Blauer Himmel ist der Inbegriff für gutes und glückliches Leben. So auch im Jazzstandard «Blue Skies» (1926) von Irving Berlin (1888–1989), wo es einmal heisst: «Never saw the sun shining so bright» – ich sah die Sonne noch nie so hell scheinen. Was so idyllisch klingt, bekommt gut hundert Jahre später angesichts der Erderwärmung etwas Bedrohliches.
«Blue Skies» heisst der neue, inzwischen 19. Roman des amerikanischen Autors T. C. Boyle (74, «Wassermusik», «Dr. Sex»). Selbstverständlich hat er dem Buch die ersten Zeilen von Berlins Komposition als Motto vorangestellt, und natürlich spielt der Apokalyptiker der US-Literatur auf die aktuelle Lesart des Songtexts an.
Bereits in den Titeln der frühen Romane des «Edelpunks» («Der Spiegel») ist sein Denken und Dichten angelegt: «Grün ist die Hoffnung» hiess sein Zweitling von 1984, auf den 1987 «World’s End» folgte – Boyle ist ein Naturliebhaber und Umweltschützer, der die Welt trotzdem hoffnungslos verloren sieht.
Als wärs die «Offenbarung Johannes»
Das zeigt sich exemplarisch in «Blue Skies». Eine schrecklich nette Familie steht hier im Zentrum des Geschehens: Tochter Cat, eine unbedarfte Influencerin, die sich für mehr Internetklicks eine Tigerpython zulegt; Sohn Cooper, ein Insektenforscher, der seine Mutter Ottilie dazu bringt, Grillen zu essen (zum Dessert gibts Grillenstreuselkuchen); und schliesslich Vater Frank, der Arzt.
Cat lebt mit ihrem Mann Todd in Florida, der Rest der Familie in Kalifornien. Während Fluten die Ostküste der USA überschwemmen («Sie watete durch das Wasser, es war keine Menschenseele zu sehen»), verbrennen Flammen die Westküste («Und das Feuer war bereits auf dem Hügelkamm hinter ihnen und machte die Nacht zum Tag»).
Es ist, als würde das Buch mit den sieben Siegeln aus der «Offenbarung des Johannes» im Neuen Testament geöffnet, die apokalyptischen Reiter erscheinen und die Posaunen des Weltuntergangs ertönen. Doch im Gegensatz zur Bibel macht Boyle das nicht mahnend mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit viel Witz und Erzählfreude.
«Vielleicht hätten sie ein Kamel kaufen sollen»
Die Familie versucht sich neuen Schicksalsschlägen immer wieder anzupassen. So erinnert sich Ottilie angesichts der Dürre in Kalifornien an einen alten Witz von Frank: «In zwanzig Jahren wirds hier so aussehen wie in Saudi-Arabien.» Und sie denkt sich, dass sie sich statt eines Wagens vielleicht ein Kamel hätten kaufen sollen.
«Blue Skies», Hanser
«Blue Skies», Hanser
Gut zwanzig Jahre ist es her, dass Boyle seinen Öko-Science-Fiction «Ein Freund der Erde» (2000) veröffentlicht hat – eine Vision von Amerika im Jahr 2025: Monate andauernde Regenfälle setzen das Land unter Wasser, in der Trockenzeit ist es demgegenüber brütend heiss. Zustände, die bereits jetzt Realität sind.
«Habe ich es euch nicht schon immer gesagt?», würde ein moralinsaurer Rechthaber sagen. Doch Boyle lässt sich die Laune nicht verderben und veröffentlicht mit viel Fabulierlust statt eines weiteren visionären Zukunftsromans realitätsnahe Gegenwartsliteratur. Der nette Herr aus Santa Barbara (Kalifornien) ist und bleibt ein Freund der Leserschaft.