigen über psychische Belastungen. Besonders betroffen sind junge Frauen: 18 Prozent leiden unter Angststörungen. Viele suchen zunächst niederschwellige Hilfe, etwa bei Pro Juventute, wo der Beratungsaufwand seit 2019 um 40 Prozent gestiegen ist. In fast jedem zweiten Gespräch geht es um Ängste, Depressionen oder Suizidgedanken.

Manchmal werden die psychischen Belastungen so gross, dass ein stationärer Aufenthalt nötig ist: Um 26 Prozent ist die Zahl der Aufenthalte von 10- bis 24-jährigen Mädchen und jungen Frauen allein zwischen 2020 und 2021 gestiegen. Den Auslöser dafür sieht Dobelli beim Smartphone und Social-Media-Konsum: «Social Media ist wie eine Atombombe fürs Gehirn. Das Hirn eines Teenagers ist nicht dazu gemacht, die Lawinen an Informationen zu verarbeiten.»

Doch die Handy-Nutzungsdauer steigt in schwindelerregenden Höhen: Die James-Studie der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften ZHAW untersucht regelmässig die Mediennutzung Schweizer Jugendlicher. Während Smartphones 2010 noch gar kein Thema waren in der Befragung, zeigt sich heute ein anderes Bild: 12- bis 19-Jährige verbringen heute im Schnitt täglich 3 Stunden und 33 Minuten mit dem Gerät. Am Wochenende sind es 4 Stunden und 53 Minuten.

• 91 Prozent nutzen das Gerät, um Zeit auf sozialen Netzwerken zu verbringen.
• 73 Prozent sind täglich oder mehrmals täglich auf Instagram
• 70 Prozent sind täglich oder mehrmals täglich auf Snapchat
• 59 Prozent sind täglich oder mehrmals täglich auf Tiktok

Für viele Eltern ist der Smartphone- und Social-Media-Konsum ihrer Kids eine permanente Sorge. Blick hat mit Eltern und Jugendlichen über radikale Massnahmen wie ein Social-Media-Verbot gesprochen. Unter anderem auch mit Robin (43), der seinem Sohn Jacopo (18) erst mit 15 ein Handy erlaubte. Robin ist überzeugt, dass ein Social-Media-Verbot bis zu einem gewissen Alter für alle gut wäre. Sein Sohn hält es nicht für nötig. Lies hier, wieso Robin seinem Sohn das Handy vorenthielt.

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