Personen von öffentlichem Interesse müssen damit rechnen, dass ihr Tod viele fremde Leute interessiert. Dabei recherchieren Journalistinnen und Journalisten die näheren Umstände häufig gegen den Widerstand der Angehörigen.
Im Fall der Schweizer Autorin Ruth Schweikert ist es umgekehrt: Das Buch «Hundert Tage im Frühling» hat ihr Ehemann verfasst. Er beschreibt darin den Verlauf ihrer zweiten Krebserkrankung intim und bis zu ihrem letzten Atemzug am 4. Juni 2023.
Eric Bergkraut knüpft damit an Ruth Schweikerts eigenes Krankheitsjournal von 2019 an: In «Tage wie Hunde» teilte sie damals ihre Erfahrung der ersten Brustkrebserkrankung mit ihrer Leserschaft. So legitimiert sich das neue Buch des Witwers quasi als Fortsetzung einer öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Privaten, die der Autorin wichtig war.
Nur: Jetzt tritt die Leserin oder der Leser nah ans Sterbebett einer krebskranken 59-Jährigen. Der Blick der Lesenden ist zwangsläufig ein voyeuristischer, wobei zwischen den beiden Büchern ein wesentlicher Unterschied besteht: Bei ihr wird das Private politisch und literarisch, von ihrem individuellen Schicksal losgelöst.
«Du warst eine Poetin, ich bin kein Poet», schreibt Bergkraut im Buch. Von Beruf ist er Dokumentarfilmer. Oft spricht er seine verstorbene Frau direkt an, erinnert sich ans Kennenlernen, ans eheliche Liebesleben, gibt Kränkungen preis und Details aus dem Familienleben mit den Söhnen. Letzteres verarbeiteten Bergkraut und Schweikert in der Komödie «Wir Eltern», die sie 2019 am Filmfestival in Locarno präsentierten. Daher scheint es nur konsequent, nun auch den Verlust dieses «Wirs» und die Trauer darum mit der Welt zu teilen.*
*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.